APA/APA/Musiktheater an der Wien/Karl Forster

Die neue Wiener "Fledermaus" hat ADHS - im guten Sinne

Heute, 04:02 · Lesedauer 4 min

Man muss zugeben: Er hat es provoziert. Dass es am Ende der Auftaktpremiere zur neuen Saison im Musiktheater an der Wien Buhs für den Hausherrn Stefan Herheim geben würde, war abzusehen. Zu sehr hat sich der 55-Jährige als Regisseur der "Fledermaus" aus dem Fenster gelehnt. Tanzende Hitler als Lackhtml5-dom-document-internal-entity1-amp-endLeder-Buben, SA-Männer und neben Johann Strauss auch Verdi, Wagner oder Millöcker als Musik - einer der Höhepunkte des laufenden Strauss-Jubiläumsjahres wollte es wirklich wissen.

Es geht schon ganz am Anfang los. Eine "Fledermaus" nicht mit der legendären Ouvertüre zu beginnen, sondern mit einer Passage aus Beethovens "Fidelio", das bedeutet, dem Publikum bewusst mit dem Allerwertesten ins Gesicht zu fahren. Dafür werden die Premierengäste nach einer Weile mit einer der besten Interpretationen der Ouvertüre belohnt, die je im Haus erklang. Die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka spielen frisch, mit nuancierten Übergängen zwischen den einzelnen Motiven, die sonst oftmals rumpelig daherkommen, nehmen unprätentiös hier und da die Dynamik zurück, erzeugen so Spannung.

Neben dem "Fidelio" wird vor der Ouvertüre aber noch ein Ausschnitt aus "Elisabeth" gespielt - dem dritten großen Werk, das einst im Theater an der Wien das Licht der Welt erblickte. Dabei belässt es Herheim aber nicht, sondern lässt im Verlaufe des 1. Akts auch Verdi und Wagner, Millöcker und Puccini einfließen. Als hätte man die Playlist auf random gestellt.

Zwischen Kaiser Franz Joseph und SA

Aber nicht nur musikalisch holt der Regisseur in diese 1874 im Haus uraufgeführte Operette fremde Themen hinein. Die Sprechrolle des besoffenen Gefängniswärters Frosch legt Alexander Strobele als Kaiser Franz Joseph an - der Kaiser als Froschkönig gewissermaßen. Dabei wird der traditionelle Großmonolog der Figur aus dem 3. Akt auf den gesamten Abend verteilt.

Auch ist es schon eine Weile her, dass SA-Männer im Theater an der Wien bejubelt wurden. Am Freitagabend wurde aber zumindest warmer Applaus für die entsprechend gekleideten Darsteller gespendet, kontrastiert Herheim doch den in dieser Deutung als jüdisch gekennzeichneten Haushalt Eisenstein mit dem Erstarken der Nationalsozialisten im Wien des Jahres 1938.

Tanzende Sträusse

Zum Drüberstreuen noch eine Ballettformation aus sechs Sträussen, und fertig ist ein vor Ideen nur so sprühender Abend, der sichtlich gewillt ist, das altvaterische Genre vom Staub der Interpretationsgeschichte zu befreien. Nicht alles geht auf. Aber alles ist von ADHS und Spielwitz getragen.

Alina Wunderlin ist dabei eine herrliche Grantscherbn mit Koloraturqualitäten als frustriertes Stubenmädchen Adele, Hulkar Sabirova wirft sich vollends in den Part der Rosalinda (und der Isolde und der lustigen Witwe), und Thomas Blondelle ist ein aufgeblasener, schmieriger Eisenstein, wie man ihn sich nur wünschen kann. Einzig Jana Kurucová ist als Prinz Orlofsky stimmlich etwas unterbesetzt.

Am Ende geht die Puste aus

Eine Schwäche des Abends ist allerdings, dass man sich gerade auf den Beschuss an Ideen von allen Seiten eingegroovt hat, als Herheim im 3. Akt der Mut oder der Einfallsreichtum verlässt. So dynamisch, energiegeladen das Gelage im Hause Orlofsky inszeniert ist, so sehr tröpfelt das Geschehen am Ende aus. Irgendwas mit Lack und Leder wäre da schon noch gegangen, um die Schlagzahl bis zum Schluss zu halten.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Die Fledermaus" im Musiktheater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung der Wiener Symphoniker: Petr Popelka, Regie: Stefan Herheim, Kostüme: Esther Bialas, Licht: Franz Tscheck. Mit Eisenstein - Thomas Blondelle, Rosalinde - Hulkar Sabirova, Adele - Alina Wunderlin, Dr. Falke - Leon Košavić, Frank - Krešimir Stražanac, Alfred - David Fischer, Prinz Orlofsky - Jana Kurucová, Frosch - Alexander Strobele, Dr. Blind - Alexander Kaimbacher, Ida - Ines Hengl-Pirke. Weitere Aufführungen am 6., 8., 11., 13., 15., 18., 20., 22. und 24. Oktober. www.theater-wien.at)

Zusammenfassung
  • Die neue 'Fledermaus'-Inszenierung von Stefan Herheim am Musiktheater an der Wien bricht mit Traditionen, indem sie musikalische Zitate von Beethoven, Verdi, Wagner, Millöcker und Puccini einbaut und die klassische Ouvertüre erst verzögert spielt.
  • Herheim setzt auf provokante historische Anspielungen, etwa durch SA-Männer auf der Bühne und die Darstellung des Haushalts Eisenstein als jüdisch im Wien des Jahres 1938, was bei der Premiere zu Buh-Rufen führte.
  • Die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka und ein ideenreiches Ensemble sorgen für einen energiegeladenen Abend, der jedoch im dritten Akt an Schwung verliert; weitere Aufführungen finden im Oktober an neun Terminen statt.