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Der "Gewissenskonflikt" des Bayreuther "Ring"-Dirigenten

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Wegen der Coronaerkrankung von Pietari Inkinen disponierte Ex-RSO-Chefdirigent Cornelius Meister kurzfristig um und dirigiert nun den neuen "Ring" bei den Bayreuther Festspielen, der ab dem 31. Juli geschmiedet wird. Meisters eigentlich vorgesehenen "Tristan" übernimmt indes Markus Poschner, Chef des Bruckner-Orchesters Linz. Mit der dpa sprach der 42-jährige Meister über Gewissenskonflikte und die Zusammenarbeit mit dem österreichischen Regisseur Valentin Schwarz.

Frage: Angereist sind Sie als musikalischer Leiter von "Tristan und Isolde", nun sitzen Sie hier als Dirigent des "Rings". Haben Sie das schon realisiert?

Cornelius Meister: Ehrlich gesagt, hatte ich in den vergangenen Tagen überhaupt keine Zeit, an anderes zu denken als an die Kernthemen der Produktion, denn die Premiere soll richtig gut werden. Wir proben von früh morgens bis spät abends.

Frage: Sie haben sich über Monate intensiv mit "Tristan und Isolde" befasst. Wie schwer ist es, da nun kurzfristig umzuswitchen auf den "Ring"?

Meister: Ich will nicht verheimlichen, dass mich die Situation in einen Gewissenskonflikt gestürzt hat. Denn in der Tat haben wir diese "Tristan"-Produktion über Monate hinweg gemeinsam vorbereitet. Für mich ist eine Produktion nicht etwas, das austauschbar ist wie ein Kühlschrank zweier Marken. Ich fühle mich üblicherweise als Teil einer Produktion. Auf der anderen Seite: Den Festspielen aus der Patsche zu helfen in dieser misslichen Situation ist selbstverständlich. Zumal ich den "Ring" bekanntlich seit vielen Jahren im Repertoire habe. Das ist eine Notsituation, die man sich nicht ausgesucht hat. Ich war sehr glücklich, dass die Festspiele mir vor wenigen Tagen für 2023 einen Vertrag für den "Tristan" angeboten und dies auch öffentlich kommuniziert haben, sodass ich diese Produktion nicht einfach verlassen habe. Es ist eine große Freude mit dem "Ring"-Team seit ein paar Tagen. Deswegen fühle ich mich in der "Ring"-Produktion bereits sehr wohl und heimisch.

Frage: Das Orchester ist natürlich das gleiche wie bei der "Tristan"-Produktion, ansonsten aber ist es eine andere Mannschaft. Und der "Ring" ist ein Werk enormen Ausmaßes ...

Meister: Für mich als Dirigent ist es generell selbstverständlich, dass ich das Ziel habe, eine Dramatik herzustellen, und zwar mit allen Beteiligten. So begreife ich meine Aufgabe. Ein Dirigent, der sich bei einer Oper oder einem Musikdrama als reiner Orchesterdirigent fühlen würde, wäre sicherlich komplett fehl am Platz. Deswegen verbringe ich zum Beispiel heute buchstäblich den gesamten Tag mit den Sängerinnen und Sängern - und zwar einzeln am Klavier. Zusätzlich zu den Ensembleproben ist es mir wichtig, mit jedem allein an den jeweiligen Partien zu arbeiten. Da geht es genau um das Herausarbeiten dieser Dramatik. Die Szene einerseits und die musikalische Ausformung andererseits sind zwei Seiten der gleichen Medaille - und zwar der Dramatik.

Frage: Doch die Zeit ist knapp ...

Meister: Ja, ich tue gerade nichts anderes. Ich habe unglaublich nette Vermieter hier, die haben gleich, als sich die Veränderung abzeichnete, gesagt: Können wir etwas für Sie tun, können wir was einkaufen? Das ist doch großartig!

Frage: Ist es genau das, das Bayreuth von anderen Gastspielen unterscheidet?

Meister: Es ist nicht gleichzusetzen mit irgendeinem anderen Veranstaltungsort. Ich habe - das ist ja kein Geheimnis - nicht nur davon geträumt, sondern auch innerlich gespürt, dass ich hierher zurückkehren würde. Jetzt ist es soweit und es fühlt sich sehr natürlich an.

Frage: Wann waren Sie das erste Mal hier?

Meister: 1998 als 18-Jähriger, damals war ich Stipendiat, wie viele, die heute hier dabei sind. In den Jahren darauf war ich hier als Korrepetitor beim Gesangswettbewerb und auch als Hospitant. Das klingt, als wäre es nichts Besonderes. Aber ich war unglaublich glücklich, dass ich bei diesen Proben zuhören durfte, da dies ja kaum jemandem sonst erlaubt wird. Das war das größte Geschenk, das man mir damals machen konnte. 2004 bei der "Parsifal"-Neuproduktion war ich Assistent. Diese Erfahrungen mit dem Haus, mit der Akustik, mit der Arbeitsweise waren die Voraussetzung dafür, dass ich zugesagt habe, als die Anfrage für "Tristan" kam.

Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem "Ring"-Regisseur Valentin Schwarz?

Meister: Valentin Schwarz war Regieassistent an der Staatsoper Stuttgart - zwar vor meiner Zeit, aber wir kennen uns schon seit einigen Jahren. Ich schätze ihn sehr, es ist beeindruckend, mit welcher Genauigkeit er dieses Werk für sich regelrecht aufgefressen hat. Einerseits. Andererseits geht er aber mit großer Leichtigkeit an die Sache heran. Das ist eine sehr schöne Mischung.

Frage: Würden Sie die Umschreibung Leichtigkeit auch für Ihren Umgang mit Wagner in Anspruch nehmen?

Meister: Je länger ich mich damit befasse, desto deutlicher ist mir, wie unterschiedlich seine Werke sind. Und wie sich innerhalb der Werke die einzelnen Akte, die einzelnen Szenen voneinander unterscheiden. Das macht für mich auch die Größe dieser Werke aus. Dass sie gerade nicht bloß einen einzigen Aspekt der Welt abbilden. So wie der zweite Teil von Goethes "Faust" den Anspruch verfolgt, in gewisser Hinsicht die gesamte Welt in sich zu vereinen, so ist diese Vieldimensionalität in all ihren Stimmungen ein Kennzeichen des "Rings". Ist der "Ring" pathetisch, leicht, schwermütig, witzig? Ja, alles. Aber zu unterschiedlichen Zeiten.

(Das Gespräch führte Kathrin Zeilmann/dpa)

ribbon Zusammenfassung
  • Wegen der Coronaerkrankung von Pietari Inkinen disponierte Ex-RSO-Chefdirigent Cornelius Meister kurzfristig um und dirigiert nun den neuen "Ring" bei den Bayreuther Festspielen, der ab dem 31. Juli geschmiedet wird.
  • Meisters eigentlich vorgesehenen "Tristan" übernimmt indes Markus Poschner, Chef des Bruckner-Orchesters Linz.