"Ferienhaus" in der Burg: Fordernder, aber lohnender Abend
Nicht nur in Hinblick auf das Bühnenbild fühlt man sich an das Jahr 2018 erinnert, als der in Wien lebende Australier sein "Hotel Strindberg" im Akademietheater auf die Bühne wuchtete. Auch diesmal blickt man wieder voyeuristisch in ein Glashaus, auch diesmal hat der 41-jährige Regie-Star Motive aus dem Werk eines großen Autors zu einem ganz eigenen Kosmos verwoben. Schauplatz ist ein sich ständig drehender, riesiger gläserner Bungalow (Bühne: Lizzie Clachan), in dem sich eine über drei Generationen spannende Familientragödie entfaltet, die mit intensiven Einzelszenen überzeugt und am Ende buchstäblich in Flammen aufgeht. Denn Stone hat Dantes "Göttliche Komödie" umgedreht und lässt den dreiteiligen Abend im "Paradies" beginnen, bevor er sich langsam aber stetig über das "Fegefeuer" bis zum "Inferno" hochschraubt.
Im Zentrum steht Michael Maertens als erfolgreicher Architekt Carl Albrich, der seiner Familie 1964 ein Ferienhaus gebaut hat, das über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren zum Schauplatz von sichtbaren wie unsichtbaren Tragödien wird. Es wäre jedoch zu einfach, würde Stone die Geschichte chronologisch erzählen, und so muss man sich an die eingeblendeten Jahreszahlen und die jeweils an die Zeit angepassten Kostüme von Mel Page und Emma White halten, will man einigermaßen im Bilde bleiben. Auch vom Versuch, die verschiedenen Figuren und Geschichten einzelnen Ibsen-Stücken zuzuordnen, muss man sich bald verabschieden. Immer wieder blitzen Motive zwischen "Baumeister Solness", "Ein Volksfeind" oder "Nora oder ein Puppenheim" auf, jedoch bedient sich Stone wie stets einer zeitgemäßen Sprache mit aktuellen Bezügen von der Flüchtlingsbewegung bis zum Brexit.
Bevölkert wird das Ferienhaus von nicht weniger als zehn Familienmitgliedern. Als Carls konkurrierender Bruder Thomas liefert Roland Koch gewohnt starke Szenen mit Maertens, tritt aber auch (in einem anderen Jahrzehnt) als sein eigener Sohn auf. Elisabeth Augustin ist nicht nur die Mutter der beiden, sondern auch Carls Ehefrau, Maertens schlüpft wiederum auch in die Schuhe seines Neffen Daniel. Der Überblick ist da kaum zu behalten. Es ist ein rasantes Kommen und Gehen, ein Wiedersehen und Sich-wieder-Trennen, ein Aufreißen von alten Wunden und immer wieder eine große Anklage. Denn hinter dieser imaginären Fassade steckt ein düsteres Geheimnis. Und so hat jede Generation mit den Auswüchsen ihrer Traumata zu kämpfen.
Intensive Szenen von Minichmayr, Peters und Hackl
Besonders starke Szenen gelingen Birgit Minichmayr als alkoholkranke, stets am echten Leben vorbeischrammende und mehr über den Boden kriechende als aufrecht gehende Caroline und Michael Wächter als ihrem Ehemann Arthur. Caroline Peters und Franziska Hackl berühren als liebevolles lesbisches Paar, das am Ende merken muss, dass Liebe allein nicht gereicht hat, um die eigene Tochter (Fabia Matuschek) vor dem Missbrauch durch den Patriarchen zu beschützen. Denn nach und nach kommt ans Licht, was die Frauen in diesem Haus als vermeintliches Einzelschicksal tief im Unterbewusstsein begraben haben: die sexuellen Übergriffe durch Carl, der als Vater, Onkel und selbst Großvater sein Unwesen getrieben hat.
Und als gäbe es der Tragödien nicht genug, schenkt Stone Thiemo Strutzenberger eine eindringliche Szene, in der er als Carls Sohn 1986 nach Hause zurückkehrt, um in den Armen seiner Mutter (Hackl) einen quälenden Aids-Tod zu sterben. Spätestens an jenem Punkt stellt man sich die Frage, wie viele Tragödien eine einzige Familie heimsuchen können. Da ist es nur konsequent, dass das sprichwörtliche Inferno nicht mehr weit ist und die Risse in diesem Glashaus nicht mehr zu kitten sind. Und die Erinnerungen, die dieses Haus über die Jahrzehnte eingeschlossen hat, in Rauch aufgehen. Nach fast vier Stunden (inklusive einer Pause) war das gebannte Publikum dann nicht mehr zu halten und spendete dem Ensemble wie dem Regie-Team jubelnde Standing Ovations.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Das Ferienhaus" von Simon Stone nach Henrik Ibsen im Burgtheater, Regie: Simon Stone, Bühne: Lizzie Clachan, Kostüme: Mel Page, Emma White. Mit u.a. Franziska Hackl, Roland Koch, Michael Maertens, Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Thiemo Strutzenberger. Kommende Termine: 22. und 26. Dezember, 3., 9. und 16. Jänner 2026. www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Im Burgtheater Wien feierte das Stück „Das Ferienhaus“ von Simon Stone am Donnerstag in Starbesetzung eine fast vierstündige Premiere.
- Das Bühnenbild besteht aus einem sich drehenden, gläsernen Bungalow, in dem sich über mehr als 60 Jahre eine Familientragödie entfaltet.
- Im Mittelpunkt steht der Architekt Carl Albrich, der 1964 das titelgebende Ferienhaus für seine Familie errichtet hat.
- Das Stück thematisiert generationsübergreifende Traumata und insbesondere sexuelle Übergriffe durch das Familienoberhaupt Carl.
- Das Publikum zeigte sich begeistert und spendete dem Ensemble sowie dem Regieteam am Ende Standing Ovations.
