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Festival statt Kulturhauptstadt: Die "Tangente St. Pölten"

"Es ist ein aufregender historischer Moment, in dem sich Sankt Pölten befindet. Es ist eine Stadt im Moment der Transformation. Das bietet die Möglichkeit, Teil dieses Wandels zu sein", schwärmt Tarun Kade. Der Münchener des Jahrgangs 1984 kam vor einem halben Jahr nach Niederösterreich, um den künstlerischen Leiter Christoph Gurk bei der Vorbereitung des Festivals Tangente St. Pölten zu unterstützen. Heute steht er selbst an der Spitze des kuratorischen Teams.

Die Tangente ist die Umsetzung des Plans B, den St. Pölten für den dann eingetretenen Fall, nicht den Titel "Europäische Kulturhauptstadt 2024" an Land ziehen zu können, in der Schublade hatte. Und ähnlich wie in Bad Ischl, das das Rennen machte, ging es nicht ohne Turbulenzen ab. Im Juni wurde Gurks Vertrag wegen "unauflösbarer Differenzen" mit der Geschäftsführung der NÖ Kulturwirtschaft GesmbH (NÖKU) gelöst. Wenig später stieg das deutsche Kollektiv Endboss, das das Festivalzentrum gestalten hätte sollen, aus demselben Grund aus.

Kommentieren will das Tarun Kade nicht, räumt aber ein, dass bei dem Projekt mit dem Land Niederösterreich, der Stadt St. Pölten und der NÖKU verschiedene große Player unter ein Dach zu bringen waren. "Die Erwartungen all' dieser Menschen waren natürlich unterschiedlich. Ich habe meine Aufgabe vor allem darin gesehen, einen gemeinsamen Spirit zu erzeugen. Es war zu großen Teilen eine moderierende Aufgabe - aber das war schon als Dramaturg ein wichtiger Teil meiner Arbeit." Politisch sei aber auf das Programm keinerlei Druck ausgeübt worden, versichert Kade: "Da gab's nichts! Wir konnten völlig frei agieren."

Das Tangente-Programm, zusammengefasst in einem 416-seitigen Programmbuch, kann sich sehen lassen. Es beschäftigt sich, ähnlich wie die Kulturhauptstadt Salzkammergut Bad Ischl, mit Geschichte und Gegenwart und bezieht auch die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit mit ein. "Im Zentrum der Tangente sind die Stadtprojekte." Ziel war es, eine möglichst große Teilhabe der Bewohner zu erreichen und dabei möglichst viele unterschiedliche Communitys anzusprechen. "Es gibt viele zivilgesellschaftliche Initiativen und eine ganze Reihe von Leuten, die Lust haben, diese Stadt mitzugestalten." Homebase dafür ist das Festivalzentrum in der Linzer Straße, das nun von dem Kollektiv Biennale Urbana verwirklicht wird und auch über 2024 hinaus als neues Zentrum für Gegenwartskultur bestehen bleiben soll.

"Sankt Pölten ist auf der Suche nach einer neuen Identität", fasst Kade seine Erfahrungen mit der Stadt an der Traisen zusammen. Aktive Geschichtsaufarbeitung wird etwa bei "X-Erinnerungen" von Matthias Lilienthal betrieben, der mit drei Parcours an 21 Orte einlädt, von privaten Wohnungen über Leerstände bis zu Bauernhöfen oder Vereinsheimen, um mit Performances, Stücken oder Installationen historische Spurensuche zu betreiben. Und in den früher zum Himmel stinkenden, heute stillgelegten Glanzstoff Werken wird etwa von Susanne Kennedy und Markus Selg das Projekt "Wasteland" realisiert.

Doch die Wandlung der Industrie- zur Verwaltungsstadt und die dank des Westbahn-Ausbaus größere Nähe zu Wien hat auch viele Probleme gebracht. "Die Mietpreise sind fast so hoch wie in Wien", erzählt der Leiter von seinen eigenen Erfahrungen mit der Wohnungssuche. Doch das Kulturangebot konnte sich schon bisher sehen lassen, meint er. Und künftig werde es noch besser - denn so manches Großprojekt, das St. Pölten in seiner auf ein 60-Millionen-Euro-Budget angelegten Kulturhauptstadt-Bewerbung hatte, wird nun dennoch errichtet. Etwa das KinderKunstLabor im Altoonapark, das ab Ende Juni in jährlich zwei Ausstellungen und zahlreichen Workshops Kinder bis 14 Jahren zu einer aktiven und innovativen Auseinandersetzung mit Kunst anregen soll.

Das Tangente-Budget wird mit 17,6 Millionen Euro angegeben. Damit ist ein umfangreiches Programm auf die Beine gestellt worden. Gestartet wird das "Festival für Gegenwartskunst" mit zwei dichten Auftakt-Wochen ab 30. April. "Diese ersten Tage sind besonders wichtig in einer Festivaldramaturgie." So gelangt schon am ersten Abend im Festspielhaus die Oper "Justice" von Milo Rau, Hector Parra und Fiston Mwanza Mujila zur Aufführung oder wird anderntags Olivier Messiaens "Katalog der Vögel" im Festspielhaus, der ehemaligen Synagoge und an öffentlichen Plätzen erklingen und der Kunstparcours "The Way of the Water" entlang der Traisen und des Mühlbachs eröffnet.

Apropos Eröffnung: Hat der Leiter bei Veranstaltungen Berührungsängste gegenüber Politikern der in Niederösterreich mitregierenden FPÖ? "Ich glaube, unsere Aufgabe ist es, in erster Linie durch unser Programm zu sprechen. Es gibt diese drei Themen Ökologie, Erinnerung und Demokratie - und ich denke, dass wir durch das künstlerische Programm zeigen, dass wir ein kritisches, emanzipatorisches, antirassistisches Festival sind und mit jenen zusammenarbeiten, die durch ihre Arbeit dies auch offen ausdrücken. Diese Foren als Orte der Versammlung zu schaffen, ist auf der Welt wie in Niederösterreich gegenwärtig besonders wichtig."

Mit der Kulturhauptstadt Bad Ischl gibt es übrigens keine konkreten Kooperationen, aber eine freundschaftlichen Austausch, sagt Tarun Kade: "Wir wollen uns gegenseitig viel besuchen."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Tangente St. Pölten, 30. April bis 6. Oktober 2024, https://www.tangente-st-poelten.at/de )

ribbon Zusammenfassung
  • Der Münchener des Jahrgangs 1984 kam vor einem halben Jahr nach Niederösterreich, um den künstlerischen Leiter Christoph Gurk bei der Vorbereitung des Festivals Tangente St. Pölten zu unterstützen.
  • Das Tangente-Budget wird mit 17,6 Millionen Euro angegeben.
  • Mit der Kulturhauptstadt Bad Ischl gibt es übrigens keine konkreten Kooperationen, aber eine freundschaftlichen Austausch, sagt Tarun Kade: "Wir wollen uns gegenseitig viel besuchen."