APA/APA / Kunsthalle Wien/Rahima Gambo / courtesy die Künstlerin und Tatsuniya Art Collective

"Do Nothing, Feel Everything": Komplexe Schau am Karlsplatz

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"Do Everything. Feel Nothing." lautete der Slogan einer Tampon-Werbung. "Wir fanden, dass das Versprechen der Betäubung und Gefühllosigkeit symptomatisch für unsere Zeit ist", sagt Laura Amann. Gemeinsam mit Aziza Harmel hat sie eine internationale Gruppenausstellung kuratiert und den Titel umgedreht: "Do Nothing, Feel Everything" wird am Donnerstagabend in der Dependance der Kunsthalle Wien am Karlsplatz eröffnet und im Frühjahr in der Kunsthalle Bratislava zu sehen sein.

12 Positionen von 13 Künstlerinnen und Künstlern haben die Kuratorinnen, auf größtmögliche Diversität Wert legend, ausgewählt. Das Konzept hinter dem kryptischen Titel erschließt sich nicht von selbst. Es gehe um die "Erkenntnis, dass körperliches und geistiges Wohlbefinden keine individuelle Angelegenheit ist", um Ausgrenzung, die sich institutionalisiert habe, aber auch um Bezüge zur Kunstgeschichte, erklärte Amann bei der heutigen Pressekonferenz. Geistige Gesundheit, Trauer, Heilung waren Stichworte, die Aziza Harmel beisteuerte, Kunstpraxis als Ort des Wissens wie des Ausprobierens. Der "ständige Ausnahmezustand, der oft zu Apathie und Erschöpfung führt, macht es unmöglich, in sich abgeschlossene emotionale Phasen zu durchleben", verrät der Pressetext. "Vor diesem Hintergrund ist 'Do Nothing, Feel Everything' zuallererst ein Akzeptieren dieser Unmöglichkeit." Alles klar? Keineswegs. Also hinein in die Ausstellung.

Schon die Geschichte eines einzigen Bildes macht deutlich, dass hier sehr viel mehr verhandelt wird, als vordergründig zu sehen ist. Die verstörende Zeichnung zeigt sechs kleine Mädchen mit leeren Augenhöhlen, eines davon sitzt nackt auf einer Schaukel. Der eigenbrötlerische US-Amerikaner Henry Joseph Darger hinterließ bei seinem Tod 1973 ein riesiges, 15.000 Seiten umfassendes Erzählwerk mit rund 300 aquarellierten und collagierten Illustrationen. Hauptfiguren der wunderlichen und gewaltvollen Saga waren die "Vivian Girls", Prinzessinnen, die gegen die Versklavung von Kindern kämpften. All das erschließt sich natürlich nicht von selbst, deutet aber an, wie sehr auf diesen wenigen Quadratmetern nur Spitzen von Eisbergen präsentiert werden, deren zerstörerische Kraft unter der Oberfläche schlummert.

Darger wird heute der Outsider Art zugerechnet, zu deren internationalen Stars die Gugginger Künstler zählen. Laila Bachtiar, geboren 1971 in Wien, arbeitet als Artist in Residence im Haus der Künstler in Gugging. Am Karlsplatz sind einige Tierzeichnungen von ihr zu sehen, überzogen von einer Gitterstruktur, die an zusammengefügte Puzzleteile erinnert. Wenige Schritte weiter stechen Illustrationen ins Auge, die Tom Seidmann-Freud für Kinderbücher wie "Die Fischreise" oder "Buch der Hasengeschichten" geschaffen hat. Als Nichte von Sigmund Freud wurde sie 1892 in Wien geboren, änderte aber als Teenager ihren Namen von Martha auf Tom und begann gelegentlich Männerkleider zu tragen. Mit ihrem Mann Yankel Seidmann gründete sie in Berlin einen Kinderbuchverlag und folgte ihm 1930, wenige Monate nach dessen Suizid, in den Tod. Was für eine Geschichte!

Derartige Hintergründe, die aber konstituierend für die Ausstellung sind, erfährt man bei Lektüre des begleitenden Booklets oder bei einer der Führungen, die ebenso wie der Eintritt gratis sind. Man sollte diese Angebote unbedingt annehmen, denn auch Werke wie der von der Chilenin Patricia Domínguez aufgestellte Altar, auf dem Blütenblätter und Heilpflanzen mit modernster Technik kombiniert werden, der bauklotzartig zusammengesetzte "Pink Tower" von Shana Moulton oder die an Schauplätzen von Boko-Haram-Angriffen entstandenen Fotoarbeiten der in Nigeria und London lebenden Multimediakünstlerin Rahima Gambo geben Rätsel auf, die nur mithilfe von Zusatzinformationen zu lösen sind.

"Ein thematischer Ausgangspunkt für die Kuratorinnen war der Wahnsinn und seine Beziehung zur Kunstgeschichte", heißt es programmatisch zum Konzept. Dass der Wahnsinn Methode hat und "Vorstellungen des Paranoiden" nicht selten mit "hegemonialer Machtdynamik" einher gehen, versucht die Ausstellung zu zeigen. Ob ihr das gelingt, hängt in den kommenden Wochen wohl nicht nur von der Reflexionsbereitschaft der Besucher, sondern auch von der Arbeit der Kunstvermittler und -vermittlerinnen ab. Denn, um einen anderen Werbeslogan abzuwandeln: Nie war sie so wertvoll wie heute.

(S E R V I C E - "Do Nothing, Feel Everything", Ausstellung in der Kunsthalle Wien Karlsplatz, Wien 4, Treitlstraße 2, 18. November bis 20. Februar 2022, Di-So 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr. Eintritt frei. www.kunsthallewien.at)

ribbon Zusammenfassung
  • "Wir fanden, dass das Versprechen der Betäubung und Gefühllosigkeit symptomatisch für unsere Zeit ist", sagt Laura Amann.
  • "Vor diesem Hintergrund ist 'Do Nothing, Feel Everything' zuallererst ein Akzeptieren dieser Unmöglichkeit."
  • (S E R V I C E - "Do Nothing, Feel Everything", Ausstellung in der Kunsthalle Wien Karlsplatz, Wien 4, Treitlstraße 2, 18. November bis 20. Februar 2022, Di-So 11-19 Uhr, Do 11-21 Uhr.