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Zeilinger sucht in Nobelwoche nach Basis der Quantenphysik

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"Warum haben wir die Quantenphysik" - das ist jene Frage, die den Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger "am meisten interessiert", wie er im Gespräch mit der APA erklärte. Ihr will er sich in Zukunft verstärkt widmen. Am Samstag (10.12.) erhält der 77-jährige Wissenschafter gemeinsam mit dem Franzosen Alain Aspect und seinem US-Kollegen John Clauser den Physik-Nobelpreisträg. Die APA traf ihn im Vorfeld im Nobelpreis-Museum in Stockholm zum Interview.

Frage: Wir sind hier im Nobelpreis-Museum in Stockholm. Was ist das für ein Gefühl, Teil dieser 'Hall of Scientific Fame' zu werden?

Anton Zeilinger: Was antwortet man auf so eine Frage? Fast das schönste ist, dass fünf Leute, mit denen ich befreundet bin, auch unter den Nobelpreisträgern der letzten drei Jahre sind (die nach pandemiebedingten Ausfällen alle zur diesjährigen Verleihung eingeladen wurden, Anm.). Das ist fast wie ein Familientreffen hier und das ist wunderbar. Das Schöne ist auch, dass diese Community offensichtlich wirklich existiert: Ich wurde gerade von einem Ökonomie-Nobelpreisträger angesprochen über Entanglement (Verschränkung, Anm.). Er versteht es nicht, er will es aber endlich kapieren.

Frage: Beim "Familientreffen" sind sicher Alain Aspect und John Clauser dabei, wer noch?

Zeilinger: Emmanuelle Charpentier (Chemie-Nobepreis 2020, Anm.), Reinhard Genzel (Physik-Nobelpreis 2020) und Svante Pääbo (Medizin-Nobelpreis 2022), die kenne ich alle schon seit länger Zeit.

Frage: Wie ist es Ihnen in den vergangenen zwei Monaten seit der Bekanntgabe, dass Sie den Physik-Nobelpreis erhalten, ergangen?

Zeilinger: Es war eine ziemliche stressige Zeit, die Vorbereitung für hier, aber auch die vielen Anfragen und Mails, was einen ja freut. Aber ich konnte einfach nicht alles beantworten und ich bitte auch auf diesem Kanal die Leute um Verständnis, dass das einfach unmöglich war, aber ich habe mich über jeden gefreut.

Frage: Chemienobelpreisträger Martin Karplus erzählte, sein ebenfalls mit dem Preis ausgezeichneter Kollege Elias James Corey habe zu ihm gesagt, er könne glücklich sein, den Preis erst mit 83 Jahren bekommen zu haben, weil er damit eine ruhige Zeit zum Forschen gehabt habe. Sie bekommen nun mit 77 den Nobelpreis - hatten Sie genug ruhige Zeit zum Forschen und wie geht es weiter?

Zeilinger: Ich hoffe sehr, dass ich meine Wissenschaft fortsetzen kann, dass ich nicht überall eingespannt bin, und werde dafür sorgen, dass die Wissenschaft eine große Priorität hat.

Frage: Sie haben bei der Bekanntgabe des Nobelpreises ein Loblied auf die Spinnerei gesungen - haben Sie sich schon eine neue Spinnerei ausgedacht?

Zeilinger: Die Sache, die mich am meisten interessiert ist: Warum haben wir Quantenphysik? John Clauser, der mit mir den Nobelpreis bekommt und der erste war, der solche Experimente gemacht hat, hat in einer Veranstaltung kürzlich gesagt: 'I still don't know what's going on.' Das ist genau die Frage, die mich fasziniert: Warum haben wir die Quantenphysik. Nicht nur weil sie Experimente wunderbar erklärt und mathematisch schön ist, aber es ist offenbar eine fundamentale Frage, die wir noch nicht gefunden haben. Und ich bilde mir ein, ich habe ein paar Ideen dafür - aber das möchte ich jetzt nicht erzählen.

Frage: Können Sie zumindest andeutungsweise verraten, in welche Richtung es geht?

