APA/APA/Volkstheater/Susanne Hassler-Smith

Gewalt im Takt: Süßkows "Geschichten aus dem Wiener Wald"

13. Dez. 2025 · Lesedauer 4 min

Es ist ein Aufschrei gegen die Normalisierung von Gewalt, ein radikaler Angriff auf eingefahrene Sehgewohnheiten und ein groteskes Fest der Künstlichkeit: Was Rieke Süßkow am Volkstheater aus Ödön von Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald" gemacht hat, ist eine theatrale Überforderung, die bisweilen über das Ziel hinausschießt, in ihrer Kompromisslosigkeit aber doch beeindruckt. Das Premierenpublikum spendete am Freitagabend herzlichen Applaus.

In Wien kennt man die 1990 in Berlin geborene Regisseurin spätestens seit ihrer Inszenierung von Anna Neatas "Oxytocin Baby" am Schauspielhaus Wien, für die sie 2022 einen Nachwuchs-Nestroy erhielt. Noch im selben Jahr hob sie am Akademietheater Peter Handkes "Zwiegespräch" in einer hoch artifiziellen, in Sepia getauchten Setzung aus der Taufe, wofür sie zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. Dass es ihr die Österreicher angetan haben, bewies sie 2023 auch in ihrer famosen Deutung von Werner Schwabs "Übergewicht, unwichtig: Unform" in Nürnberg, wo sie die Schauspieler in fleischige Ganzkörpermasken steckte und sie Marionetten gleich an der Rampe zappeln ließ.

Am Volkstheater verbindet die Wahl-Wienerin, die seit Herbst als Hausregisseurin fungiert, nun einige dieser Ansätze: Süßkows Stammbühnenbildnerin Mirjam Stängl hat eine in altrosa gehaltene Spieluhr geschaffen, in der die Akteure in einem ewigen Kreislauf gefangen allerlei geometrische Bühnenelemente bespielen. Den Takt gibt im wahrsten Sinne des Wortes die Musik vor: Im Orchestergraben haben unter der musikalischen Leitung von Philipp C. Mayer Musikerinnen und Musiker Platz genommen, die Walzerklänge von Johann Strauss in den Raum schicken, die in der hervorragenden Komposition Mayers ihr Eigenleben entwickeln, indem sie die aufkommende Seligkeit nach wenigen Takten invertieren.

Den bestimmenden Dreivierteltakt hat Süßkow auch auf die Sprache übertragen, und hier liegt das größte Problem des Abends: Horváths Text in Daktylen zu pressen, ist keine gute Idee. Zwar treibt man so die von Süßkow intendierte Künstlichkeit auf die Spitze, doch drohen sich die Kräfte dabei immer wieder aufzuheben. Schließlich ist es mit der Verdrehung noch lange nicht vorbei: Fast alle Männer-Rollen sind mit Frauen besetzt und vice versa, aber alle Darsteller tragen lange, altrosa Röcke, unter denen sich blutrote Rüschen verstecken, die die Kostüme immer wieder für wenige Sekunden in überlebensgroße Vulvas verwandeln (Kostümbild: Sabrina Bosshard).

Die Gewalt liegt zwischen den Zeilen

Das zehnköpfige Ensemble steckt zudem hinter akzentuierten Nasen- und Wangenmasken, was ihnen zusätzlich etwas Puppenhaftes verleiht. Maximilian Pulst gibt eine grobschlächtige, von den Irrungen und Wirrungen überforderte Marianne, die sich am Tag ihrer Verlobung mit dem zierlichen Fleischhauer Oskar (Karoline Marie Reinke) Hals über Kopf in den Hallodri Alfred verliebt, den Aleksandra Ćorović mit dünnem Schnauzbart als doch irgendwie liebenswerten Typen zeichnet, der halt auch nicht so genau weiß, wie man sich für eine einzige Frau entscheiden soll. Der von ihm verlassenen Valerie verleiht Andrej Agranovski mit kokettem Spiel viel Frauenpower, während Nick Romeo Reimann als böse Großmutter brilliert, die das uneheliche Kind von Alfred und Marianne dem tödlichen Zug aussetzt. Seine Wandlungsfähigkeit darf er auch in der Doppelrolle des strammen Nazis Erich unter Beweis stellen, der in jeder Sekunde sexualisierte Gewalt verkörpert. Zu traurigen, notgeilen Hampelmännern verkommen schließlich der Zauberkönig (Katharina Kurschat) und der Rittmeister (Paula Nocker).

Die alles beherrschende Gewalt zwischen den Zeilen lässt Süßkow in wenigen, aber expliziten Momenten hervorbrechen, in denen lediglich Knack- und Schleifgeräusche aus dem Orchestergraben kommen, bevor der nächste Walzer anhebt und alle wieder auf Position gehen, um die nächste Runde in diesem traurigen Ringelspiel zu fahren. Die Absurdität des selbstverständlichen Missbrauchs, den Horváth hier schonungslos zeigt, hat dieser 105-minütige, pausenlose Abend auf allen Ebenen entblößt. Nach dem ästhetischen Dauerfeuer ist man dann aber doch froh, in die kalte Nachtluft zu entschwinden.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach Ödön von Horváth und Johann Strauss im Volkstheater. Regie: Rieke Süßkow, Bühne: Mirjam Stängl, Kostüme: Sabrina Bosshard, Komposition und musikalische Leitung: Philipp C. Mayer. Mit Andrej Agranovski, Aleksandra Ćorović, Stine Kreutzmann, Katharina Kurschat, Paula Nocker, Maximilian Pulst, Nick Romeo Reimann, Karoline Marie Reinke, Claudia Sabitzer und Sanna Schmid. Weitere Termine: 18., 23. und 26. Dezember, 9. und 27. Jänner. www.volkstheater.at)

Zusammenfassung
  • Die Inszenierung von Rieke Süßkow am Volkstheater Wien verwandelt Ödön von Horváths 'Geschichten aus dem Wiener Wald' in ein 105-minütiges, pausenloses und hochgradig künstliches Bühnenerlebnis mit verfremdeter Musik und auffälligen Kostümen.
  • Das zehnköpfige Ensemble spielt unter der musikalischen Leitung von Philipp C. Mayer, wobei Männerrollen von Frauen übernommen werden und vice versa, während Gewalt und Missbrauch künstlerisch verfremdet und explizit angedeutet werden.
  • Die Premiere wurde am Freitagabend mit herzlichem Applaus aufgenommen, weitere Aufführungen sind am 18., 23. und 26. Dezember sowie am 9. und 27. Jänner geplant.