Verschwörungstheorien
Telegram-Gruppen: Einst Mobilisierung, jetzt geht's ums Abcashen
Ob eine 5G-Anti-Elektrosmog-Mütze, Löwenzahnwurzel als "Krebstöter" oder das Buch "Chemotherapie: Ein Mords-Geschäft" - in österreichischen Telegram-Netzwerken wird immer häufiger versucht, mit Verschwörungstheorien Geld zu verdienen.
Zu diesem Schluss kommt der neue Monitoring-Bericht der Bundesstelle für Sektenfragen. Ausgehend von den 30 reichweitenstärksten Telegram-Kanälen aus Österreich ermittelten Psychologe Felix Lippe und Politikwissenschaftler Philipp Pflegerl, insgesamt 332 Kanäle, die diese Beiträge regelmäßig weiterleiten.
Rund 2,3 Millionen Nachrichten wurden auf diese Weise erfasst und mithilfe von KI-Modellen analysiert. "Heute wird in diesem Netzwerk so viel gepostet wie nie zuvor", betonte Lippe. Die Beitragsanzahl im Sommer 2024 überstieg sogar jene zu Pandemie-Spitzenzeiten.
Mehr Aufrufe zu monetären als politischen Handlungen
Im Mittelpunkt der Analyse stand dabei, dass 138.471 der Nachrichten zu Handlungen, wie etwa einer Spende, einem Produktkauf oder einer Demonstrationsteilnahme, aufriefen.
Während der Pandemie wurden laut der Studie vor allem politische Handlungsaufrufe getätigt worden, seit Anfang 2022 steigen monetäre Aktionen rasant an und übertrafen im vorigen Sommer ebenfalls den Höchstwert der Aufrufe zur politischen Teilnahme während der Pandemie.
Die meisten monetären Aufrufe entfallen auf Spenden (53.000 Nachrichten), meist in der Form von Signaturen, mit denen das Gefühl vermittelt werde, man könne "von der Couch aus Teil des Widerstands gegen eine globale Verschwörung oder ein illegitimes System sein", so Lippe.
Auch Veranstaltungen werden weiterhin beworben (rund 30.000 Nachrichten), sowohl politische Versammlungen als auch kostenpflichtige Seminare, Coachings oder Konferenzen.
Krisen werden "herbeigeschrieben", dann Produkte angeboten
Knapp hinter den Events stehen aber bereits Produktbewerbungen (etwas über 27.000 Nachrichten). Überwiegend handelt es sich dabei um Bücher, "in denen der Weltuntergang herbei beschworen wird", erklärte Lippe. "Erst wird Angst erzeugt, dann wird ein konsumierbarer Lösungsansatz angeboten", fasst er zusammen.
Für medizinische Krisen, so etwa die erfundene Chemtrail-Vergiftung, werde etwa Chlordioxid als Allheilmittel beworben. Oftmals seien die Artikel an "falsche Heilversprechen" geknüpft, teilweise würden auch "gesundheitsgefährdende Produkte verkauft", so Pflegerl.
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Größte Vertreiber der verschiedenen Produkte seien in Österreich der deutsche Kopp-Verlag, die rechtsextreme Plattform AUF1 und der Nahrungsergänzungsmittel-Verkäufer Heilnatura. Über Affiliate-Marketing können verschiedene Akteur:innen in den Telegram-Kanälen bei den Einnahmen mitschneiden.
Wie hoch dieser Erträge im Schnitt sind, konnte bei der Studie nicht erhoben werden. Diese Zahlen würden oft erst im Zuge von Gerichtsverhandlungen ans Tageslicht kommen.
So bei einem Akteur, der mittels Crowdfunding rund 200.000 Euro eingenommen, gleichzeitig aber Notstandshilfe bezogen habe.
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FPÖ-Kritik
FPÖ-Abgeordneter Maximilian Weinzierl hatte die Studie kritisiert und im Vorfeld erklärt, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum linksextreme Bewegungen im Bericht nicht erwähnt werden.
"Wir sind eine unabhängige Stelle, wir sind weisungsfrei", betonte Ulrike Schiesser, Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen, angesprochen auf Kritik der FPÖ. Der Fokus auf "rechtsorientierte Gemeinschaften" sei organisch zustande gekommen.
Außerdem gebe es in den untersuchten Telegram-Netzwerken keine großen linksextremen Kanäle.
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Zu Beginn der Pandemie seien rund ein Drittel der Anfragen zum Thema Verschwörungstheorien eingegangen, primär hätten sich Angehörige gemeldet.
Keine Weiterführung des Projekts
Fazit der Studie sei jedenfalls, dass viele der ursprünglichen Corona-Gegner auf Telegram den Diskurs gekapert hätten und die Plattform mittlerweile mehr zu "Produkt- und Spendenaufrufen als für politische Aufrufe" nutzen würden, so Lippe.
Mit der Veröffentlichung dieses zweiten Berichts ist das Monitoring-Projekt nun beendet. Die Finanzierung kam zu Pandemie-Zeiten aus einem Sondertopf zum Thema Verschwörungstheorien, der eine Million Euro schwer war und vom Bundeskanzleramt auf verschiedene Stellen aufgeteilt wurde.
Im Zuge des Sparpakets könne das Projekt nicht erneuert werden, so Schiesser. Dabei gäbe es noch genügend Plattformen, die eine Analyse-Basis bieten würden, allen voran TikTok, so Pflegerl.
Zusammenfassung
- Auf Telegram werden Bedrohungs- und Krisenerzählungen verstärkt ausgeschlachtet, um angebliche Heilmittel und Bücher zu verkaufen.
- Tatsächlich übertreffen Spendenaufrufe und Produktbewerbungen erstmals die Aufrufe zu politischen Aktionen, zeigt eine neue Studie der Bundesstelle für Sektenfragen.
- Rund 2,3 Millionen Nachrichten wurden erfasst und mithilfe von KI-Modellen analysiert.
- "Erst wird Angst erzeugt, dann wird ein konsumierbarer Lösungsansatz angeboten", so Studienautor Felix Lippe.