APA/ROBERT JAEGER

Architekt Prix: EU-Sanktionen schaden uns mehr als Russland

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Am 13. Dezember feiert Architekt Wolf Prix, Gründer und führender Kopf des weltweit agierenden Architekturbüros Coop Himmelb(l)au, seinen 80. Geburtstag. Im APA-Gespräch erklärt er, warum er nichts dabei findet, in China und Russland zu bauen, kritisiert Doppelmoral und EU-Sanktionen, die auch sein Büro treffen, und ärgert sich über die Ignoranz der Politiker. Lob hat er für das Engagement junger Klimaaktivisten, fordert von ihnen jedoch Optimismus statt Humorlosigkeit.

APA: Herr Prix, ich habe unser Gespräch intern so angekündigt: Alter weißer Mann interviewt alten weißen Mann. Die haben derzeit aber gar kein gutes Image, sondern werden für die ganze Misere verantwortlich gemacht, die auf der Welt herrscht.

Wolf Prix: Also davon fühle ich mich gar nicht betroffen. Ich bin erstens nicht weiß, sondern blond gelockt, wie Sie hoffentlich sehen können. (lacht) Zweitens fühle ich mich nicht alt, und drittens bin ich im Kopf genauso jung wie ich war. Es hat sich nichts verändert. Ich bin nach wie vor an Architektur interessiert.

APA: Vor drei Jahren haben Sie bei der Eröffnung des Brucknerfests in Linz gefordert, die Werte Utopie und Vision wieder zurück in die Gesellschaft zu holen. Gerade dafür sind heute die Zeiten mit Krise, Krieg und Corona aber denkbar schlecht.

Prix: Gerade die jungen Leute müssten daran interessiert sein, dass sie in die Zukunft denken. Wir müssen schauen, wie wir mit Optimismus diese Krisen bewältigen. Lösungen kriegt man sicher nicht, indem man zurückschreckt und in endlose Humorlosigkeiten und Traurigkeiten versinkt. Das ist eine Aufforderung! "Die letzte Generation" - das ist der pessimistischste Titel, den man sich geben kann. Ich denke, dass sie eher "Die nächste Generation" heißen müssten. Ein anderer Name gehört her, und Musik, die zu diesem Protest passt. Heute haben wir keine Lieder mehr, über die man sich emotional eingebunden fühlt. Ich glaube, dass diese nächste Generation vif und intelligent genug ist, die Probleme, die da sind oder die, die noch kommen werden, zu lösen. Ich schätze auch ihre Aktionen sehr. Ich finde gut, wenn sie sich auf der Straße ankleben. Weniger gut finde ich, dass sie sich an Kunstwerken ankleben.

APA: An moderner Architektur hat sich noch niemand angeklebt, oder?

Prix: Ja, oder an den Türschlössern der Politiker. In den Ministerien gibt es ja große Holztüren.

APA: Klima- und Energiefragen haben Sie als Architekt schon früh beschäftigt.

Prix: Ja, freilich, das gehört zum Handwerk des Architekten. Wir haben bereits vor 20 Jahren ein Projekt am Erdberger Mais entwickelt, ein Bürogebäude, das sich mit der Energie von Wind, Sonne und Geothermie selbst versorgt hätte. Damals wurde mir allen Ernstes gesagt: So einen Blödsinn brauchen wir nicht. Natürlich habe ich Sorge um die Zukunft meiner Kinder. Diese Ignoranz der Politik hat sich nicht verändert.

APA: Hätten wir es besser machen müssen?

Prix: Die Politik auf jeden Fall! Ich bin ein 68er - und das war ja dauernd eine Forderung an die Politik, dass sie es besser machen soll. Dass wir da verloren haben, ist die Schuld der weißen Männer in den Regierungen. Die heutige Krise haben wir uns damals nicht einmal bei größter Fantasie vorstellen können, weil wir gedacht haben, dass wir intelligente Wesen sind. Ich persönlich kann nichts für die Kriege, die seit 1945 geführt werden. Was ich von der Politik frech finde, ist, dass sie die Probleme, die sie lösen muss, an uns Individuen delegiert. So hat die EU unser Büro mit einer Sanktion belegt, dass wir nicht mehr in Russland arbeiten dürfen. Damit bricht nicht die russische Wirtschaft zusammen, sondern man schadet uns, einem Teil der österreichischen Wirtschaft.

APA: Wie sehr schadet das Ihrem Büro wirtschaftlich?

Prix: Wir haben viele Aufträge in Russland, die wir jetzt alle nicht ausführen können. Der Sport- und Event-Komplex in Sankt Petersburg ist fast fertig, das Opernhaus in Sewastopol noch lange nicht. In Kemerowo und Moskau haben wir gerade angefangen. Da geht's um Museen, Hochhäuser, Schulen. Dass wir diese Aufträge nicht mehr ausführen dürfen, ist kein Zuckerschlecken.

APA: Das Opernhaus Sewastopol zählt auf seiner Website die Tage bis zum Eröffnungsjahr 2023 herunter. Wie gibt's das?

