Herzogs Volkstheater-Lesung als religiöses Ereignis
Heuer erschienen Herzogs Erinnerungen "Jeder für sich und Gott gegen alle". Überhaupt hat der Kultregisseur mit der markanten Stimme immer schon geschrieben - etwa "Vom Gehen im Eis" über seine Wanderung 1974 von München zu seiner im Sterben liegenden Mentorin Lotte Eisner nach Paris oder "Das Dämmern der Welt" über Hiroo Onoda, der nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch jahrzehntelang eine Insel im Pazifik verteidigte. Im Interview mit der APA zeigte sich Herzog vor Kurzem überzeugt, dass seine Literatur seine Filme überdauern werde.
Ohne darauf einzugehen, woraus er liest, stürzte sich Herzog am Freitagabend in seine Texte und offenbarte dem Volkstheater-Publikum seine Innenwelten. Kluge Beschreibungen von Reisen und der vorgefundenen Umwelt bilden den Kern des knapp zweistündigen Abends. Besonders die Natur vermag es hörbar, große emotionale Spuren bei Herzog zu hinterlassen: Jedes Wort sorgsam betonend berichtet er gleich zu Beginn, von einer Nacht über dem Meer und unter dem Weltall - auf der "Wiege der Unendlichkeit" - so gerührt gewesen zu sein, dass er glaubte, danach nicht mehr älter werden zu können. Am Weg nach Paris ist es ein unberührter Apfelbaum, der zum Symbol der schier grenzenlosen Einsamkeit wird.
Manche Ereignisse haben Wiedererkennungswert - so kehrt Herzog etwa zum Drehort von "Fitzcarraldo" zurück und findet jene Ureinwohner, die ihm damals anboten, seinen Hauptdarsteller Klaus Kinski zu töten. Andernorts trifft man in Herzogs Texten auf junge Männer, deren Leben auf blutige Weise enden. Und an wieder anderer Stelle widmet sich der Autor theoretischen Überlegungen - Was würde etwa geschehen, stelle man zwei Spiegel exakt gegenüber auf?
Begleitet wird die Lesung von leisen Cello- (Ernst Reijseger) und Pianoklängen (Harmen Fraanje). Unterbrochen wird sie immer wieder von der hypnotischen Musik des Chors Cuncordu e Tenore de Orosei und Mola Syllas, während Herzog die Leselampe ausknipst und sich zu einer Hängematte im Hintergrund zurückzieht. "Musik aus einer anderen Welt", heißt es in der Ankündigung; es ist Musik aus Herzogs Welt. Dass dieser Abend auch eine kultische Dimension hat, wird nicht erst klar, als Sylla das Musiker-Ensemble wie ein Priester über die Bühne geleitet.
Zusammenfassung
- Nach Filmdrehs an extremen Orten wie dem peruanischen Urwald und vulkanischen Kratern oder einer Reise zu Fuß nach Paris fehlt es dem mittlerweile 80-jährigen Werner Herzog bei seiner Lesung im Volkstheater am Freitagabend nicht an Stoff.
- Ohne darauf einzugehen, woraus er liest, stürzte sich Herzog am Freitagabend in seine Texte und offenbarte dem Volkstheater-Publikum seine Innenwelten.