APA/APA/Wiener Festwochen/Annemie Augustijns

Buhs für die originelle "Clemenza" der Wiener Festwochen

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Es mag angesichts langer Vorlaufzeiten im Opernbetrieb Zufall sein, und doch häuft sich Mozarts letzte Oper "La Clemenza di Tito" derzeit. Bei den Salzburger Pfingstfestspielen ließ Robert Carsen den mildgesinnten Kaiser noch scheitern, bei den Festwochen rückte Intendant Milo Rau bei der Premiere am Dienstag hingegen gleich ganz andere in den Fokus. Es ist der seltene Versuch, Oper wirklich anders zu inszenieren - der am Ende Kohorten von Buhrufern auf den Plan rief.

Im Kern war die "Clemenza" zu ihrer Entstehung 1791 eine Propagandaoper, die einen aufgeklärten, mildtätigen Monarchen anlässlich der Krönung Leopolds II. auf die Bühne brachte. Das Stück ist ein Drama aus dem inneren Zirkel der Macht, über Verrat und Vergeben. Milo Rau belässt das Werk bei seinem persönlichen Operndebüt in sich über weite Strecken bestehen, er ergänzt den Blick aber um eine weitere Perspektive, die ansonsten unter den Tisch fällt: Den des Volkes, das die Machtkämpfe der Eliten zu spüren bekommt. Es geht um Schicksale, nicht um ein Einzelschicksal. Außerhalb der Mauern herrscht das Elend von Barackensiedlungen, welche die Palastmauern flankieren. Es sind diese Armen, die unter der Gewalt leiden, was zum revolutionären Impetus der heurigen Festwochen passt.

Hierbei zieht Rau eine für ihn typische Wirklichkeitsebene ein, in dem er wie schon bei der Premiere in Genf 2021 gleich dem Rimini Protokoll Experten des Alltags, also Bürger der Stadt, als Statisten mit an Bord holt, die im Verlauf des Abends nicht nur spielen, sondern auch in ihrer persönlichen Biografie vorgestellt werden. Da ist die aus Oberösterreich zugezogene Wrestlerin, der aus Peru stammende Schauspieler, die Mutter aus der Per-Albin-Hansson-Siedlung oder der einstige Chef der Wiener Fremdenpolizei, der das Theater liebt. Dem fallen weitgehend die bei der "Clemenza" oft quälend langen Rezitative zum Opfer, was keinen Verlust darstellt.

Im zweiten Teil des Abends erweitert Rau den Ansatz des ergänzenden Blickwinkels allerdings massiv und zieht nun eine neue Narrationsebene ein, die das Werk selbst teils degradiert. Streckenweise wird das Libretto gänzlich verlassen, werden elektronische Klänge eingespielt oder zusätzliche Szenen eingewoben, wenn auch nicht immer trittsicher. Wenn eine aus der Ukraine Emigrierte nach den Schilderungen des Einmarsches der Russen in ihre Heimat auf der Bühne gehängt wird, ist das schlicht grenzwertig. Dabei wird meist mit der Livekamera gefilmt und das Bild auf eine gigantische Leinwand geworfen. Diese dient dem Blick in die Gegenwelt, immer wieder aber auch als Kommentarplattform eines erzählerischen Ichs, das das Werk interpretiert und kommentiert.

Bei den drei großen Arien der "Clemenza" am Ende setzt Rau dem Publikum schließlich die Pistole auf die Brust: Dem Sänger oder der Sängerin auf der Vorderbühne lauschen oder den kleinen Videoporträts der Laiendarsteller folgen, die parallel ablaufen? Beides gleichzeitig ist schlicht nicht möglich, und doch hätten die Zuschauer ja die Wahlfreiheit, sich auf die Musik zu konzentrieren. Rau macht hier nur ein Angebot...

Weniger elaboriert fällt angesichts der Fokusverschiebung naturgemäß die Charakterzeichnung der einzelnen Mozart-Originalprotagonisten aus. Stimmlich überragend in dieser Gruppe ist die russische Mezzosopranistin Anna Goryachova in der androgynen Hosenrolle des Sesto. Der Brite Jeremy Ovenden hat nicht den klangschönsten, aber einen stabilen, schlanken Tenor als Tito, der eher Machtzyniker denn milder Herrscher ist. Die übrigen Stimmen des Abends hingegen sind indes nicht auf Festwochen-Niveau zu verorten.

Anders positioniert sich hier die Camerata Salzburg unter Thomas Hengelbrock. Der Experte für historische Aufführungspraxis liefert einen beinahe nüchternen Klang ab, der nahtlos zur unkonventionellen Inszenierungsidee passt. Am Ende gab es dafür Jubel, während sich Milo Rau mit seinem Team neben Applaus auch vehemente Buhs abholen musste. Allzu milde nahm das Publikum diese weitgedachte Neudeutung einer althergebrachten Oper nicht auf.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "La Clemenza di Tito" von Wolfgang Amadeus Mozart im Rahmen der Wiener Festwochen im Museumsquartier, Halle E, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Regie: Milo Rau, Musikalische Leitung der Camerata Salzburg: Thomas Hengelbrock, Bühne: Anton Lukas, Kostüme: Ottavia Castellotti, Video: Moritz von Dungern, Licht: Jürgen Kolb. Mit Anna Goryachova - Sesto, Justin Hopkins - Publio, Anna Malesza-Kutny - Vitellia, Jeremy Ovenden - Tito, Maria Warenberg - Annio, Sarah Yang - Servilia. Weitere Aufführungen am 22., 24. und 25. Mai. www.festwochen.at/la-clemenza-di-tito)

ribbon Zusammenfassung
  • Bei den Wiener Festwochen sorgte die unkonventionelle Inszenierung von Mozarts 'La Clemenza di Tito' durch Milo Rau für gemischte Reaktionen, einschließlich Applaus und Buhrufen.
  • Milo Rau integrierte moderne Elemente und die Perspektiven von Laiendarstellern in die Oper, was traditionelle Aspekte des Werks wie die Rezitative größtenteils ersetzte.
  • Die musikalische Leitung der Camerata Salzburg unter Thomas Hengelbrock passte sich der Neuausrichtung der Oper an und lieferte einen nüchternen Klang, der die innovative Inszenierung unterstützte.