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Autor Fritz Lehner über seinen neuen Thriller "Dr. Angst"

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Ein Thriller, in dem der Täter virtuos mit Ängsten aller Art spielt, ist an sich schon hochaktuell. Fritz Lehner hat es obendrein geschafft, in "Dr. Angst" auch schon die Angst vor dem Coronavirus einzubauen. Wie ihm das gelungen ist und warum das Hotel Intercontinental und der Wiener Heumarkt zum Schauplatz seines neuen Romans wurden, erzählte der Autor und Filmregisseur im E-Mail-Interview.

Ein Thriller, in dem der Täter virtuos mit Ängsten aller Art spielt, ist an sich schon hochaktuell. Fritz Lehner hat es obendrein geschafft, in "Dr. Angst" auch schon die Angst vor dem Coronavirus einzubauen. Wie ihm das gelungen ist und warum das Hotel Intercontinental und der Wiener Heumarkt zum Schauplatz seines neuen Romans wurden, erzählte der Autor und Filmregisseur im E-Mail-Interview.

APA: Herr Lehner, Ihr neuer Roman spielt unmittelbar vor der "Ankunft" des neuen Coronavirus in Wien. Mehrfach wird in kurzen Passagen darauf Bezug genommen. Wie haben Sie denn das geschafft?

Fritz Lehner: Der Seifert Verlag ist nicht nur mutig, sondern auch sehr beweglich und schnell. Ich durfte noch Minuten vor dem Versand des Manuskripts an die Druckerei Ergänzungen zu Corona anbringen und ein wenig war ich zum ersten Mal auch ein Science-Fiction-Autor, mit Vermutungen, wie sich die Dinge entwickeln könnten. Die Handlung von "Dr. Angst" spielt im März 2020, Ende März ist das Buch erschienen. Um gleich von Ängsten zu sprechen, meine größte war in dieser Zeit des Schreibens, dass das Hotel Intercontinental geschlossen und die Geschichte unmöglich werden könnte. Ein paar Tage später ist es ja auch passiert.

APA: Angst ist in den vergangenen Wochen eine große Triebfeder, aber auch ein Hilfsmittel der Politik geworden. Was halten Sie davon?

Lehner: Mit Angst kann man Kriege beginnen, Völker auslöschen, die Welt beherrschen. Das weiß meine Hauptfigur Nick Prevost alias Dr. Angst, er treibt aber das Spiel noch weiter, indem er seine Auserwählten als Angsttherapeut von der Angst befreit und ihnen dann eine neue injiziert, mit der er sie in den Tod treibt. Er tötet berührungslos. Nichts ist dazu besser geeignet als die Angst, wir erleben es ja ständig. Angst ist weltweit die gefährlichste und wirksamste Waffe. Täglich kommen neue Varianten hinzu, vor der nächsten Coronawelle wird es nicht nur die Angst vor der Infektion sein, sondern auch vor der qualvollen Bürokratie, die mit Hilfsgeldern verbunden ist, vor der Demütigung der Menschen.

APA: Waren die strikten Maßnahmen Ihrer Meinung nach gerechtfertigt - und wie haben sie sich konkret auf Ihr Leben ausgewirkt?

Lehner: Bei einem tödlichen Virus, über das man erschreckend wenig weiß, ist jede noch so drastische Maßnahme gerechtfertigt. Grotesk wird es aber, wenn auf volle Härte gesetzt wird und eine Reihe von unbegreifbaren Lücken und Schlupflöchern besteht, doch noch schwerwiegender ist, dass die Maßnahmen viel zu spät gekommen sind. Man hat zugewartet und auf ein Wunder gehofft, damit in jeder Stunde die schwerwiegenden Folgen vergrößert. Seit Jahren weiß man von der Gefährlichkeit neuer Coronaviren, aber leider hatte man zu wenig Angst davor und keine entsprechende Vorsorge getroffen.

