APA/APA/SCHAUSPIELHAUS GRAZ/MARCELLA RUIZ-CRUZ

Frisches Bühnen-Mashup aus Kleist und Streeruwitz in Graz

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Heinrich von Kleists klassische Geschlechtertragödie und Marlene Streeruwitz' Erzählung sind die Basis von "Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin", das am Freitag am Grazer Schauspielhaus Premiere hatte. Regisseur Franz-Xaver Mayr und sein Team brachten mit Hilfe Streeruwitzscher Wortkaskaden frischen Wind in das 200 Jahre alte Stück Kleists, ohne dabei dessen Wesenskern zu beschädigen. Das Publikum hatte - Tragödie hin oder her - seinen Spaß daran.

Während Kleists lange Zeit als bühnenuntauglich angesehenes Drama eine Variante der altgriechischen Sage um die Amazonenkönigin Penthesilea und ihr zwischen Feindschaft und Begierde oszillierendes Verhältnis zu Achilles darstellt, sinniert in Streeruwitz' Gedankenmonolog eine namenlose Erzählerin über das Leben ihrer Freundin Lilli, ihre Liebschaften und sonstigen Beziehungen zur Umwelt und ihren Krebstod. Durch die Vermengung beider Texte suggeriert wird ein Zusammenhang zwischen den Charakteren Lillis und der antiken Sagenfigur.

Das Stück startet mit dem Auftritt der Erzählerin aus Streeruwitz' wasserfallartigen Nekrolog. In einen bombastischen Blumenumhang gehüllt, der an Klimt denken lässt, für den aber auch die Maikönigin aus dem Horrormovie "Midsommar" (2019) Pate gestanden haben könnte, hält sie einen giftigen Monolog, der sich am Ende in die Stimmen des im Stil der antiken Tragödie ausstaffierten Chors aufspaltet und so die Überleitung zu Kleists Stück bildet.

In der Folge taucht der Text Streeruwitz dann nur noch sporadisch eingestreut auf. So, als wolle man das Publikum daran erinnern, dass es sich hier tatsächlich um einen Bastard, um ein Mashup zweier an sich grundverschiedener Texte handelt und nicht geradeaus um eine flotte und zeitgemäße Inszenierung von "Penthesilea". Genau das ist aber die Produktion im Schauspielhaus, denn Regisseur Mayr fehlt es nicht an eigenen Kniffen und Tricks, um Kleists zwar energiereiche und rhythmisch durchschlagskräftige Sprache aufzulockern.

Apropos Rhythmus: Die spannende und intelligente Bühnenmusik, für die Matija Schellander und auf der Bühne agierend Aurora Hackl Timón und Karolina Preuschl verantwortlich zeichnen, bildet gemeinsam mit der farbenprächtigen und gleichzeitig reduziert-klaren Bühnenbildsprache von Korbinian Schmidt ein wesentliches Element, das zum Gelingen des Abends maßgeblich beiträgt. Zurück zu Mayrs Bearbeitung von Kleists Text: Immer wieder lässt er seine Protagonisten, die mitunter die Figuren wechseln und die beiden Hauptcharaktere Penthesilea und Achill auch vervielfachen, sprachlich salopp aus den gleichsam in Stein gemeißelten Kleist-Dialogen entgleisen ("Odysseus, komm doch mal rüber") und provoziert damit so manchen Lacher im Publikum.

Den Showdown zwischen Achill und Penthesilea, der ja bei Kleist, anders als Homer, damit endet, dass Penthesilea Achilles meuchelt und nicht umgekehrt, inszeniert Mayr als feurige Götterdämmerung mit blutiger Brettljause, was einerseits gewichtig und ästhetisch-stimmig wirkt, aber gleichzeitig auch mit einem Augenzwinkern geliefert wird. Das Ensemble liefert insgesamt eine beachtliche schauspielerische Leistung, wobei Lukas Walcher als Achill und die trotz einer Verkühlung ihr abschließendes "Lacrimosa" perfekt singende Multikünstlerin Johanna Sophia Baader sich vielleicht am stärksten einprägen.

Obwohl die Paarung Kleist-Streeruwitz trotz möglicher Parallelen - zwei Frauenschicksale, an gesellschaftlichen Bedingungen scheiternde Begierden, das Scheitern und der Tod - unterm Strich konstruiert wirkt, als wort- und bildgewaltiges Bühnenereignis funktioniert "Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin". Beim Grazer Publikum kam das Experiment jedenfalls bestens an. Ensemble und Regieteam mussten mehrmals vor den Vorhang.

(S E R V I C E - "Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin" nach Heinrich von Kleist und Marlene Streeruwitz, Regie: Franz-Xaver Mayr, Bühne und Kostüme: Korbinian Schmidt, Komposition und musikalische Leitung: Matija Schellander, Licht: Viktor Fellegi; mit Linda Kummer, Daria von Loewenich, Henriette Blumenau, Sarah Sophia Meyer, Johanna Sophia Baader, Frieder Langenberger, Mathias Lodd, Clemens Maria Riegler, Lukas Walcher, Beatrix Doderer, Oliver Chomik sowie Karolina Preuschl und Aurora Hackl Timón (Musik/Komposition); weitere Aufführungen am 17. Februar, 1., 9., 21., 22. und 25. März jeweils 19.30 Uhr; Informationen und Tickets unter https://schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com)

ribbon Zusammenfassung
  • Heinrich von Kleists klassische Geschlechtertragödie und Marlene Streeruwitz' Erzählung sind die Basis von "Penthesilea/Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin", das am Freitag am Grazer Schauspielhaus Premiere hatte.
  • Regisseur Franz-Xaver Mayr und sein Team brachten mit Hilfe Streeruwitzscher Wortkaskaden frischen Wind in das 200 Jahre alte Stück Kleists, ohne dabei dessen Wesenskern zu beschädigen.

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