Zeilinger: Das habe ich zum Teil schon publiziert. Es geht darum, dass wir immer von der physikalischen Wirklichkeit sprechen, die man beobachtet und die man beschreiben will, und auf der anderen Seite sprechen wir von der Information, von dem Wissen, das wir über einen Quantenzustand haben. Ich glaube, dass diese Trennung aufgehoben werden muss.

Frage: So wie dem von Ihnen erwähnten Wirtschafts-Nobelpreisträger geht es vielen Menschen, die kaum verstehen, woran Sie arbeiten. Ich habe hier zwei kleine Lichtkugeln - können Sie mit diesen nochmals versuchen zu erklären, was Verschränkung ist?

Zeilinger: Wenn das zwei Photonen wären, dann hätten sie Polarisation, das heißt, sie können in ihrer Polarisationsebene in verschiedenen Richtungen schwingen. Und bei einer bestimmten Art von Entanglement würde sich bei der Messung des einen Lichtteilchens zeigen, dass es etwa so schwingt. Dann schwingt das andere aber auch genau so.

Frage: Egal wie weit sie voneinander entfernt wären?

Zeilinger: Egal, wie weit sie entfernt sind - immer gleich. Nur die Idee, dass die von vorneherein wissen, wie sie schwingen sollen, ist falsch. Ich frage das eine Photon: Schwingst du so oder rechtwinkelig dazu? Die Art, wie es schwingt, ist rein zufällig, und in dem Moment, wo ich es messe, hat das andere die gleiche Polarisation. Die beiden wussten das nicht vorher, das ist nicht von vorneherein festgelegt, und sie haben auch keine Verbindung miteinander.

Und das ist der Punkt, von dem Schrödinger gesagt hat, dass er uns zwingt, von unserer lieb gewordenen Vorstellungen, wie die Welt beschaffen ist, Abschied zu nehmen. Weil wie können zwei Messresultate, von denen jedes vollkommen zufällig ist - und das wissen wir, es gibt keine verborgene Ursache, und sie stehen auch nicht miteinander in Verbindung - das gleiche liefern. Das ist die große Frage.

Frage: Eine andere Frage ist, was für einen Wissenschafter nach dem Nobelpreis noch kommen kann. Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel antwortete darauf lakonisch: "Ein zweiter." Was kommt für Sie nach dem Nobelpreis?

Zeilinger: Der Nobelpreis kann kein Ziel sein, das ist von vorneherein Unsinn. Es kann einen nur die Neugierde treiben, etwas zu machen, was man selber spannend findet.

Frage: Das tun sehr viele Wissenschafter in Österreich - warum hat es dann fast 50 Jahre gedauert, bis wir wieder einen Nobelpreisträger in einer wissenschaftlichen Disziplin bekommen haben?

Zeilinger: Das ist eine wissenschaftssoziologische Frage, die kann ich nicht beantworten.

Frage: Aber wie kommen wir dann schneller zum nächsten Nobelpreis?

Zeilinger: Diese Frage würde ich nicht zulassen. Darum geht es nicht, das ist eine Überbewertung des Nobelpreises. Man kann sich fragen, was wichtig war, etwa in meiner wissenschaftlichen Laufbahn, übrigens auch in der von Schrödinger. Wichtig war, dass es in Wien - als ich studiert habe, und ich glaube, das existiert heute noch - eine viel größere Offenheit für fundamentale Fragen gibt als sonst wo. Das geht zurück auf die Jahrhundertwende, auch Boltzmann war sehr stark philosophisch interessiert. Es ist eine ganz, ganz wichtige Sache, dass fundamentale Probleme als interessant angesehen werden, und dass man die Wissenschaft nicht machen muss, um etwas Zweckmäßiges zu produzieren.

Frage: Was heißt das nun konkret für Österreich?

Zeilinger: Wichtig wäre aufzuhören, von Forschung zu verlangen, dass sie sagt, wozu sie gut sein kann. Das gilt auch für europäische Forschungsförderinstitutionen, dass man aufhört zu verlangen, zu erklären, mit welchen Methoden man die Fragen angehen will. Denn bei den wirklichen Durchbrüchen geht beides nicht. Ich habe in den späten 80er Jahren keine Ahnung gehabt, wie ich etwa die Drei-Teilchen-Verschränkung (GHZ-Zustand, Anm.) realisieren kann, aber es war mein Ziel. Und es hat zehn Jahre gedauert, bis es gelungen ist. Wenn ich damals in einem Forschungsprojekt angeben hätte müssen, wie es auf EU-Ebene üblich ist, wie ich das mache, hätte ich das nicht können. Wichtig ist diese Offenheit für echt fundamentale Fragestellungen, die Offenheit dafür, dass man etwas finanziert, wo man gar nicht weiß, wie man es machen will, und wo man auch nicht weiß, wozu es gut ist.