Auf mein Leben haben sich die Maßnahmen überhaupt nicht ausgewirkt, auch beim Schreiben lebe ich ohne Probleme monatelang in Quarantäne. Allerdings kam dieses Mal eine Folter hinzu. Nie habe ich in den Medien mehr Gesichter gesehen, mit aufgesetztem Lachen und gespielter Heiterkeit und Zuversicht, jede Sekunde wollte man mir Mut machen. Noch qualvoller war die Fülle von Experten mit den gegensätzlichsten Meinungen, die ausufernden Statistiken und Grafiken, an denen man seine Überlebenschance berechnen können sollte, oft mit Stellen hinter dem Komma, um die Seriosität der Angaben zu suggerieren. Überall wurde gewarnt, gedroht, aufmerksam gemacht, hingewiesen, entdeckt, zurückgenommen, "Experte" müsste eigentlich das Unwort des Jahrhunderts werden. Berauschend schön hingegen waren täglich neue Bilder und Computersimulationen des Coronavirus, wie ein Planet schwebt der Serienkiller Covid-19 durch das menschliche Universum.

APA: Wie hätte sich die Pandemie auf Ihren Thriller ausgewirkt, hätte das Auftauchen des Virus Sie in einem früheren Schreibstadium erwischt?

Lehner: Ich hätte die Handlung auf der Zeitschiene nach hinten verschoben, so weit, damit die Geschichte mit dem Beginn der Coronakrise endet, denn Corona überdeckt und zerstört andere Ängste. Dr. Angst liebt spezielle Ängste, ob vor Spiegeln oder vor dem Wasser, in einem Tsunami von alltäglichen und allgegenwärtigen Corona-Ängsten wäre er untergegangen, er hätte zwar unzählige potenzielle Mordopfer gehabt, aber keine verschrobenen und deswegen interessante Menschen. Ich hätte alles getan, damit der Roman so wird wie er jetzt ist. Menschen, die früher über Phobien gelacht haben, erfahren sie nun selbst, man hat nun ein offenes Herz für Ängste. Nun ebbt die Coronakrise ab, das Leben geht vorübergehend weiter, es darf in Romanen wieder gemordet werden. Und wer bei der zweiten Coronawelle in der Quarantäne zu einem Buch greift, um durchzuhalten und sich zu schützen, hat einen Vorteil, wer etwa "Dr. Angst" liest, lebt länger.

APA: Ihr neues Buch hat fast die klassische Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Wie kamen Sie auf den Ort, das Hotel Intercontinental und den Stadtpark. Und gibt es ein reales Vorbild für die Wohnung von Nick Prevost, aus dem sich die Geschehnisse im Hotel so trefflich verfolgen lassen?

Lehner: Die Einheit von Zeit, Ort und Handlung habe ich immer schon sehr gemocht und geschätzt. In den Schubert-Filmen war es zwei Mal nur jeweils ein Tag aus seinem Leben, im letzten Teil der Trilogie eine kleine Wohnung, am Ende nur noch ein Zimmer. Ein Kammerspiel bietet Geborgenheit oder auch klaustrophobische Erlebnisse, und ich als Autor habe das Glück, mir auf engstem Raum etwas einfallen zu lassen, fernab vom Zwang mancher Filme, die europaweit alle Förderländer als Schauplätze in eine Handlung pressen müssen.

In der Gegend des Heumarkts finde nicht nur ich alles, auch der Serienkiller Nick Prevost seine Opfer und Zufluchten. Hier treffen wahrlich Welten auf engstem Raum aufeinander. Im Stadtpark aus der Monarchie habe ich seit Jahrzehnten zu allen Jahreszeiten fotografiert, im Hotel Intercontinental der amerikanischen und ebenfalls verschwundenen Fluglinie PanAm durfte ich mit der Hilfe des freundlichen Personals über viele Monate immer wieder für diesen Roman recherchieren, beides verbindet der ewige Wienfluss, offen oder in einem Tunnel. Und so wie diese Schauplätze existiert natürlich auch das Haus, in dem Dr. Angst lebt und die Menschen im gegenüberliegenden Hotel beobachtet, aber ich werde es natürlich nicht verraten, denn es sollen dessen Mieter ja nicht ausziehen, nur weil ein Serienkiller Tür an Tür mit ihnen wohnt. Zur Beruhigung: Alle Schauplätze sind real, aber jede Figur und jede Handlung ist erfunden. Ich liebe das Verweben und Verschmelzen von Authentischem und Fiktion, man soll als Leser dem Roman und sich selbst zuliebe Wirklichkeit und Fantasie nicht mehr auseinanderhalten können.

