APA/APA/Wiener Festwochen/Christophe Raynaud de Lage

Festwochen setzen mit "Die Rechnung" auf Humor und Tiefgang

Es ist Tim Etchells' Einfallsreichtum, der aus "Die Rechnung" - einer Interaktion zwischen Kellner und Gast - ein vielschichtiges Theaterstück macht. Humor, Überraschung, Tiefgang - all das mit bloß zwei Darstellern und einer Handvoll Requisiten. Konzipiert, um im Rahmen der Wiener Festwochen und "Volkstheater in den Bezirken" an 15 Spielorten zu funktionieren, feierte "Die Rechnung" am Sonntag unter reichlich Zuspruch im Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz seine Premiere.

Etchells' Slapstick-Komödie "L'Addition", welche er ursprünglich mit Bertrand Lesca und Nasi Voutsas für das Festival d'Avignon entwickelte, findet nun in einer Neuinszenierung zu einem deutschsprachigen Publikum. Es ist ein für Gemeindezentren, Fußballplätze und Freilichtbühnen geeignetes Wanderstück und zugleich Auftakt der Reihe "Volksstück", die von den Wiener Festwochen in Koproduktion mit dem Festival d'Avignon gestaltet wurde.

Um an diesen unterschiedlichen Spielstätten gleichermaßen umsetzbar zu sein, müssen Technik und Bühnenbild einfach gehalten werden. Schauplatz ist ein Restaurant: Tisch, Sessel, ein Gast, der ein Glas Wein ordert, ein Ober, der dieses serviert. Die Ausgangssituation ist also denkbar simpel - oder sie wäre es, würden die zwei Schauspieler (Frank Genser und Christoph Schüchner) nicht gleich zu Beginn für unterhaltsame Verwirrung sorgen, indem sie die vierte Wand brechen und dem Publikum den Szenenablauf erklären. Dass sich die beiden dabei in ausufernden Erläuterungen, Detailfragen und Diskussionen rund um Begrifflichkeiten verheddern, gehört natürlich zur Show. Ein etwas ungewöhnlicher Einstieg, der satte 15 Minuten dauert und mit Sicherheit Interesse weckt, wie die vermeintlich simple Szene denn nun aussehen mag.

Es darf so viel vorweggenommen werden: Simpel ist Etchells' nahezu requisitenfreies Stück mit Sicherheit nicht. In einem musikalisch begleiteten Wechsel und Spiel rund um die Rollen des Kellners und des Gasts sowie unzählbaren Wiederholungen und Abwandlungen der kurzen Szene entstehen Irritation, Skurrilität, Witz und - nicht zuletzt - Erwartungen. Die beiden Darsteller schaffen es dennoch immer wieder ebenjene Erwartungen zu enttäuschen und das Publikum mit Groteskem und Überspitztem, mit Missverständnissen und Aneinander-Vorbeigerede zu überraschen. Zwischendurch fehlt während des bestimmt 15. Rollentauschs der Gast, dann sind es plötzlich zwei Gäste, die sich über den "ganz schlechten Service" des Restaurants beklagen. Gelacht wurde fast durchgehend.

Wenngleich die humorvolle Komponente des Stücks klar im Vordergrund steht, verbirgt sich unter der Oberfläche der Kellner-Gast-Interaktion durch die Auseinandersetzung mit Machtdynamiken und Verantwortung ein tiefgründiger Kern, ein reflexiver Moment, der sich in die Programmatik der "Freien Republik Wien", welche die aktuelle Weltlage mit den Mitteln der Kunst beleuchten will, eingliedert. Schade, dass Etchells sich dazu entschied, dem Publikum beim Erkennen dieser Ebene auf die Sprünge zu helfen und die Schauspieler direkt ansprechen lässt, dass es sich mit ihrer Restaurant-Szene "wie im Leben" verhalte. Raum zum eigenständigen Weiterdenken bleibt trotzdem, denn der gebotene Interpretationsspielraum ist groß.

Neben dem Ideenreichtum Etchells' ist die schauspielerische Leistung von Genser und Schüchner hervorzuheben. Schließlich zählt es wohl kaum zu den einfachen Aufgaben eines Schauspielers, sich die Vielzahl an minimal variierten sprachlichen und inhaltlichen Wiederholungen einzuprägen. "Ich bin komplett durcheinander", seufzt der Gast. Oder ist es der Ober?

Dass die Premiere des Wanderstücks im Bühnenraum eines Restaurants stattfand, ließ das Publikum über mangelnden Komfort klagen, eröffnete jedoch gleichzeitig eine Metaebene und vereinfachte mit Sicherheit, den in den gut 70 Minuten aufkommenden Durst zu stillen. Fußballplatz und Freilichtbühne werden hier wohl umdenken müssen, doch wie "Die Rechnung" bewiesen hat, ist das für Etchells' Team ein Leichtes.

(Von Selina Teichmann/APA)

(S E R V I C E - "Die Rechnung" im Rahmen der Wiener Festwochen an 15 Spielorten in den Bezirken. Basierend auf "L ́Addition" von Tim Etchells, Bertrand Lesca und Nasi Voutsas, Regie und Text: Tim Etchells, Bühne: Richard Lowdon, Übersetzung: Astrid Sommer. Mit Frank Genser, Christoph Schüchner. Weitere Aufführungen am 23., 25., 28., 29. Mai und am 1., 3., 5., 7., 8., 11., 15., 19., 21., 23. Juni. Infos und Tickets unter www.festwochen.at, Premiere im Herbst im Rahmen von "Volkstheater in den Bezirken" am 13. September, weitere Termine und Tickets auf www.volkstheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • 'Die Rechnung', ein Theaterstück von Tim Etchells, verbindet Humor mit Tiefgründigkeit und wird im Rahmen der Wiener Festwochen an 15 verschiedenen Orten aufgeführt.
  • Die Aufführung dauert 70 Minuten und findet in einem simplen Restaurant-Setting statt, wobei die Schauspieler die vierte Wand durchbrechen und direkt mit dem Publikum interagieren.
  • Weitere Vorstellungen sind für den 23., 25., 28., 29. Mai und den 1., 3., 5., 7., 8., 11., 15., 19., 21., 23. Juni geplant.