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Im Visier der Steuerfahndung: Jelineks "Angabe der Person"

Neue Werke von Elfriede Jelinek sind stets Textströme, in denen man als Leser unterzugehen droht, und die man erst kanalisieren muss, um sie für sich nutzbar zu machen. Das gilt auch für "Angabe der Person", das kommende Woche als Buch erscheint und am 16. Dezember im Deutschen Theater Berlin von Jossi Wieler in einer Bühnenfassung uraufgeführt wird. Das wahre Drama muss man sich erst herausarbeiten. Es traf die scheue Dichterin wohl ins Mark.

Die deutsche Steuerfahndung hatte die österreichische Literaturnobelpreisträgerin ins Visier genommen und dabei eine Hausdurchsuchung vorgenommen, Unterlagen wie E-Mails beschlagnahmt, ja sogar dem Wasserverbrauch nachgespürt. Im Kern des mittlerweile eingestellten Verfahrens ging es offenbar darum zu beweisen, dass Jelineks Lebensmittelpunkt in München (wo sie über einen Wohnsitz verfügt) und nicht in Wien liegt - wovon sich die bayerische Finanz anscheinend satte Steuernachzahlungen erwartete. Man kann sich gut vorstellen, wie andere Dichterkolleginnen und -kollegen reagiert hätten: mit öffentlicher Empörung und der Anprangerung des Behördenvorgehens als einen Angriff auf die Kunst. Jelinek integriert die Amtshandlung, die wohl jeder als Übergriff empfunden hätte, in ihr Werk.

"In diesem kleinen Land halten Sie sich also vorwiegend auf, dort, wo ihre Wiege stand? Das ist eine leere Behauptung", heißt es einmal zu den Auswertungen ihres privaten Mailverkehrs. "Sie sagen hier und hier und dort auch, wie Sie Ihr Vaterland hassen, daraus schließen wir, daß Sie dort nicht sind, nicht sein können, es dort nicht aushalten, wer außer Herrn Bernhard hält sich schon freiwillig dort auf, wo ihm alles verhaßt ist und er selbst auch allen verhaßt ist (...)". Mehr als die unmittelbaren Vorgänge, mit denen sie damals konfrontiert war, beschäftigen Jelinek die Ratschläge und Überlegungen dazu: Steuervermeidungstipps von Firmenkonstruktionen über Offshore-Briefkästen bis zu Steueroasen; Beispiele für das Schleusen von Milliardenerträgen und -vermögen an der Steuer vorbei; Gedanken zum Funktionieren globaler Finanzströme und dem Erwerb von Vermögen. "Jeder User ist frei zu sagen, was er will. Wahrscheinlich bin ich überbezahlt. Das höre ich oft."

Alleine das wäre schon abend- bzw. buchfüllend, und Elfriede Jelinek hat sich immer wieder (etwa in ihrem Stück "Kontrakte des Kaufmanns") mit Auswüchsen und Auswirkungen des Kapitalismus beschäftigt. Doch schon bald webt sie einen zweiten, ebenfalls sehr privaten Komplex ein: die Geschichte ihrer Familie. "Was sagen Sie? Sie haben schon so viel geopfert, Sie wollen nicht noch mehr opfern? Sie haben Ihre Verwandten geopfert?", schreibt sie. Und: "Von den Toten haben wir zu ihrer Zeit alles genommen, jetzt kommen die Lebenden dran."

Diese Verknüpfung irritiert, und man könnte sich für das, was Jelinek erstmals über ihre jüdischen Vorfahren (die auch in Claudia Müllers hervorragendem Film "Elfriede Jelinek - Die Sprache von der Leine lassen", der soeben angelaufen ist, ein Thema sind) sehr gut auch einen großen, eigenen Text vorstellen. "Es ist bei uns alles eine Generation verschoben, ich bin die Jüngste unter den Alten, eigentlich bin ich die Älteste unter den Jungen, dazwischen fehlt was, weil der Hitler ganze Generationen von uns nicht mochte."

Sie gibt Andeutungen zu ihrem vertriebenen Cousin Walter Felsenburg (1904-2004), zu im Holocaust umgebrachten Verwandten und zu ihrem jüdischen Vater, von dem sich die Mutter trotz Drängens der NS-Behörden nicht scheiden ließ. Und sie schreibt von den Jelineks, "angeblich von einem jüdischen Bauernpärchen abstammend", bis zu "Ur-Oheim Herschell Jellinek, den sie anläßlich einer mäßig erfolgreichen Veranstaltung, der Revolution von 1848, in Wien liquidiert haben".

Jüdisches Vermögen wurde nach dem Krieg nur zögerlich und unzureichend restituiert, dafür bekamen etwa die Familien von NS-Mittätern wie Baldur von Schirach problemlos Grundstücke zurück, erfährt man. Dazwischen gibt es immer wieder aktuelle Einarbeitungen, etwa zum Behördenumgang mit dem Kunsthändler Cornelius Gurlitt und seiner Sammlung, dem Wirecard-Skandal oder dem milliardenschweren Fußballbusiness von Bayern München bis zur FIFA. "Spurenelemente" von Heidegger, Camus, Nietzsche und Freud" habe sie ebenso eingearbeitet wie Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert", schreibt Jelinek am Ende. Und dazwischen immer wieder Momente des Innehaltens und der Selbstbefragung. "Ich klage an, was nützt es mir? Nichts. Ich klage, das ist allen Menschen außer mir egal." Nicht egal. Weitermachen. Das Leben geht weiter. Der Text geht weiter. Und Jelinek steht weiter am Steuer. Ob's der Steuer passt oder nicht.

(S E R V I C E - Elfriede Jelinek: "Angabe der Person", Rowohlt Verlag, 190 Seiten; Uraufführung am 16. Dezember im Deutschen Theater Berlin, Regie: Jossi Wieler, Bühne und Kostüme: Anja Rabes Komposition und Musik: PC Nackt. Mit Fritzi Haberlandt, Bernd Moss, Linn Reusse und Susanne Wolff. www.deutschestheater.de)

ribbon Zusammenfassung
  • Neue Werke von Elfriede Jelinek sind stets Textströme, in denen man als Leser unterzugehen droht, und die man erst kanalisieren muss, um sie für sich nutzbar zu machen.
  • Das gilt auch für "Angabe der Person", das kommende Woche als Buch erscheint und am 16. Dezember im Deutschen Theater Berlin von Jossi Wieler in einer Bühnenfassung uraufgeführt wird.
  • Der Text geht weiter. Und Jelinek steht weiter am Steuer.