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Wiener Ermittler fahnden nach 38-jährigem Clan-Boss

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Nach Betrügereien mit einem Gesamtschaden von rund 2,2 Millionen Euro sind Ermittler der Rip-Deal-Unit Wien der Außenstelle Zentrum-Ost des Landeskriminalamts (LKA) einem 38-jährigen Österreicher und Clan-Boss auf der Spur. Auf das Konto des Mannes und seiner bereits ausgeforschten drei Komplizen gehen insgesamt sechs Fälle, drei davon in Kombination mit teils schweren Raubüberfällen. Der 38-Jährige, der als Kopf eines Westbalkan-Clans gilt, wird per EU-Haftbefehl gesucht.

Den Lauf nahmen die Ermittlungen unter der Bezeichnung "OP NIPOTE" der Rip-Deal-Experten unter Führung von Chefinspektor Gerald Goldnagl im Jahr 2021, mitten während der Corona-Krise. Ein im Vertrieb von Gesundheitsprodukten, Schutzmasken und Hygienemittel tätiger 41-jähriger Mediziner bekam damals von vermeintlichen Geschäftsleuten ein größeres Angebot für eine Reihe von Produkten. Nach Aufbau des Vertrauens sagte der Österreicher zu. "Dabei wurde eine Provision in Goldmünzen verlangt", sagte Valentin Szaga-Doktor aus dem Ermittlungsbereich für Betrug am Mittwoch in einem Hintergrundgespräch vor Medienvertretern.

Die Männer gaben vor, der Tiroler solle für den Deal über die österreichische Grenze nach Bozen kommen, um dort die Provision den angeblichen Mittelsmännern zu übergeben. Bei der Übergabe wurde er jedoch stutzig und wollte von dem Geschäft zurücktreten. "Das Opfer wurde dann mit einer Schusswaffe bedroht, sie raubten ihm die Goldmünzen um 160.000 Euro", erklärte der Betrugsexperte. Daraufhin folgten über mehrere Tage Drohungen gegen ihn und seine Familie. "Sie sagten, wenn er sich an die Behörden wende, gebe es Konsequenzen", schilderte der Ermittler. Der 41-jährige Mann erstattete daraufhin im Juli 2021 Anzeige bei der Polizei in Tirol.

Nur ein Monat später erhielt ein Pensionist in Wien von einem Mann unter demselben Namen ein Angebot für den Verkauf seines Ferienhauses auf einem Online-Portal. Auch dem 84-Jährigen wurde vorgegaukelt, dass er nach Barzahlung von 200.000 Euro als Provision für die Vermittler des Deals die Kaufsumme erhalte. Er müsse dafür nur ins italienische Udine reisen, lautetet die Bedingung. "Dort entriss ihm der Vermittler die Tasche mit dem Geld und flüchtete erneut", erklärte der Kriminalist.

Bei den Ermittlern in Wien keimte in der Zwischenzeit ein Verdacht. "Das schien kein Zufall zu sein", so Szaga-Doktor. Mit Unterstützung der Polizeiinspektion Kufstein habe dann durch gesicherte Stimmaufzeichnungen der Mann auch als Verdächtiger für den Fall in Udine ausgemacht werden könne. "Das Opfer erkannte ihn wieder." Die Staatsanwaltschaft Innsbruck erteilte daraufhin erste Festnahmeanordnungen.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich dann nach Monaten wieder im Februar 2022: Ein 40-Jähriger in Tirol wurde in Zusammenhang mit Verkauf seiner Wohnung in Verona betrogen, nachdem er von Zwischenhändlern einen niedrigen fünfstelligen Vermittlungsbetrag als Provision ausgehändigt bekommen und dafür einen sechsstelligen Betrag in Form von Falschgeld erhalten hatte.

Monate später, Anfang 2023, bat die Wiener Ermittler plötzlich ein deutsch-amerikanischer Influencer um Hilfe. "Ihm wurde gesagt, wir seien die einzigen, die ihm helfen könnten." Es stellte sich heraus, dass der 34-Jährigen ebenfalls Opfer eines Rip-Deals geworden war. Ein ominöser Scheich hatte den Social-Media-Star kontaktiert, vorgegaukelt in Luxusuhren investieren zu wollen und nach vertrauensbildenden Treffen in die belgische Hauptstadt Brüssel gelockt. Unter falschen Versprechungen rückte der Mann Uhren im Wert von 300.000 Euro heraus und überwies weitere 300.000 in Kryptowährungen. Nachdem die Ermittler dem Opfer Fotos ihrer Verdachtsperson zeigten, erhärtete sich der Verdacht gegen den 38-jährigen Österreicher.

