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"Die Vegetarierin" wandelt in Zeitlupe im Akademietheater

Heute, 08:09 · Lesedauer 4 min

Yong-Hye will kein Fleisch mehr essen, denn sie hatte einen Traum. Und dieser war verstörend. Wie ihre Familie darauf reagiert, kann ebenso als verstörend bezeichnet werden. Ist das mit ein Grund, warum die Frau letztendlich beschließt, sich wie eine Pflanze nur noch von Wasser und Licht zu ernähren? Das Publikum im Wiener Akademietheater hat genug Zeit, darüber zu sinnieren, hebt Marie Schleef den Roman "Die Vegetarierin" von Han Kang doch in Zeitlupe auf die Bühne.

Für die deutsche Regisseurin hätte es wohl kaum besser kommen können. Lange Zeit bemühte sie sich um die Rechte für die Bühnenversion. Sie erhielt diese schließlich noch bevor, die Südkoreanerin Han Kang Ende des Vorjahres mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der Bekanntheit von "Die Vegetarierin" war das wohl alles andere als abträglich und die Spannung entsprechend hoch, wie sich der Roman über eine surreale Metamorphose wohl auf der Bühne macht.

Die Bühne sieht man bei der deutschsprachigen Erstaufführung am Freitagabend zunächst nicht. Stattdessen spielt sich auf einer riesigen Leinwand etwas ab, was der besagte Traum von Yong-Hye sein könnte. Bedrohlich geht es da zu, auch wenn man nicht genau weiß, warum. Eine unruhige Kameraführung und rasche Schnitte sorgen für eine Reizüberflutung, die in starkem Kontrast zu dem steht, was folgt: Slow-Motion-Theater.

Die Frau - souverän gespielt von Kotti Yun - kniet mitten in der Nacht ganz in weiß vor weißem Vorhang auf dem Boden. Um sie herum wabert Nebel, der aus einem nicht sichtbaren, nervtötend lauten Kühlschrank zu dringen scheint. Oder ist es eher eine riesige Kühltruhe oder gar ein Kühllager? Denn was sie alles hervorkramt und über die Bühne zerrt, um es zu entsorgen, kann sich sehen lassen: ein halbes Schwein, ein Rehbock und etwas, dass an einen Menschen erinnert. Ihr Mann (Ernest Allan Hausmann) ist fassungslos. Nicht nur er will von ihr wissen, ob sie verrückt geworden ist. Eindringliche Bitten - oder viel mehr Aufforderungen - von Familienangehörigen, ihre Entscheidung zu überdenken, münden rasch in Gewalt und Selbstverletzung. Einzig ihre Schwester (Alexandra Henkel) lässt so etwas wie Mitgefühl durchblitzen und besucht sie später in einer psychiatrischen Klinik.

Auf das Wesentliche reduziert

Schleef gelingt es, den Roman über Zwang und körperliche Selbstbestimmung auf das Wesentliche zu verdichten. Diese Essenz streckt sie dafür gnadenlos. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bewegen sich konsequent lähmend langsam. Bühnenauf- und -abtritte verkommen zum minutenlangen Kraftakt. Genügend Zeit also, dass tolle Bühnenbild (Lina Oanh Nguyễn) zu studieren oder sich dem unfassbar enervierenden Surren einer Videoausstellung zu widmen, das wohl so manchen Theaterbesucher vor dem Einschlafen bewahrt.

Erst im dritten Drittel des zweistündigen Abends stellt sich auch auf auditiver Ebene Ruhe ein. Bei plätscherndem Bach, Vogelgezwitscher und sachte hin- und herpendelnder Videowand fühlt man sich Yong-Hye, die sich alle Mühe gibt, zur Pflanze zu werden, spirituell nahe. Fast schon würde sich Schleefs "Vegetarierin" als Meditationsübung eignen, wäre da nicht die in verschiedenster Ausprägung omnipräsente Gewalt.

Visuell ansprechend, aber ermüdend

Es bleibt ein visuell ansprechender, aber insgesamt ermüdender Eindruck. Zeitlupenenthusiasten sollten das Akademietheater stürmen. Allen anderen sei folgende Zeile aus dem Stück als Warnung oder Ermutigung ans Herz gelegt: "Du musst dich nur ein bisschen gedulden." Der unermüdliche Teil des Publikums spendete langen, freundlichen Applaus.

(Von Lukas Wodicka/APA)

(S E R V I C E - "Die Vegetarierin" nach dem Roman von Han Kang im Akademietheater. Regie: Marie Schleef, Bühne: Lina Oanh Nguyễn, Kostüme: Ji Hyung Nam. Mit Kotti Yun, Ernest Allan Hausmann, Alexandra Henkel, Philipp Hauß, Jonas Hackmann, Hans Dieter Knebel und Dunja Sowinetz. Weitere Termine: 14. Mai, 2., 14. und 30. Juni. www.burgtheater.at)

Zusammenfassung
  • Im Wiener Akademietheater feierte die deutschsprachige Erstaufführung von "Die Vegetarierin" nach dem Roman von Han Kang Premiere, inszeniert von Marie Schleef, die sich die Rechte noch vor Han Kangs Literaturnobelpreis sicherte.
  • Trotz visuell ansprechender Bühnenbilder und langem Applaus wird das zweistündige Stück als Geduldsprobe beschrieben, mit weiteren Aufführungen am 14. Mai sowie am 2., 14. und 30. Juni.