Prix: Davon weiß ich nichts.

APA: Und der Komplex in Sankt Petersburg müsste doch bis zur Eishockey-WM 2023 fertig sein?

Prix: Ja, aber wenn es so weitergeht, wird niemand im nächsten Jahr zu einer Eishockey-WM nach Sankt Petersburg fahren! Da fährt man doch lieber zu den demokratisch geschulten Scheichen in Katar. Das ist doch alles absurd!

APA: Sie sind schon vor dem Ukrainekrieg ins Kreuzfeuer der Kritik gekommen, nach dem Motto: Wie kann man als Architekt für autoritäre Regime arbeiten und deren Prunk- und Herzeigeprojekte bauen? Von den vier großen kulturellen Prestigebauten Putins gestalten Sie zwei. Hat der im Februar begonnene Angriffskrieg Sie dazu gebracht, Ihre Haltung zu überdenken?

Prix: Ich finde Krieg das Dümmste, was man machen kann. Mein Vater ist schwer verwundet aus dem Krieg zurückgekommen, und die Familie hat mitgelitten. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Was soll ich jetzt tun? Soll ich aus moralischen Gründen die Verträge, die wir haben, zur Seite legen? Schauen Sie doch meine Kollegen an! Die Kollegen, die gesagt haben: Nie werden wir für Autokraten und Diktatoren bauen! Mit denen planen wir jetzt Schulter an Schulter in Saudi-Arabien. Das ist die beste Doppelmoral, die ich kenne: Für den Diktator nicht, für den anderen doch. Seit dem Mittelalter gibt es Hunderte Beispiele, dass für autoritäre Systeme gebaut wurde. Und es ist kein Unterschied, ob man für turbokapitalistische Systeme oder für autokratische plant.

APA: Aber es ist vielleicht ein Unterschied, wenn etwa in Sewastopol in einem Haus, das Sie geplant haben, Kriegspropaganda betrieben wird?

Prix: Neulich hat mich jemand gefragt, ob ich das verantworten kann, wenn die EZB (deren Frankfurter Hauptsitz von Coop Himmelb(l)au geplant wurde, Anm,) so mit den Zinsen spielt. Also bitte! Auch falls man mir sagt, dass in Dalian chinesische Stücke aufgeführt werden, die alles andere als friedlich sind, tut es mir leid. Dort war ursprünglich ein Kongresszentrum beauftragt, und während des Bauens wurde an uns der Wunsch herangetragen, noch eine Oper in dieses Gebäude zu setzen. Das war eine lustige und tolle Aufgabe, bei der wir zum ersten Mal mit künstlicher Intelligenz gearbeitet haben.

APA: Ist Ihr MOCAPE-Museum in Shenzhen mittlerweile in Betrieb?

Prix: Das ist es. Werden Sie, wenn dort schlechte Kunst ausgestellt wird, mich auch fragen, ob ich dafür verantwortlich bin?

APA: In China erhielten Sie auch den Auftrag für ein Naturwissenschaftsmuseum in Xingtai. Was wurde daraus?

Prix: Da haben wir den Wettbewerb gewonnen, das Projekt ist aber on hold - aus politischen und natürlich auch aus Pandemiegründen.

APA: Wie viele Projekte Ihres Büros sind überhaupt im Plan?

Prix: Wir haben derzeit etliche Projekte in Planung, darunter vier in Saudi-Arabien, drei für die Planstadt Neom und einen Stadtbezirk außerhalb der Stadt Jeddah. Im italienischen Matera bauen wir in einem Steinbruch ein vor allem energietechnisch sehr interessantes Projekt, bei dem die Energie, die tagsüber erzeugt wird, auch über Nacht genutzt werden kann. Dazu ein Projekt in Deutschland und drei Projekte in Österreich.

APA: Was wurde eigentlich aus dem Projekt eines "Nationalen Museums der Revolution der Würde" in Kiew?

Prix: Die haben letztlich einen postfaschistischen Entwurf ausgesucht. Wissen Sie, dass mich der ukrainische Botschafter bedroht hat? Das war weit vor dem Krieg. Da ging es um die Krim. Da hat er mich angerufen und gesagt: Wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen sage, werde ich Ihre Existenz und die Ihres Büros vernichten. Obendrein durften wir das damals auf der Krim planen, weil Kulturbauten nicht sanktioniert waren. Jetzt hat die EU in einer Verordnung bestimmt, dass nichts mehr in Russland geplant werden darf. Das trifft unsere Ökonomie mehr, als es die Wirtschaft in Russland treffen wird.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Am 13. Dezember feiert Architekt Wolf Prix, Gründer und führender Kopf des weltweit agierenden Architekturbüros Coop Himmelb(l)au, seinen 80. Geburtstag.
  • Im APA-Gespräch erklärt er, warum er nichts dabei findet, in China und Russland zu bauen, kritisiert Doppelmoral und EU-Sanktionen, die auch sein Büro treffen, und ärgert sich über die Ignoranz der Politiker.

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