Einmal kein Dürer: 700-Kilo-Hasenskulptur in der Albertina
"Motherscape", eine Wortschöpfung aus Mutterschaft (die Ikemura nicht im familiären Sinn, sondern als lebensspendende Kraft versteht) und Landschaft, soll anhand von rund 70 Arbeiten zeigen, wie Ikemura "über Jahrzehnte ein vielschichtiges Bild vom Verhältnis des Menschen zur Natur, von weiblicher Schöpfungskraft und universaler Lebendigkeit geschaffen hat". In den Bildern der 74-Jährigen verschmelzen Körper und Landschaften, in den Skulpturen aus Terrakotta, Glas und Bronze Menschen und Tiere zu Hybridwesen. Schon am Gang zur Präsentation stimmen derartige Figuren Besucherinnen und Besucher auf Ikemuras fantasievolle, poetische Kunst ein.
Viel Arbeit hat man in die farbliche Gestaltung der Räume und in die Hängung investiert, erfuhr man bei einem Pressetermin am Donnerstag. "Diese Energie spürt man", sagte Gleis. Der erste Raum etwa, die Pfeilerhalle, schaffe gleich "eine besondere Situation", betonte Ikemura. Hier blickt man nach dem Betreten auf ein zentrales Werk, das großformatige Triptychon "Genesis, Tokaido, Tokaido" (Tempera auf Jute). Die dargestellten Landschaften lassen sich nicht topografisch festlegen, sondern würden aus ihrem Inneren kommen, sagte die Künstlerin. "Die Bilder sind wie ein Tanz, sie folgen einem inneren Rhythmus."
Ob Kohle auf Papier, patinierte Bronze oder Pastell: "Ich bin sehr neugierig in Bezug auf Techniken", kommentierte Ikemura ihre Bandbreite. Eine markante Werkserie trägt den Titel "Girls": Das Werden, die Unsicherheit und die Sehnsucht nach Veränderung verkörpernd, weisen diese Darstellungen von jungen Frauen für Gleis "Selbstbewusstsein, aber auch Verletzlichkeit auf". Die Stücke der Serie "Werden" wiederum versteht Ikemura als kein abgeschlossenes Werk. Jede Figur, jedes Gemälde und jede Zeichnung sei Teil eines fortlaufenden Geschehens, durch Risse und Bruchstellen bleibt der Herstellungsprozess sichtbar.
Hase als Freiheitssymbol
"Motherscape" versteht sich als Bilderwelt, "bevölkert auch von skulpturalen Elementen, die in den Raum hineingehen" (Gleis), die Verbindung asiatischer und westlicher Kultur wird sichtbar. Man darf über humorvolle Darstellungen auch lachen, so wie die Künstlerin und Gleis bei der Sichtung für die Auswahl. Ernsthaft ist die Stimmung am Ende: Aus Betroffenheit über das Erdbeben und die Nuklearkatastrophe von Fukushima schuf Ikemura die riesige Skulptur "Usagi Kannon Janus", in der sie die Gestalt eines Hasen mit Kannon, dem weiblichen Bodhisattva des Mitgefühls verbindet - platziert vor einer Dreikanal-Videoinstallation.
Welche Bedeutung das Tier für sie hat? "Ein Hase läuft zick-zack in unterschiedliche Richtungen, das steht für mich für einen Freiheitswunsch", antwortete die Künstlerin im APA-Gespräch. "Seine Ohren stellen eine Verbindung zum Universum dar - wie ein Navi", schmunzelte sie. Und nicht zuletzt repräsentierte der massige Unterkörper der Figur die Erdverbundenheit. Sie habe "schlaflose Nächte" gehabt ob der Sorge, mit der Schau dem Ruf der Albertina gerecht zu werden, gestand Ikemure beim Pressegespräch. Beim Durchschreiten der "emotionalen Landschaften" (Gleis) und Betrachten der Essenz aus dem langen Schaffen der Künstlerin wird schnell klar: Die Sorge war unbegründet.
(S E R V I C E - "Leiko Ikemura: Motherscape" in der Albertina, kuratiert von Raph Gleis, Co-KUratorin Elsy Lahner, 14.11.25-6.4.26, täglich 10-18 Uhr, Mittwoch und Freitag 10-21 Uhr; www.albertina.at)
Zusammenfassung
- Das Herzstück der Ausstellung 'Motherscape' in der Albertina ist eine 3,40 Meter hohe und 700 Kilogramm schwere janusköpfige Hasenskulptur der japanischen Künstlerin Leiko Ikemura, die ab 14. November zu sehen ist.
- Rund 70 Werke, darunter Gemälde, Skulpturen aus Terrakotta, Glas und Bronze sowie Videos, zeigen Ikemuras Auseinandersetzung mit der Verbindung von Mensch und Natur sowie weiblicher Schöpfungskraft.
- Die Skulptur 'Usagi Kannon Janus' entstand aus Betroffenheit über die Katastrophe von Fukushima und symbolisiert laut Ikemura Freiheit, Erdverbundenheit und eine Verbindung zum Universum.
