Bruce Springsteen veröffentlicht sieben "Lost Albums"
"Die 'Lost Albums' waren komplette Alben, manche sogar schon fertig abgemischt – nur eben nie veröffentlicht", sagte der "Boss" anlässlich der Veröffentlichung. "Ich habe mir die Songs über die Jahre immer wieder selbst angehört, manchmal auch engen Freunden vorgespielt."
Bei Boxsets und anderen Veröffentlichungen dieser Art liegt immer der Verdacht nahe, dass Reste zu Geld gemacht werden sollen, die es damals aus gutem Grund nicht aufs Album geschafft haben und in der Schublade gelandet sind. Was taugen die "Lost Tracks" von Bruce Springsteen?
18 Songs zwischen "Nebraska" und "Born In The U.S.A."
Den Anfang machen die "LA Garage Sessions '83", die zwischen "Nebraska" und "Born In The U.S.A." stattfanden. "Diese Platte passierte einfach zwischen den beiden", erzählte Springsteen dem "Rolling Stone". "Ich wusste damals noch nicht, in welche Richtung 'Born In The U.S.A.' gehen würde."
"My Hometown", das hier in einer weniger polierten Version zu hören ist, landete schließlich auf seinem kommerziell erfolgreichsten Album. Der Rest nicht. Ein echtes Juwel ist das treibende "One Love", das an Fleetwood Mac erinnert. "Sugarland" und "County Fair" sind weitere wunderbare Songs.
"Streets Of Philadelphia" und die durchwachsenen 90er-Jahre
Sieht man vom Oscar-prämierten Titelsong für das Drama "Philadelphia" ab, waren die 90er-Jahre eine durchwachsene Dekade für Springsteen - weniger erfolgreich und bei seinen Fans umstritten. Ohne seine E Street Band, von der er sich 1989 getrennt hatte, schien der "Boss" seine Richtung zu suchen.
"Ich lese oft über mich, dass ich in den 90ern eine verlorene Zeit hatte", sagte der 75-Jährige dem "Rolling Stone". "Nicht wirklich. Ich habe tatsächlich permanent gearbeitet." Das Boxset beweist es. Fünf der enthaltenen Alben stammen aus dem Jahrzehnt.
Die "Streets Of Philadelphia Sessions" sind zehn melancholische Popsongs mit Drumloops und Synthesizern. "Diese Mischung erzeugt einen düsteren, träumerischen Sound", sagte Springsteen in dem Interview, "und davon gibt es auf dem Album eine ganze Menge." Warum es trotz wunderbarer Tracks wie "Waiting On The End Of The World" nicht rauskam? "Ich hatte das Gefühl, es wäre der falsche Zeitpunkt."
Ein Soundtrack, ein Country-Album und Mariachi-Klänge
Bei "Faithless" handelt es sich um den Soundtrack für einen Western, der letztlich nie gedreht wurde - eine Mischung aus Country, Folk und Rock mit zwei sehr atmosphärischen Instrumental-Stücken. Das stampfende "All God's Children" mit Gospel-Einflüssen erinnert dank des fast brachialen Gesangs an Tom Waits. Seine Frau Patti Scialfa habe ihn gedrängt, das Album zu veröffentlichen, sagte Springsteen.
"Somewhere North Of Nashville" ist ein launiges Country-Album mit Pedal-Steel-Gitarren. Mit welcher Leichtigkeit sich Springsteen der Country-Musik - nur zum Spaß - annimmt, ist faszinierend. Ursprünglich war es als Doppelalbum mit dem vergleichsweise düsteren "The Ghost Of Tom Joad" geplant, doch es habe nicht gepasst, so Springsteen. Anspieltipps: "Repo Man" und "Blue Highway".
"Inyo" wiederum ist ein Porträt der kalifornischen Wüste mit ihren Grenzstädten, sandigen Straßen und ausgetrockneten Wasserkanälen. Die Lieder heißen "Adelita", "The Lost Charro" oder "The Aztec Dance". Neben Springsteens Stimme und seiner Akustikgitarre sind Elemente mexikanischer Mariachi-Musik mit Trompeten und Geigen zu hören.
Ein Begleitwerk zu "Western Stars" und ein Album, das keins ist
Wer Springsteens Album "Western Stars" mag, darf sich freuen, dass es mit dem zeitgleich aufgenommenen "Twilight Hours" eine weitere Platte dieser Art gibt. Doch während es sich bei den Songs auf "Western Stars" fast ausschließlich um Coverversionen handelte, enthält "Twilight Hours" nur Eigenkompositionen. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, es handle sich um Klassiker der 50er und 60er von Andy Williams oder Glen Campbell.
Kein zusammenhängendes Werk, sondern eine Sammlung einzelner Rocksongs ist "Perfect World" - eine weitere Schatztruhe. "Es ist das einzige Teil hier, was nicht ursprünglich als eigenständiges Album gedacht war", gab Springsteen zu. "Ich wollte einfach nur ein bisschen Spaß, Lärm und Rock'n'Roll, um das Gesamtpaket abzurunden." Ein Höhepunkt ist hier die wunderbare Hymne "Cutting Knife".
Ein überwältigendes Werk aus der Schublade
Kann dieser Mann überhaupt schlechte Songs schreiben? Zweifel daran sind angebracht. Fraglos wären viele Künstler froh, wenn sie nur ein oder zwei dieser Lieder geschrieben oder zumindest aufgenommen hätten. Bruce Springsteen konnte es sich erlauben, sie einfach links liegenzulassen. Umso erfreulicher, dass er es sich jetzt anders überlegt hat.
"Tracks II: The Lost Albums" ist ein überwältigendes Werk, eine spannende musikalische Entdeckungsreise auf bisher kaum bekanntem Springsteen-Territorium, die einmal mehr seine musikalische Genialität und Integrität offenbart.
(Von Philip Dethlefs/dpa)
(S E R V I C E - https://brucespringsteen.net)
Zusammenfassung
- Bruce Springsteen veröffentlicht mit "Tracks II: The Lost Albums" ein Boxset mit sieben bisher unveröffentlichten Alben und insgesamt 83 Songs aus den Jahren 1983 bis 2018.
- Viele der enthaltenen Alben waren bereits fertig produziert, wurden aber nie offiziell veröffentlicht, wie Springsteen selbst erklärt.
- Fünf der sieben Alben stammen aus den 1990er-Jahren, einer für Springsteen laut Kritikern schwierigen, von ihm aber als produktiv beschriebenen Phase.
- Die Sammlung bietet musikalische Vielfalt von Country- und Mariachi-Klängen über düstere Popsongs bis hin zu klassischen Rocknummern.
- Das Boxset gilt als beeindruckende musikalische Entdeckungsreise und unterstreicht Springsteens Kreativität und Integrität.