Frage: Diese Forderung ist aber deutlich gegen den Trend, bei der Forschung zunehmend nach deren Anwendungspotenzial zu fragen.

Zeilinger: Dieser Trend ist eine Katastrophe. Das ist leider weltweit so und das ist nicht gut. Wenn die anderen schon so einen blödsinnigen Trend verfolgen, hätte Österreich die Chance, da gegenzusteuern. Aber dann ganz bewusst und ganz stark.

Frage: Immer wieder hört man von Nobelpreisträgern, dass sie das Gefühl haben, den Nobelpreis gar nicht für jene wissenschaftliche Arbeit erhalten zu haben, die sie am wichtigsten halten. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Zeilinger: In der wissenschaftlichen Begründung des Nobelpreis-Komitees ist ein ganz wesentlicher Punkt das Entanglement-Swapping - das ist eine meiner beiden wichtigsten Arbeiten. Weil da haben wir gezeigt, dass Teilchen verschränkt sein können, die überhaupt nichts miteinander zu tun gehabt haben. Das zeigt für mich, wie wichtig Information ist. Die zweite Arbeit ist der GHZ-Zustand - das sind die zwei wichtigsten Sachen. Wir haben auch wunderschöne Experimente gemacht, zum Teil, weil sie Spaß machen, weil es cool ist, das zu tun. Und plötzlich kann das irgendwer brauchen - ist mir recht, aber ist nicht mein Thema.

Frage: Die Laureaten haben heute jene Objekte gebracht, die sie dem Nobelpreis-Museum spenden - was wird von Ihnen zu sehen sein?

Zeilinger: Das eine ist ein elektrooptischer Modulator, ein Kristall in einer Messingröhre, wo man Licht hinein schickt, dessen Polarisationsebene gedreht wird. Durch Anlegen einer elektrischen Spannung kann man sehr schnell die Polarisation ändern, in Größenordnung von Nanosekunden. Das brauchen wir für unsere Experimente. Und das zweite ist ein kleiner Kristall, den man zur Erzeugung der verschränkten Photonen nimmt.

Frage: Wie werden die verschränkt?

Zeilinger: Da geht ein Laser hinein, und mit einer gewissen, relativ geringen Wahrscheinlichkeit, aber doch, entsteht dann ein Paar verschränkter Photonen. Das war ein Riesenfortschritt in unseren Experimenten. Clauser und Aspect hatten solche Quellen noch nicht. Clauser hat seine ursprüngliche Quelle von verschränkten Photonen gespendet. Das ist eine riesige Vakuumröhre und bei uns ist das nur dieser winzig kleine Kristall. Da sieht man den technischen Fortschritt, der es möglich machte, dass ich nach zehn Jahren Suche meine Drei-Teilchen-Verschränkung zeigen konnte. Am Anfang hatten wir noch keine Idee, dass es diese Kristalle geben wird, oder so schnelle elektrooptische Schalter.

Frage: Welchen technologischen Durchbruch bräuchten sie jetzt, um Experimente zu realisieren, die ihnen vorschweben?

Zeilinger: Ich bräuchte eine Quelle, ein kleines Kasterl, wo ich einstelle, ich will sieben Photonen, die so und so verschränkt sind, und heraus kommen sieben Photonen mit diesen Eigenschaften. Das ist die große Karotte, die sich viele wünschen, aber keiner weiß, wie man das realisieren könnte.

(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Am Samstag (10.12.) erhält der 77-jährige Wissenschafter gemeinsam mit dem Franzosen Alain Aspect und seinem US-Kollegen John Clauser den Physik-Nobelpreisträg.
  • Die APA traf ihn im Vorfeld im Nobelpreis-Museum in Stockholm zum Interview.

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