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"Der große Diktator": Wiener Kammerspiele zeigen Chaplin-Hit

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Charlie Chaplins "Der große Diktator" auf die Bühne zu bringen: Dazu gehört wohl nicht nur eine gehörige Portion Chuzpe, sondern auch Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft. Insofern war der Coup, den das Theater in der Josefstadt damit gelandet hat, bereits vor der gestrigen Premiere ein voller Erfolg, zu dem man nur gratulieren kann. Die 95-minütige Vorstellung in den Kammerspielen bot dagegen Licht und Schatten. Die sind freilich Elemente, ohne die es keinen Film gibt.

Ein Schatten lag gleich zu Beginn über der Uraufführung: Direktor Herbert Föttinger gab bekannt, dass Matthias Franz Stein kurzfristig schwer erkrankt sei und man daher für seine Rollen, vor allem jene des geläuterten Offiziers Schultz, dringend Ersatz gebraucht habe. Dominic Oley, der Regisseur des Abends und auch für die Stückfassung verantwortlich, habe sich bereit erklärt einzuspringen. Und das machte er - mit Einsageknopf im Ohr als Unterstützung - ganz fabelhaft.

Oley hat eine sehr reduzierte und kammerspielartige Fassung der berühmten Satire hergestellt, die Chaplin wenige Tage nach Hitlers Überfall auf Polen zu drehen begann und 1940 ihre Premiere feierte. Die Kammerspiel-Aufführung entwickelt ihre Magie und Sprengkraft aus einem Koffer mit der Aufschrift "Der große Diktator" und setzt nicht nur in der Hauptpartie des Diktators Adenoid Hynkel und des jüdischen Friseurs auf Doppel- und Mehrfachbesetzungen.

Alexander Pschill meistert die Chaplin-Rolle, die den grotesken Irrsinn des größenwahnsinnigen Möchtegern-Weltherrschers sprachlich wie körpersprachlich herausarbeitet und in Gestalt des Friseurs auch den in jedem Menschen verborgenen humanistischen Kern aufzeigt, ausgezeichnet. Seine Kunstsprachenmonologe werden zu Bravourstücken, seine Interaktionen mit den ihm Er- und Untergebenen zu kleinen neurotischen und neurologischen Studien. Auch Oliver Huether zeigt als Feldmarschall Herring und Benzino Napoloni seine Wandlungsfähigkeit.

Herring und Napoloni sind natürlich Göring und Mussolini, so wie Doktor Garbitsch, den Martin Niedermair gefährlich aasig anlegt, in Goebbels sein Vorbild hat. Überhaupt verblüfft der noch heute sofort offensichtliche politische Gehalt dieser Parabel, in dem Österreich als das kleine und idyllische Nachbarland Osterlitsch zum ersten Opfer der Weltherrschaftspläne unter den Insignien des Doppelkreuzes wird.

Dass diese längst widerlegte Opferrolle nicht hinterfragt wird, liegt wohl auch an den Grenzen der Lizenzverträge mit den Rechteinhabern. Weswegen auf der Hand liegende Parallelen zu heutigen Diktatorenambitionen nur spielerisch und in Ausstattungsfacetten angedeutet werden. Napolonis Gastgeschenk an Hynkel, ein Foto, das ihn mit nackter Brust auf einem Bären reitend zeigt, sorgt für den größten Lacher des Abends, der mit der Zeit seine Pfiffigkeit und Rasanz verliert und die darstellerischen Möglichkeiten der schlussendlichen Verwandlung des Friseurs in die Figur des Diktators weitgehend ungenützt lässt.

Auch für die abschließende Rede hat die bei der Premiere viel akklamierte Aufführung keine überzeugende Lösung anzubieten. Mitten im Zweiten Weltkrieg im Namen der Demokratie ein Plädoyer für Menschlichkeit und Frieden zu halten, ist etwas ganz anderes als dies heute zu tun - in einer freien Gesellschaft, die höchstens ihre Bequemlichkeit und ihren Wohlstand bedroht sieht. Und so wirkt am Ende eine Botschaft seltsam antiquiert, die doch nichts an ihrer Dringlichkeit eingebüßt hat: "Lasst uns kämpfen für eine Welt, in der die Vernunft siegt."

(S E R V I C E - "Der Große Diktator" von Charlie Chaplin, für die Bühne bearbeitet von Uraufführung, Regie: Dominic Oley, Bühne: Kaja Dymnicki, Kostüme: Nicole von Graevenitz, Mit: Daniela Golpashin, Tamim Fattal, Ljubiša Lupo Grujčić, Oliver Huether, Martin Niedermair, Alexander Pschill, Matthias Franz Stein (bzw. Dominic Oley) und Siegfried Walther. Kammerspiele der Josefstadt. Nächste Vorstellungen am 7., 12., 13., 15., 16. und 18. Oktober, Karten: 01 / 42 700-300. www.josefstadt.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Charlie Chaplins "Der große Diktator" auf die Bühne zu bringen: Dazu gehört wohl nicht nur eine gehörige Portion Chuzpe, sondern auch Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft.
  • Die 95-minütige Vorstellung in den Kammerspielen bot dagegen Licht und Schatten.
  • Seine Kunstsprachenmonologe werden zu Bravourstücken, seine Interaktionen mit den ihm Er- und Untergebenen zu kleinen neurotischen und neurologischen Studien.

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