APA: Sie setzen dem "Hotel Intercontinental" ein literarisches Denkmal. Wie kommentieren Sie die hoch politisierte Debatte um den Neubau? Und wie lautet Ihre Prognose: Was (und wann) wird dort tatsächlich künftig stehen?

Lehner: Die Entwicklung des Coronavirus kann man nicht prognostizieren, die Zukunft des Heumarktprojekts noch weniger. Mir würde es am besten gefallen, bliebe das Intercontinental so erhalten, wie es jetzt ist, außen und auch innen. Durch das halbe Jahrhundert seiner Existenz hat man sich daran gewöhnt und Gott sei Dank ist es kein Hotel wie so viele andere in dieser Stadt. Es verfügt über herrliche und einzigartige Nachteile, die man aber als Wiener nicht spürt, weil man nie darin nächtigt, aber gerne die Intermezzo Bar besucht. Ein Neubau hätte schon von Anfang ein Manko, weder Kirk Douglas noch Richard Burton, Johnny Cash oder der Serienkiller Dr. Angst haben in ihm gewohnt und könnten es auch in Zukunft nicht nachholen. Ich lebe immer mit der Angst, dass die Schauplätze meiner Romane verschwinden. Bei der Buslinie 13A ist es noch einmal gut gegangen, sie wird nur umgelenkt, der Donaukanal bleibt uns ewig, der Beton der Seestadt noch länger. Aber vielleicht hat es auch seinen Reiz, wenn das Hotel Intercontinental, in dem ich beim Schreiben in meiner Fantasie (und nie wirklich) monatelang gewohnt habe, ausgehöhlt oder sogar zur Gänze niedergerissen wird. Vielleicht geschieht dann da noch etwas ganz Außergewöhnliches und das geplante Projekt wird auch zerstört und durch eines ersetzt, auf dessen Schönheit und Architektur man in dieser Stadt stolz ist.

APA: "Dr. Angst" liest sich wie ein Film. Hat der Filmregisseur Fritz Lehner beim Verfassen ein wenig mitgeschrieben? Gibt es vielleicht sogar eine Jekyll- und eine Hyde-Seite dabei? Oder spielt für Sie als Autor das Filmische beim Aufbauen und Gestalten von Szenen und Spannungsbögen keine Rolle mehr?

Lehner: Meine ersten Drehbücher habe ich vor 50 Jahren geschrieben, und ich muss zugeben, seitdem nichts unternommen zu haben, den Drehbuchautor in mir abzulegen. Mir gefällt es, nun in meinen Romanen mit nur 26 Buchstaben einen Film im Kopf entstehen zu lassen, noch dazu in Verbindung mit der Fantasie des Lesers, das ist etwas Besonderes und immer einzigartig. Ohne große Produktionsbudgets. Aber natürlich kosten auch Bücher einiges an Geld in der Herstellung. Vielleicht sollte ich auch so die Antwort meiner Verlegerin verstehen, als ich ihr wieder einmal in den Zeiten der Recherche über eine der skurrilsten und ausgefallensten Ängste berichtet hatte. Bibliophobie. Angst vor Büchern. Frau Dr. Seifert antwortete mit einem Lächeln, diese träfe auch auf sie zu.

Fritz Lehner, geb. 1948 in Freistadt, studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen in Wien. Zu seinen vielfach ausgezeichneten Filmen zählen "Schöne Tage" (1980), "Mit meinen heißen Tränen" (1986) und "Jedermanns Fest" (2000, jeweils Buch und Regie). Sein erster Roman erschien 2003 ("Я"). Darauf folgten u.a. die Metropol-Trilogie, "Margolin", "Nitro" (ausgezeichnet mit dem Leo-Perutz-Preis), sowie "13A".

Die Fragen stellte Wolfgang Huber-Lang/APA

INFO: Fritz Lehner: "Dr. Angst", Seifert Verlag, 300 Seiten, 22,95 Euro

ribbon Zusammenfassung
  • Ein Thriller, in dem der Täter virtuos mit Ängsten aller Art spielt, ist an sich schon hochaktuell.
  • Wie ihm das gelungen ist und warum das Hotel Intercontinental und der Wiener Heumarkt zum Schauplatz seines neuen Romans wurden, erzählte der Autor und Filmregisseur im E-Mail-Interview.

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