Erl-Eröffnung zwischen Europa-Kritik und Zuversicht
"Einfacher ist die geopolitische Realität nicht geworden", hielt Meinl-Reisinger gleich zu Beginn ihrer Eröffnungsrede fest und verwies auf die zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen, die derzeit rund um den Globus den Alltag der Menschen prägen. Auf ihrer jüngsten Reise in den Nahen Osten spürte sie bei allen Akteuren aber vor allem eines: "Den Wunsch nach Frieden". Die Außenministerin ortete nun ein "Zeitfenster für den Frieden" und wollte, dass sich Österreich dabei einbringt: "Als Brückenbauer oder auch als Verhandlungsort".
Mehr Engagement erwartete sich Meinl-Reisinger auch von der EU. Die "Zeitenwende" werde zwar rhetorisch beschworen, "aber die Taten fehlen oft". In der Außenpolitik bedeute die "Vielstimmigkeit" der Union eine "Schwäche". Europa müsse die eigenen Interessen verteidigen und sich "wirtschaftlich und militärisch" stärken. "Isolationismus macht uns schwächer", hielt die Politikerin fest und mahnte "Innovation und Fortschritt, Freihandel statt Protektionismus" und einen Fokus auf die Diplomatie ein. Die Krise sah sie zudem "vor allem durch Lethargie, Resignation und einem Rückzug ins Private" begründet. Gleichzeitig ortete sie eine "Sehnsucht nach Innovation, Mut und tragfähigen Beziehungen" und plädierte dafür, sich davon "berühren zu lassen".
Zu einer Europarede holte indes auch Fischler aus, der jedoch einen recht ernüchternden Sachbefund stellte: Die EU habe "keine überzeugenden Konzepte für eine zunehmend multipolare Welt" und für die eigene Sicherheit. Zu geopolitischen Verhandlungen werde die Union "nicht mehr eingeladen". Zudem ortete er strukturelle Probleme: "Wir vergreisen" und können bei "Schlüsseltechnologien nicht mehr mithalten". Europäische Werte würden vernachlässigt und die EU lasse sich von Mitgliedsstaaten "erpressen".
"Aber wenn wir die Dinge ändern wollen, müssen wir auf unsere Stärken bauen", meinte der ehemalige Präsident des Forum Alpbach, der heuer erstmals anstelle von Festspiel-Präsident Hans Peter Haselsteiner die Rede zum Thema Europa hielt. Schließlich sei die Union der "größte Binnenmarkt und die größte Handelsmacht der Welt", erinnerte er an das wirtschaftliche Potenzial Europas. Es brauche Initiativen zur Stärkung von Leistung, eine Reform der europäischen Verträge und Bürokratie müsse abgebaut werden: "Wir müssen die Verehrung des Heiligen Bürokratius bekämpfen. Meine Damen und Herren - er ist kein Heiliger", hielt er fest und erntete dafür Schmunzeln aus dem Publikum.
Mattle betonte "Friedensprojekt Europa"
Tirols Landeshauptmann und Kulturreferent Anton Mattle (ÖVP) betonte wiederum die Bedeutung Europas als Friedensprojekt: "Es ist nicht selbstverständlich, in einer Union zu leben, die uns 80 Jahre Frieden gegeben hat". Dennoch müsse man "Tag für Tag" an der Demokratie arbeiten. In einem "multikulturellen Europa" würde Kunst indes als "universelle Sprache" dienen und verbinden: "Unsere Stärke liegt in der Gemeinschaft", konstatierte der Landeschef vor Gästen wie Alt-Landeshauptmann Wendelin Weingartner oder Ex-Innen- und Finanzministerin Maria Fekter (beide ÖVP).
Festspiel-Präsident Haselsteiner begnügte sich in diesem Jahr mit nur wenigen Worten an das Publikum. Bis zuletzt hatte der 81-Jährige stets eine von Europathemen geprägte Rede am Eröffnungsabend gehalten. Erl sollte jedenfalls mit dem "großen Projekt Europa verbunden" bleiben, hielt er zu Beginn fest. Daher werde es nun jährlich einen Gastredner geben, der seine Gedanken zu Europa formuliere. Haselsteiner begrüßte das Publikum dennoch mit "Pauken und Trompeten" und kündigte "faszinierende Festspiele" unter der Intendanz von Startenor Jonas Kaufmann an.
Festspiel-Orchester mit großartigem Spiel
Sehr wohl in großartige Erscheinung getreten ist dagegen das Orchester der Festspiele Erl. Vor, zwischen und nach den Reden wurden Stücke aus Hans Pfitzners Oper "Palestrina" gegeben. Die Musik unterstrich in zu Beginn teils dramatischen, traurigen und auch wehmütigen Tönen die Reden zur Lage Europas eindrücklich, wobei zuletzt doch noch Hoffnungsvolles erklang. Nach der Pause gehörte die Bühne indes dem Orchester unter der Leitung von Asher Fisch. Ganz in Erl-Manier durfte ein Richard Wagner nicht fehlen und das bedächtig-vorsichtige Vorspiel zum ersten Aufzug des "Parsifal" wurde gespielt. Den Höhepunkt bildete schließlich Claude Debussys "La Mer", das sich zunächst zart-verträumt anbahnte und mit einem fulminanten Ende die Festspiele endgültig eröffnete.
Kaufmann bei Wagner-Gala auf der Bühne
Während Intendant Kaufmann am Eröffnungsabend nicht präsent war, wird der Startenor jedoch bei der ausverkauften Wagner-Gala am Samstag als Siegmund auf der Festspielbühne stehen. Tags zuvor wird die zeitgenössische Oper "Picture a day like this" von George Benjamin gegeben. Ebenfalls am Spielplan stehen die Opern "La voix humaine" von Francis Poulenc und Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg". In musikalisch anderes Terrain wird das Publikum von "Holzfällen" geführt: Die Erl-Stammgäste der Musicbanda Franui sowie Schauspieler Nicholas Ofczarek bringen Thomas Bernhards Roman auf die Bühne. Darüber hinaus werden konzertante Werke von Giuseppe Verdi gegeben.
Zusammenfassung
- Die 26. Tiroler Festspiele Erl wurden am Donnerstagabend mit einem Schwerpunkt auf Europa eröffnet und von politischen Reden begleitet.
- Außenministerin Beate Meinl-Reisinger forderte in ihrer Eröffnungsrede mehr geopolitisches Engagement der EU und sieht ein 'Zeitfenster für den Frieden', in dem Österreich als Brückenbauer agieren sollte.
- Ex-EU-Kommissar Franz Fischler kritisierte das Fehlen überzeugender Konzepte der EU für eine multipolare Welt, mahnte jedoch, auf die wirtschaftlichen Stärken Europas zu setzen und forderte Bürokratieabbau.
- Tirols Landeshauptmann Anton Mattle betonte Europas Rolle als Friedensprojekt und erinnerte daran, dass die EU seit 80 Jahren Frieden garantiert.
- Das Festspiel-Orchester überzeugte mit Werken von Hans Pfitzner, Richard Wagner und Claude Debussy, während Startenor Jonas Kaufmann bei der ausverkauften Wagner-Gala am Samstag auftreten wird.