APA/APA/Musiktheater an der Wien/Monika Rittershaus

Festwochen-"Lulu" als Hochamt stilisierter Künstlichkeit

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Alban Bergs "Lulu" ist ein hochkünstliches Werk, in dem die mythologische Titelfigur zur Folie für männliche Perspektiven wird, ein in der Metaebene spielendes Stück, das 1937 als erste Oper in Zwölftontechnik Uraufführung feierte. Die meisten Regiekräfte mühen sich nun, das stilisierte Geschehen möglichst nahbar zu machen, zu emotionalisieren. Nicht so die Choreografin Marlene Monteiro Freitas bei den Wiener Festwochen. Sie dreht die Schraube noch eine Drehung weiter.

Die Kapverdierin verstärkt bei der Premiere im Musiktheater an der Wien im MQ die Stilisierung, Verkünstlichung noch. Der Festwochen-Stammgast Monteiro Freitas stellt den Sängern Akrobaten und Tänzer zur Seite, die unabhängig vom restlichen Geschehen agieren. Aber auch das singende Ensemble schreitet in Bewegungschoreografien voran, die an den Expressionismus der Entstehungszeit des Stücks gemahnen.

Es ist ein im wahrsten Sinn durchchoreografierter Abend, in dem Personenführung auf höchster Stufe zelebriert wird, insofern als dass jeder zu jedem Zeitpunkt exakte Bewegungsabläufe und Spielflächen zugeteilt bekommen hat. Und es ist ein Abend, in dem Personenführung vollends fehlt, da bewusst keine Spannungsfelder zwischen einzelnen Akteuren aufgebaut werden.

Letztlich ist diese "Lulu" beinahe semikonzertant, da das Sängerensemble so gut wie nicht miteinander agiert, und zugleich ein Bühnenspektakel par excellence, da es praktisch an allen Ecken und Enden in Parallelaktionen wuselt. Dieser Hybrid reflektiert gewissermaßen die ursprüngliche Reflexion geschlechtlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse. Menschen werden zu Objekten, nicht nur die Lulu, die stets als Projektionsfläche für Männerfantasien herhält, während die Männer für gewöhnlich wirklichkeitsgetreue Charaktere darstellen.

Selbst der junge Maestro Maxime Pascal lässt sich auf das Wagnis ein, mit dem Rücken zur Sängerriege auf einer Art Bademeisterausguck zu stehen und somit zwar mit dem RSO, aber weniger mit den Akteuren hinter ihm interagieren zu können. Die machen allerdings auch ohne diese Intensivbetreuung ihre Sache hervorragend. Die stimmlich herausragende, wie stets etwas unterkühlt agierende Vera-Lotte Boecker ist hiermit die ideale Lulu, Bo Skovhus weiß als Dr. Schön seine Neigung zur Bühnengewalt zu zügeln und in den Archetypus zu gehen, während Edgaras Montvidas als Alwa zwar eine steife Figur, aber einen beweglichen Tenor unter Beweis stellt.

Alle tragen dabei die Einheitsuniform noch unfertiger Maßanzüge, an denen die offenen Nähte ebenso vom Prozess des Werdens künden wie die gespielte Fassung, die den Torso der von Berg bekanntlich nicht mehr vollendeten "Lulu" als Grundlage hat. Die Vollendung der Oper mit dem 3. Akt aus den 70ern durch Friedrich Cerha wird hier ersetzt durch einen konzertanten Epilog aus Teilen der "Lulu"-Suite. Es ist der Moment des Durchschnaufens nach viel Bühnenzirkus, den so manche im Publikum zum Luftholen für die Buhs nutzten, die im Anschluss der Regie zuteil wurden. Monteiro Freitas hat mit ihrer Interpretation zweifelsohne eine legitime, stückimanente Entscheidung getroffen. Aber eben keine, welche die "Lulu" emotional nahbar macht.

(S E R V I C E - "Lulu" von Alban Berg im Rahmen der Wiener Festwochen im Musiktheater an der Wien im MQ, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Regie/Choreografie/Kostüme: Marlene Monteiro Freitas, Bühne: Yannick Fouassier/Marlene Monteiro Freitas, Musikalische Leitung des RSO: Maxime Pascal. Mit Vera-Lotte Boecker - Lulu, Bo Skovhus - Dr. Schön, Edgaras Montvidas - Alwa, Cameron Becker - Maler, Anne-Sofie von Otter - Gräfin Geschwitz, Kurt Rydl - Schigolch, Katrin Wundsam - Garderobiere/Gymnasiast, Martin Summer - Tierbändiger/Athlet, Paul Kaufmann - Prinz/Kammerdiener, Andreas Jankowitsch - Theaterdirektor, Franz Tscherne - Medizinalrat, u.a. Weitere Aufführungen am 29. und 31. Mai sowie am 2., 4. und 6. Juni. www.festwochen.at/lulu)

ribbon Zusammenfassung
  • Alban Bergs "Lulu" ist ein hochkünstliches Werk, in dem die mythologische Titelfigur zur Folie für männliche Perspektiven wird, ein in der Metaebene spielendes Stück, das 1937 als erste Oper in Zwölftontechnik Uraufführung feierte.
  • Die meisten Regiekräfte mühen sich nun, das stilisierte Geschehen möglichst nahbar zu machen, zu emotionalisieren.

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