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Am Gipfel: Heinrich Steinfest las aus "Der betrunkene Berg"

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Der Schnee türmte sich gestern im Wiener Museumsquartier zu hohen Wächten. Verantwortlich dafür war an diesem herrlichen Spätsommerabend zum Abschluss des Literaturfestivals O-Töne die dichterische Imagination von Heinrich Steinfest. Der bei Heidelberg lebende Österreicher las - nach dem Auftakt von Bettina Scheiflinger mit ihrem Debüt "Erbgut" - aus seinem neuen Roman "Der betrunkene Berg". Und der spielt Ende November auf über 1.700 Meter Seehöhe.

Auf einem namenlosen Kogel im oberösterreichischen Salzkammergut betreibt die 43-jährige Katharina Kirchner zwei Gehstunden von einer Seilbahnstation und wenige Meter von einer Alpenvereinshütte entfernt die höchstgelegene Buchhandlung der Alpen. In ihrem "Bücherberg" türmen sich die Bergbücher - denn nur solche vertreibt sie. Doch davon gibt es viele, Romane, Führer, Bildbände oder Tatsachenberichte wie jenes Buch von der Erstbesteigung des eine dreiviertel Stunde entfernten Gipfels, aus dem im Verlaufe des Buches ausgiebig vorgelesen wird.

Auch Steinfest las vor - und begann mit jener schicksalhaften Begegnung, die aus der glücklichen Bergeinsamkeit Katharinas in der Zwischensaison eine (platonische) Zweierbeziehung macht, aus der später, nach dem Dazustoßen einer Lawinenforscherin, ein Trio wird: Katharina findet im Schnee einen viel zu leicht bekleideten Mann, der sich an Namen und Vorleben zunächst nicht mehr erinnern kann oder will, rettet ihn vor dem Erfrieren und gewährt ihm in ihrer Buch-Hütte Unterschlupf.

Die Idee einer Buchhandlung in den Bergen sei am Anfang seines Romans gestanden, erzählte Steinfest im Gespräch mit dem deutschen Literaturkritiker Denis Scheck, "etwas, was mir meine Hauptfigur erfüllt hat. So fangen für mich Geschichten an, und ich habe keine Ahnung, wie sie ausgehen. Die Ausgangsidee ist der Samen. Ich bin der Gärtner, der ihn gießt. Die Geschichte geschieht. Da gibt es kein Nachdenken darüber. Ich kann die Zukunft meiner Geschichten nicht bestimmen. Mein Wissensstand ist immer der des Lesers, der sich gerade auf dieser Seite befindet."

Dieser Leser wird bei der Lektüre von "Der betrunkene Berg" tatsächlich in eine autarke Welt entführt, in der nichts von Belang ist als das, was sich in der winzigen Buchhandlung, in der Küche der eingewinterten Berghütte nebenan, in der Schneestürmen und Lawinen ausgesetzten Umgebung und vor allem zwischen den Protagonisten abspielt. Bei langen Gesprächen, bei von dem fremden Mann, der von Katharina Robert getauft wird, gezauberten köstlichen Abendessen, aber auch bei ausgiebigen Leseabenden kommen die beiden einander und der wahren Identität Roberts immer näher. Doch Steinfest wäre nicht jener fantasievoller Autor, als der er von seinen Fans geschätzt wird, wenn er seine Geschichte nicht einen unkonventionellen Verlauf nehmen ließe.

Er halte Steinfest für den "realistischsten Autor, den ich kenne", überraschte Denis Scheck hingegen das zahlreiche Publikum im MQ-Haupthof - und untermauerte seine Einschätzung mit einem Erlebnis: Vor wenigen Tagen sei er von New York Richtung Europa geflogen, als seine Lektüre von Steinfests Buch von der Durchsage der Pilotin unterbrochen wurde, man müsse wegen eines Defekts in Boston notlanden. Sofort habe er das Gefühl gehabt, er befinde sich selbst in einem Steinfest-Roman (in dem physikalische Gesetze nicht immer gelten müssen und Dinge jederzeit ein Eigenleben bekommen können) - eine Einschätzung, die sich später bestätigt habe, als bekannt wurde, dass der Defekt von einer kaputten Espressomaschine in der Ersten Klasse ausgelöst worden sei.

Eine Einschätzung Schecks kann man als Leser freilich teilen: Hier habe jemand "den literarischen Gipfel erklommen". Für Denis Scheck ist "Der betrunkene Berg" jedenfalls "nichts weniger als ein Meisterwerk, geschrieben von einem Autor auf dem Höhepunkt seines Könnens". Tatsächlich ist diese Bergbesteigung ein wahres Leseabenteuer, bei dem man es mit Naturereignissen und Wetterkapriolen zu tun bekommt, mit Psychologie und Kochkunst, Schuld und Verdrängung, mit Bildhauerei und Boxen, magischen Wolken und vorwitzigen Bergdohlen. Und auch mit Toten. Katharinas Motto lautet zwar "Hier oben stirbt keiner". Aber es gibt ja auch ein unten. Und rund um den Bücherberg ist praktisch überall unten.

(S E R V I C E - Heinrich Steinfest: "Der betrunkene Berg", Piper Verlag, 224 Seiten, 22,70 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Verantwortlich dafür war an diesem herrlichen Spätsommerabend zum Abschluss des Literaturfestivals O-Töne die dichterische Imagination von Heinrich Steinfest.
  • Eine Einschätzung Schecks kann man als Leser freilich teilen: Hier habe jemand "den literarischen Gipfel erklommen".
  • Für Denis Scheck ist "Der betrunkene Berg" jedenfalls "nichts weniger als ein Meisterwerk, geschrieben von einem Autor auf dem Höhepunkt seines Könnens".

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