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Isabel Russ: "Ich bin nicht gekommen, um zu sparen"

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Eine Revolution will Isabel Russ nicht anzetteln, eher fallen im APA-Gespräch Worte wie "Weiterentwicklung". Die 33-Jährige ist seit Februar als neue Chefredakteurin der "Vorarlberger Nachrichten" dafür zuständig, das Blatt in der digitalen Transformation zu führen. Sie setzt dabei auf bekannte Stärken: auf noch mehr Lesernähe und neu erzählte, regionale Inhalte. Der Fokus liegt auf dem Ausbau der Digitalabos. Print bleibt aber, zumindest vorerst.

Isabel Russ, zuvor Digitalchefin beim "profil", hat Wirtschaft an der renommierten University of Warwick studiert und später unter anderem Start Ups betreut. Noch ist sie mit dem Kennenlernen ihrer mit rund 40 Personen eher schlank besetzten Redaktion nicht durch, mit jedem und jeder plant sie ein mindestens halbstündiges Gespräch, weil ihr wichtig ist, was die Mitarbeiter "hier drinnen bewegt". E-Mails beantwortet sie derzeit oft nachts, "wenn ich die Kinder abends ins Bett gebracht habe".

Als eine Last empfindet sie die neue Aufgabe, mit der sie in die Fußstapfen ihres Vaters Eugen A. Russ und ihrer Großväter tritt, nicht, sehr wohl spüre sie aber eine Verantwortung, denn die Zeitung habe "eine bedeutende Rolle für Vorarlberg, sie hat Vorarlberg seit Jahrzehnten mitgestaltet". Dabei ist die "VN"-Chefredaktion nur eine ihrer Aufgaben. Russ ist eine von vier Personen in der Geschäftsführung von Russmedia Österreich, laut Eigendefinition einem der "progressivsten Multi-Nischenmedienunternehmen Europas", das am Stammsitz in Schwarzach im Bezirk Bregenz rund 500 Mitarbeiter beschäftigt. Ebenso ist sie Vorsitzende der Geschäftsführung der Russmedia Digital GmbH, die die Webseite "Vorarlberg Online" (vol.at) produziert.

Dass sie das Traditionsblatt übernimmt, war nicht immer so geplant, vielmehr habe sich das "organisch so ergeben". Das Interesse am Journalismus habe immer schon bestanden. Und aus ihrer Tätigkeit für Start Ups nimmt sie einiges mit: "Start Ups müssen sich schnell an neue Gegebenheiten am Markt anpassen - und das ist genau das, was wir jetzt im Medienbereich machen müssen". Mit ihrem Vater bestehe eine sehr gute Zusammenarbeit. Sie habe zum einen klaren Verantwortungsbereich, zum anderen hätten sie beide sehr ähnliche Vorstellungen, etwa den Fokus auf Digitalabos zu setzen. "Er hat jahrzehntelange Erfahrung, er hat aber auch Vertrauen in meine Perspektive", so die 33-Jährige.

Beim Erreichen jüngerer Leser - laut jüngster Mediaanalyse ist knapp die Hälfte der 138.000 Vorarlberger "VN"-Leser über 60 Jahre alt - und für mehr Digitalabos wird man bei Russmedia weiter auf skandinavische Vorbilder setzen, etwa Medien der norwegischen Schibsted-Gruppe. Diese schafften es, mit zielgerichteten Inhalten verschiedene Lesergruppen zu erreichen und dafür bezahlt zu werden. Sie wolle Themen bewusster vom Leser her angehen, vor Ort und menschennah erzählt, so Isabel Russ. Haben die Inhalte Relevanz für Leser, seien diese auch bereit, dafür zu bezahlen, so ihre Überzeugung.

Mit den über 15.000 Digitalabonnenten von "V+" - das ist gemeinsame digitale Angebot von "Vorarlberger Nachrichten", "Neue Vorarlberger Tageszeitung" und des Online-Dienstes "Vorarlberg Online" (vol.at) - sei man "sehr zufrieden", vor allem weil man "jeden Tag besser" werde. "Wir müssen die Inhalte machen, die niemand anderer machen kann", so Russ, damit will sie auch gegen Tech-Giganten bestehen. Biete man die richtigen Inhalte, sei bei den Lesern auch Zahlungsbereitschaft vorhanden. Lokaler Qualitätsjournalismus werde sich nicht durch Werbung alleine finanzieren lassen, ist sie überzeugt.

