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ImPulsTanz: Furey behandelt Leben, Tod und alles dazwischen

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Was ist dem Tod näher als der Tanz? Eine paradoxe Frage, möchte man meinen. Sprüht das Leben doch regelrecht aus dem, was man landläufig als Tanzen versteht. Mit dieser und anderen Konventionen aber brechen Clara Furey und ihr Stück "Dog Rising", das am Dienstag im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Odeon Theater Österreich-Premiere feierte. Das Stück behandelte wortlos die großen Fragen des Lebens - quittiert vom tosenden Applaus des bis zum Schluss gebannten Publikums.

Das diesjährige ImPulsTanz-Festival sparte sich Furey bis zu seiner finalen Woche auf. Dabei ist die Kanadierin in Wien längst keine Unbekannte mehr: 2012 eröffnete sie in Kooperation mit Benoît Lachambre das alljährliche Tanzfestival, 2018 gastierte sie mit einer Solovorstellung im mumok, inspiriert durch ein Gedicht ihres Landsmanns Leonard Cohen. Mit dem polyfonisch gebauten Tanztrio "Dog Rising" demonstrierte Furey eindrücklich, dass sie die tanzdramaturgische Klaviatur von überschwappender Ekstase bis hin zu dystopischer Melancholie beherrscht. Die düstere, oft abgehackte Musik dazu komponierte ihr Bruder Tomas.

Aus dem Dunkel in trübes Rotlicht ließ Furey ihre drei Hauptdarsteller zu Beginn huschen. Wie ein geometrisch perfekter blinder Fleck lag das weiße Quadrat, auf dem sie sich bewegten, inmitten der Kulisse der Odeon-Bühne: ein Käfig ohne Stäbe. Ein kontrastreicher Reizpunkt, wie ihn Furey mit therapeutischem Ziel beim Publikum setzen will, heißt es im Programm. Man konnte fast meinen, die drei Tänzer vollführten antike Riten in einem griechischen Tempel - wären da nicht die schlichten Trainingsklamotten in Blau, Rot und Gelb gewesen, die der Performance auf den ersten Blick alles Spirituelle nahmen.

Wie so oft aber trog der Schein. Auch, wenn diese Spiritualität entzaubert, nüchtern und schmucklos daherkam. Denn Überladenes liegt Furey ganz und gar nicht. Weniger Pompöses, mehr Poröses. Das jedenfalls ist, was die Choreografin fasziniert. Die Poren des Körpers, die Morschheit des Seins, die Wirkung von Musik auf Leib und Seele, im wahrsten Wortsinn. Furey beschäftigt sich mit Knochenschallleitung, dem inneren Hören, wenn Klangimpulse durch den Körper fließen. Folgerichtig ging diese Tanz-Performance wortwörtlich durch Mark und Bein, stellte Härchen auf, öffnete Poren im Denken und Fühlen. Eine akustische Detox-Kur im Diffundieren zwischen Hoch und Tief, Leben und Tod.

Die Tänzer personifizierten dieses Auf und Ab, kreisten umeinander, spielten nahezu ironisch mit dem Publikum und schlängelten sich ruckartig durch das Mündungsfeuer der Strobolichter. Vieles wirkte krampfig, manches neurotisch, alles aber lebendig. Ein ruckartiger Hüftschwung - zu kantig, um lasziv zu wirken - wurde zum wiederkehrenden Motiv. Ekstatisch improvisierte Bewegungen, mal aufrecht, mal sich am Boden windend, verliefen in herausfordernder Monotonie. Im düster roten Licht zu Beginn wirkte das Ensemble wie ein flimmerndes Herz, das sich im endlosen letzten Krampf aufbäumt. Inmitten eines Körpers, dessen Teile ein Eigenleben entwickeln.

Das mechanische Kreisen der Tänzer umeinander wurde mal vom einen, mal vom anderen durchbrochen - nur, um ein neues hektisch-monochromes Bewegungsmuster in den Ring zu werfen, dem die entrückten Begleiter nach kurzer Zeit folgten. Trafen sich ihre Blicke, so war darin Verwunderung zu lesen, Staunen und Befremden über die kryptischen Bewegungen der anderen. Aber auch Entzücken und ein Schimmer von Erleichterung über das eigene Mitschwingen im ungleichen Akkord. So schnitten sich die Umlaufbahnen der Tänzer zusehends, während die Musik bedrohlicher und lauter wurde, schrill vibrierte in dumpfer Schwingung. Mit einer knisternden Grundspannung und aufbrandendem Donnergrollen ergoss sie sich wie ein Sommergewitter. Durchbrochen von metallischen Tonkaskaden, die sich anhörten, als würden schwere Eisentore zugezogen, während ein Schneebesen über rostige Stahlplatten kratzt.

Tanz ist oft schwer zu verstehen. So wie Leben und Tod. Clara Furey aber gießt Entstehen und Vergehen bildhaft in Bewegung, behutsam und brutal. "Dog Rising" reißt eine fruchtbare Leere, die nicht verhungern lässt, sondern Platz zum Denken gibt. Die Performance ließ das Publikum gespalten zurück. Manche suchten auf dem Weg nach draußen meditative Ruhe, andere fast schon zwanghaft das Gespräch. Apathische Totenstille hier, ausgelassene Lebhaftigkeit dort. Jeder verdaut, verarbeitet, erlebt anders. Lebt anders. Und doch irgendwie gleich. So wie die drei Tänzer in "Dog Rising". Hier tut er sich auf, der Zwiespalt zwischen Lebendigkeit und Leblosigkeit, in den Clara Furey uns wirft. Der Zwiespalt, der das Leben Tag für Tag prägt. Um das zu verstehen, muss man nicht sterben. Wohl aber tanzen.

(S E R V I C E - ImPulsTanz: "Dog Rising" von Clara Furey, österreichische Erstaufführung im Odeon-Theater. Produktion und künstlerische Leitung - Clara Furey; Choreografie - Clara Furey in Zusammenarbeit mit Be Heintzman Hope, Brian Mendez, Winnie Ho; Musikalische Komposition - Tomas Furey. Mit Baco Lepage-Acosta, Be Heintzman Hope, Brian Mendez. Weitere Aufführung am 4. August. www.impulstanz.com/performances/pid1499/)

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  • Was ist dem Tod näher als der Tanz? Eine paradoxe Frage, möchte man meinen. Sprüht das Leben doch regelrecht aus dem, was man landläufig als Tanzen versteht. Mit dieser und anderen Konventionen aber brechen Clara Furey und ihr Stück "Dog Rising", das am Dienstag im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Odeon Theater Österreich-Premiere feierte. Das Stück behandelte wortlos die großen Fragen des Lebens - quittiert vom tosenden Applaus des bis zum Schluss gebannten Publikums.