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Brennend politische Ukraine-Doku: "Militantropos" in Cannes

Heute, 09:00 · Lesedauer 3 min

Heulende Sirenen, zerbombte Dörfer, zerstörte Existenzen. Alina Gorlova, Simon Mozgovyi und Yelizaveta Smith sind in die Ukraine gereist, um zu erforschen, wie Krieg aus gewöhnlichen Menschen Soldaten macht. Das ist bildgewaltig und zutiefst bewegend. "Militantropos", so der Titel des in Koproduktion mit Österreich hergestellten Dokumentarfilms, feierte am Mittwoch in der Sparte "Quinzaine des cinéastes" der Filmfestspiele von Cannes seine Weltpremiere.

Das erste Bild ist ein Schwarm Vögel am grauen Himmel. Dann sieht man schwarze Rauchwolken, die wie eine Lawine in der Luft rollen. Die Menschen am Boden schauen hinauf. Die Szene könnte genauso gut aus einem Endzeitblockbuster stammen, sie ist imponierend gedreht, aber der Schauplatz ist tragisch real. Seit drei Jahren tobt in der Ukraine ein Krieg, den die meisten Menschen wahrscheinlich nur aus der sicheren Distanz ihres Wohnzimmers kennen.

Die Natur spielt im Film von der ersten Szene an eine eindrucksvolle Rolle - mal still, mal aufbrausend. Im Kriegszustand sind Tod und Natur spürbarer als sonst. Wie wenn ein Artilleriegefecht tobt und der Blick der Kamera (Viacheslav Tsvietkov, Denis Melnik und Khrystyna Lizogubauf) eine kleine Spinne gerichtet ist, die ihr Netz spinnt. Im vom Krieg zerstörten Wald lauert der Feind zwischen den Bäumen, während in der Ferne die Bomben die Erde aushöhlen.

In ihrem impressionistischen und teils statischen Dokumentarfilm, eine Koproduktion zwischen Österreich, Frankreich und der Ukraine, untersuchen die drei Regisseure, wie dieser Konflikt ganz normale Zivilisten in "Militantropos" verwandelt - ein Neologismus aus dem lateinischen Wort für Soldat ("milit") und dem griechischen Wort für Mensch ("antropos"): eine Persona, so heißt es, die Menschen im Kriegszustand annehmen.

"Wo sollen wir hingehen?"

In anderen Szenen des Films begegnet man Menschen, während sie in den Evakuierungszug von Kiew nach Wien steigen, sich von ihren Liebsten verabschieden, oder inmitten von Trümmerlandschaften stehen. "Wo sollen wir hingehen?", will ein Mann von Vitali Klitschko wissen. Er hätte einen Evakuierungsplan, meint der Bürgermeister von Kiew. "Ich werde diesen Ort nie verlassen", kontert der Mann.

Eine ältere Frau ist in ihr zerstörtes Zuhause zurückgekehrt, gärtnert und kocht draußen Suppe. Kinder spielen an einem Militärkontrollstützpunkt. Ein Bauer beackert sein Feld direkt neben einer gefallenen Bombe. Ein Rekrut tanzt auf seiner Hochzeit und wird dann eingezogen. In seiner fast gleichzeitig distanzierten und intimen Erzählung scheint "Militantropos" eine "unpolitische" Haltung einzunehmen, bleibt aber durch seine bloße Existenz brennend politisch.

So klingt der Krieg

Im Krieg gibt es viele Geräusche: Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Sirenen, tickende Uhren und gleichzeitig Vogelgezwitscher, summende Bienen, Kinderstimmen und Kirchenglocken. Das Sounddesign stammt von dem ukrainischen Tonmeister Mykhailo Zakutskyi und dem österreichischen Komponisten Peter Kutin, die hier verschiedene Klänge zu einem eindringlichen Teppich verweben.

Es gibt keine zentralen Protagonisten in "Militantropos" - das braucht es nicht. Der Krieg ist eine kollektive, traumatische Erfahrung, und als solche wird er hier auch dargestellt. Als etwas, von dem alles und jeder verschluckt wird. Am Ende bleibt nur eine ans Zugfenster gedrückte, abschiednehmende Hand.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - www.mischief-films.com)

Zusammenfassung
  • Der Dokumentarfilm "Militantropos" feierte am Mittwoch in der Sparte "Quinzaine des cinéastes" der Filmfestspiele von Cannes seine Weltpremiere und ist eine Koproduktion zwischen Österreich, Frankreich und der Ukraine.
  • Die Regisseur:innen Alina Gorlova, Simon Mozgovyi und Yelizaveta Smith zeigen eindrucksvoll, wie seit drei Jahren andauernder Krieg in der Ukraine gewöhnliche Menschen in Soldaten verwandelt und das Leben der Zivilbevölkerung prägt.
  • Das Sounddesign von Mykhailo Zakutskyi und Peter Kutin unterstreicht die kollektive, traumatische Kriegserfahrung, die im Film ohne zentrale Protagonisten als allumfassende Realität dargestellt wird.