Ein Datum für das letzte Erscheinen der "VN" auf Papier habe sie nicht im Kopf, sagte Russ. Denn Print sei schon oft totgesagt worden, sei aber "viel beliebter als gedacht", dennoch: "Ich glaube nicht, dass uns Print langfristig finanzieren wird", auch wenn aktuell die gedruckte Ausgabe noch den größeren Teil der redaktionellen Kosten begleiche. Print und Online sieht sie künftig stark getrennt, Umstrukturierungen liefen derzeit. Print dürfe nicht an Qualität verlieren, zugleich werde aus "Online first" zunehmend "Online only", auch mit neuen Formaten, etwa Newslettern zu Bezirken, Sport oder Kultur, vertiefenden Videos oder Podcasts. Gerade mit Videos und Bildern schaffe man es, dass sich Leser "mittendrin" fühlten, auch da komme das Vorbild aus dem Norden: "skandinavisches Storytelling".

Ressourcen für das neue Erzählen freischaufeln soll Künstliche Intelligenz, die bei Russmedia bereits im Einsatz ist. Diese sei eine Hilfe beim Kürzen, Korrigieren oder bei kreativem Input, könne aber nicht über Hintergründe berichten. Alles, was KI effizient tun könne, solle diese erledigen, mit den frei werdenden Ressourcen "legen wir den Fokus auf die Geschichten, die uns niemand wegnehmen kann", so ihr Konzept.

Dass KI bei Russmedia Journalistenjobs kosten könnte, stellte sie dezidiert in Abrede: "Ich bin nicht gekommen, um zu sparen. Ich bin nicht gekommen, um das Boot noch irgendwie fünf Jahre über Wasser zu halten. Ich bin da, um langfristig ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu etablieren. Und dafür investieren wir auch. Wir haben mehr Journalisten ausgeschrieben als noch vor ein paar Jahren, und wir wollen auch in Zukunft in die Redaktion investieren." Von ihrem Team zeigte sich Russ begeistert: "Ich bin beeindruckt von der Bereitschaft, den Wandel mitzumachen". Es gebe große Offenheit, neuen Arbeitsabläufen gegenüber. Kommen sollen Neuerungen nach und nach, "das ist hier keine Revolution".

Als meinungsmachende Kommentatorin wie ihr Vorgänger Gerold Riedmann sah sich Isabel Russ übrigens eher nicht. "Ich schreibe gerne und habe auch eine klare Meinung", dennoch halte sie Kommentare zum Vorarlberger Geschehen in den Händen der Redakteure und Redakteurinnen, die sich täglich mit den Themen beschäftigten, sehr gut aufgehoben. "Die 'VN' besteht aus vielen Köpfen", betonte sie.

Die "VN" sah sie weiterhin als "auflagenstärkste unabhängige Tageszeitung für Vorarlberg", wie es in jeder Ausgabe heißt. "Unabhängigkeit ist ganz wichtig. Aber dazu brauchen wir Abo-Erlöse. Wenn du nur von Anzeigen getrieben bist, kannst du nicht mehr die gleichen Geschichten schreiben", erklärte sie. Verpflichtet sei man dabei grundsätzlich dem Leser: "Wir sind nicht die Papageien der Mächtigen. Und die Leser sind ja nicht blöd, sondern mitdenkende Bürger." Medien nähmen einen wichtigen Platz in der Demokratie ein: "Und dafür stehe ich auch ein."

(Das Interview führten Jochen Hofer und Angelika Grabher-Hollenstein/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Isabel Russ, 33, ist seit Februar die neue Chefredakteurin der 'Vorarlberger Nachrichten' und setzt auf Digitalisierung und Lesernähe.
  • Mit einer Wirtschaftsausbildung an der University of Warwick und Erfahrung in der Betreuung von Start Ups bringt sie frischen Wind in die Redaktion, die rund 40 Personen zählt.
  • Als Teil der Geschäftsführung von Russmedia Österreich und Vorsitzende der Russmedia Digital GmbH, verantwortlich für 'Vorarlberg Online', verfolgt sie eine Strategie der digitalen Abos, während Print vorerst erhalten bleibt.
  • KI wird bei Russmedia genutzt, um journalistische Arbeit zu unterstützen, nicht zu ersetzen, und um Ressourcen für einzigartigen lokalen Journalismus freizumachen.
  • Die Unabhängigkeit des Journalismus ist für Russ zentral, wobei sie auf Abo-Erlöse statt Werbefinanzierung setzt, um die 'VN' als auflagenstärkste unabhängige Tageszeitung für Vorarlberg zu erhalten.