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Wie Islands Vulkane dem Bosporus einst Eisberge bescherten

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Im Winter 763/764 n. Chr. konnte man von Konstantinopel - heute Istanbul - aus Eisberge sehen, heißt es in historischen Aufzeichnungen, mit denen sich der Byzantinist Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Mittelalterforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) beschäftigte. Diese extreme Wetteranomalie wird in einer neuen Studie mit seiner Beteiligung nun auf eine aktive Phase von Vulkanen auf Island zurückgeführt. Das steht im Gegensatz zu früheren Annahmen.

So gehen viele Wissenschafter, die sich mit der Rekonstruktion früherer Klimabedingungen beschäftigen, momentan davon aus, dass die vulkanische Aktivität im Zeitraum von 700 bis 1000 nach Christus kaum eine Rolle spielte. Man spricht von der "Mittelalterlichen Ruhephase", wie die Wissenschafter in ihrer Arbeit im Fachmagazin "Communications Earth & Environment" schreiben. Durch ihren Partikelausstoß bei ausladenden Eruptionen können Vulkane ein durchaus gewichtiges Wörtchen bei der kurz- und mittelfristigen klimatischen Entwicklung mitreden, wie mehrere historische Beispiele zeigen. Katapultieren sie Schwebestoffe (Aerosole) in großem Ausmaß in die Atmosphäre, dann kann das einen signifikanten kühlenden Effekt haben, und auch weit entfernten Gegenden "Jahre ohne Sommer" oder längere kühle Phasen bescheren.

Nicht wirklich zu der Annahme der "Mittelalterlichen Ruhephase" passen allerdings historische Aufzeichnungen aus Konstantinopel, in denen davon die Rede ist, dass im Winter Teile des Schwarzen Meeres zugefroren waren und sich dort Eisberge bildeten, die von der Stadt aus zu sehen waren. Hinweise auf einen sehr harten Winter 763/764 n. Chr. gibt es auch aus Teilen Mitteleuropas oder von den britischen Inseln. Dieser Anomalie ging nun ein aus Wissenschaftern unterschiedlichster Fachrichtungen gebildetes Forschungsteam unter der Leitung der Universität Bern (Schweiz) nach.

Ob die konservierten Hinweise auf das vergangene Klima aus Eisbohrkernen auf Grönland oder aus Ablagerungen aus Höhlen - darunter auch Proben aus der Tiroler Spannagelhöhle in den Zillertaler Alpen - mit der These der relativen vulkanischen Ruhepause im Frühmittelalter zusammenpassen, wurde kritisch hinterfragt. Die Analysen sogenannter "Kryptotephra" - das sind winzige Spuren von Vulkanasche -, die mit modernen Analysemethoden in den Proben identifiziert werden konnten, ergab jedoch, dass in besagtem Zeitraum sehr wohl klimawirksame Schwefelaerosole-Konzentration unterwegs waren. Die Wissenschafter stellen in ihrer Arbeit nun den Begriff "Isländische Aktivperiode" in den Raum.

Den neuen Erkenntnissen zufolge waren es nämlich vor allem Vulkane auf der nordatlantischen Insel, wo u.a. auch in den vergangenen Monaten wieder erhöhte Vulkanaktivität festgestellt wurde, die zwischen 751 und 940 n. Chr. solche Aerosole ausgestoßen haben. Der besonders kalte Winter um die Jahre 763/764 passt gut mit dem Befund zusammen, dass der im Süden Islands liegende Vulkan Katla - einer der aktivsten auf der Insel - zwischen 751 und 763 Ausbrüche an den Tag legte, die so heftig waren, dass Teilchen bis in die Stratosphäre geschleudert wurden, heißt es am Montag in einer Aussendung der ÖAW.

Im weit entfernten Konstantinopel und anderen Teilen Europas konnten die Menschen um diese Zeit einen solchen Zusammenhang aber keineswegs herstellen. Wie man sich dies erklärte, lasse sich aus historischen Quellen herauslesen, so der Byzantinist Preiser-Kapeller: Darin werde " nicht nur beschrieben, dass es sehr kalt war, sondern, dass die extremen Temperaturen Tiere sterben und Feldfrüchte erfrieren ließen. Die Menschen litten nicht nur unmittelbar Not, sondern waren auf verschiedenen Ebenen tief erschüttert."

Als sich dann im März des Jahres 764 auch noch ein Meteorschauer zu den tiefen Temperaturen dazugesellte, kursierten offenbar Gerüchte über das Ende der Welt. Eingeordnet wurde das vermeintlich Unerklärliche im Zusammenhang mit der Religion und ihrer "richtigen" Ausübung: Im Rahmen des damals schwelenden, sogenannten "Bilderstreits" wurde darüber diskutiert, "wie man das Göttliche richtig verehrt. Aus Sicht eines Bilderverehrers war der Kaiser schuld, weil er verbot, die Heiligen angemessen zu verehren. Die Krise wurde also politisch instrumentalisiert und als Strafe Gottes interpretiert", so Preiser-Kapeller.

(S E R V I C E - https://doi.org/10.1038/s43247-024-01350-6)

ribbon Zusammenfassung
  • Historische Aufzeichnungen zeigen, dass im Winter 763/764 n. Chr. Eisberge im Bosporus sichtbar waren, was auf eine ungewöhnliche Kälteperiode hindeutet.
  • Eine Studie der Universität Bern stellt die 'Mittelalterliche Ruhephase' infrage und verweist auf heftige Eruptionen isländischer Vulkane, insbesondere des Katla zwischen 751 und 763, die das Klima beeinflussten.
  • Die extremen Kältebedingungen führten zu Hungersnöten und wurden im Kontext des Bilderstreits als göttliche Strafe interpretiert.