Nur einige Zeit später wandte sich ein US-amerikanischer Investor an die Landespolizeidirektion Wien. Er gab an, er habe mit möglichst wenig Spesen an einen Hilfsfonds für Notleidende Kinder in der Ukraine spenden wollen und sei dann von Männern kontaktiert worden. Diese baten an, eine Million US-Dollar in bar gegen einer Teil seines Vermögens in Kryptowährungen einzutauschen. Er sei dann nach Mailand gelockt worden, erzählte er den Kriminalisten. Dort hätten die Männer ihm das Geld in bar präsentiert und in die Laden eines präparierten Tisches gelegt. Doch als er aus dem Tisch ein verdächtiges Husten hörte, habe er einen Rückzieher machen wollen." Der Mittäter im Tisch hätte das echte Geld ursprünglich gegen Falschgeld austauschen sollen", sagte Szaga-Doktor. Die Männer hielten dem US-Geschäftsmann daraufhin eine Schusswaffe an den Kopf, bedrohten den 27-Jährigen und verlangten die Herausgabe der Passwörter für sein Krypto-Wallet. Es entstand ein Schaden im siebenstelligen Bereich. Besonders bemerkenswert laut Szaga-Doktor: "Wir haben Maschen mit einem solchen Tisch seit mehr als 20 Jahren nicht mehr gesehen in Österreich." Laut der Polizei handelt es sich bei diesem Raub um einen der größten Überfälle in Italien.

Fast zeitgleich erstattete ein 60-jähriger Chef eines österreichischen Süßwarenherstellers in Salzburg Anzeige, nachdem er bereits 2020 von einer angeblichen Investmentfirma aus Luxemburg kontaktiert worden war, die angegeben hatte in seine Projekte investieren zu wollen. Bei einem finalen Treffen in Mailand, wo es vor der Investition zu einer Sicherheitszahlung des 60-Jährigen kommen hätte sollen, attackierte ihn dann sein vermeintlicher Geschäftspartner mit einem Schlag gegen die Brust und raubte ihm die Tasche mit Bargeld im Wert von 150.000 Euro. Eine Tasche mit Falschgeld ließ der Verdächtige jedoch liegen.

Der 38-jährige österreichische Kopf des Westbalkan Clans mit starker Verwurzelung in Belgien und den Niederlanden gilt für die Ermittler als hauptverdächtig. Auch seine bereits ausgeforschten Komplizen gelten als Mitglieder der Bande. Im Herbst 2023 wurde der 38-Jährige in Mailand durch die italienische Polizei festgenommen. Doch das Glück der Ermittler währte nur kurze Zeit, denn dem 38-Jährigen gelang die Flucht.

Die Landespolizeidirektion Wien veröffentlichte am Mittwoch auch Fotos des 38-Jährigen. Für Hinweise, die zur Festnahme des Verdächtigen führen, wird zudem Verein der Freunde der Wiener Polizei eine Belohnung in Höhe von 3.000 Euro ausgelobt. Hinweise werden streng vertraulich behandelt und - auch anonym - an das Landeskriminalamt Wien, Außenstelle Zentrum Ost, Rip Deal Unit Vienna, unter der Telefonnummer 01-31310-62510 erbeten.

Überrascht zeigten sich die Kriminalisten am Mittwoch von der Vorgehensweise der Kriminellen. "Eine Bedrohung mit einer Schusswaffe ist für diese Art von Betrug durchaus unüblich", sagte Rip-Deal-Unit-Leiter Gerald Goldnagl. Diese Art von Betrug werde nahezu ausschließlich von erfahrenen Banden der Westbalkanregion angewandt, welche sich gegenüber den Opfern als reiche Geschäftsleute oder Investoren präsentieren, so Goldnagl.

Die Täuschung der Opfer erfolgt dabei auf besonders ausgeklügelte Weise. In allen Fällen habe vor dem letzten, finalen Treffen zahlreiche persönliche Treffen mit den Betrügern und auch z.B. telefonische Kontakte gegeben, um das Vertrauen der späteren Opfer zu gewinnen. Auch professionell wirkende Homepages trugen dazu bei, dem vermeintlich lukrativen Geschäft Glauben zu schenken. "Es sind die besten Betrüger im europäischen Raum", ergänzte sein Kollege Mario Kaintz, ebenfalls Sonderermittler in der in der LKA-Außenstelle beheimateten Rip-Deal-Unit. Insgesamt entstand eine Schaden von rund 2,2 Millionen Euro. Zudem wurde laut Polizei Falschgeld in Höhe von 1,5 Millionen Euro sichergestellt.

ribbon Zusammenfassung
  • Wiener Ermittler fahnden nach einem 38-jährigen Clan-Boss, der für Betrügereien mit einem Schaden von rund 2,2 Millionen Euro verantwortlich ist.
  • Die Ermittlungen, die 2021 begannen, umfassen sechs Fälle von Betrug und drei schwere Raubüberfälle.
  • Opfer der Betrügereien waren unter anderem ein Mediziner, der Goldmünzen im Wert von 160.000 Euro verlor, und ein Influencer, der 300.000 Euro in Uhren und Kryptowährungen einbüßte.
  • Der Clan-Boss konnte nach einer Festnahme in Mailand fliehen; für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, setzt die Polizei eine Belohnung von 3.000 Euro aus.
  • Rip-Deal-Unit-Leiter Gerald Goldnagl betont, dass der Einsatz von Schusswaffen bei dieser Betrugsart ungewöhnlich ist und meist von erfahrenen Banden aus der Westbalkanregion praktiziert wird.