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Süchtig mit 16: Wird Drogenkonsum bei Jungen zum Problem?

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Kinder- und Jugendpsychiater sind besorgt: Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Anteil drogenabhängiger Minderjähriger ansteigt. Immer häufiger wird von Überdosierungen oder drogenbezogenen Unfällen in der Bundeshauptstadt berichtet. Hat Wien ein Problem? PULS 24 hat bei Expert:innen nachgefragt.

Vergangene Woche setzte ein 54-Jähriger bei der Polizei einen Notruf ab. Eine 16-jährige, die er zuvor in seine Wohnung mitgenommen hatte, sei bewusstlos. Als die Beamten eintrafen, konnte nur mehr der Tod des Mädchens festgestellt werden. Der Grund: vermutlich eine sichergestellte, weiße Substanz - Kokain

Es ist nur einer von zahlreichen drogenbezogenen Vorfällen, die in den vergangenen Monaten für einen Aufschrei sorgten - vor allem bei Expert:innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Schon längere Zeit weise man auf das Problem steigender Intoxikationen (Vergiftungen), aber auch drogenbezogener Todesfälle bei Minderjährigen hin, so Katrin Skala, leitende Kinder- und Jugendpsychiaterin am AKH Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe Sucht der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP), im PULS 24 Interview.

Eine valide Datenbasis zum Drogenkonsum bei Jugendlichen gebe es nicht, hält sie fest. Einmal im Jahr wird der Drogenbericht der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) veröffentlicht, wonach es 2021 insgesamt 235 drogenbezogene Todesfälle gab. 

Drogenbezogene TodesfällePULS 24

Beobachtungen: Anteil der unter 25-Jährigen bei Drogentoten steigt

Durch die Anzahl jener Minderjährigen, die in den vergangenen Jahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Substanzkonsumproblemen behandelt wurden, könne man aber ableiten, dass es einen "Anstieg bei den Drogenabhängigen, eine Zunahme der Intoxikationen und auch der intensivpflichtigen Patienten gibt - aber eben nicht mit sauberen Zahlen", erklärt Skala.

Auch Martin Busch, Abteilungsleiter im Kompetenzzentrum Sucht bei der GÖG und Co-Autor des Drogenberichts, spricht von einem Anstieg "der drogenbezogenen Todesfälle in den letzten Jahren, auch wenn es sich dabei um eine statistisch kleine Zahl handelt", sagt er im Gespräch mit PULS 24.

Bedenklich sei vor allem, dass der Anteil der unter 25-Jährigen dabei gestiegen sei. "Das passt nicht zu den anderen Daten, denn eigentlich sprechen die restlichen Zahlen für eine stabile Konsumsituation in den vergangenen Jahren", sagt Busch. 

Ich habe in den vergangenen zehn Jahren nicht so viele abhängige Minderjährige gesehen, wie in den letzten eineinhalb Jahren

Katrin Skala, leitende Kinder- und Jugendpsychiaterin am AKH Wien und Leiterin der Arbeitsgruppe Sucht der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Anstieg wohl Folge von Lockdowns und Co.

Den tatsächlichen Grund für einen möglichen Anstieg bei den drogenabhängigen Minderjährigen könne man derzeit nur schwer eruieren, so Busch. Die Pandemie habe dabei aber eine tragende Rolle gespielt. Auch Skala erkennt eine "zeitliche Korrelation" zwischen der Anzahl der Drogenabhängigen und den Jahren 2021 sowie 2022. Aus Gesprächen mit Betroffenen würden die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, also etwa Lockdowns, als Hauptgründe für den Konsum von Suchtmittel herausgehen.

Während den Lockdowns hätten manche, die unter der Situation psychisch gelitten haben, Drogen ausprobiert. Erst später werde "Probierkonsum zur Sucht", weswegen man seit 2021 einen Anstieg von Drogenabhängigen verzeichne.

"Ich habe in den vergangenen zehn Jahren nicht so viele abhängige Minderjährige gesehen, wie in den letzten eineinhalb Jahren", so Skala. Vor allem Mädchen würden der Drogensucht immer mehr verfallen. 

Tod aufgrund von Atemstillstand durch Opioide

Im Fall der vermutlich an Drogen verstorbenen 16-Jährigen wurde Kokain sichergestellt. Eigentlich würden Mädchen eher zu sogenannten "Downers", also Opioiden (etwa Heroin), Cannabiskraut (auch Marihuana) oder auch Alkohol, greifen. Sie hätten eine beruhigende Wirkung. 

Grundsätzlich werden in Österreich laut Busch eher "klassische" Drogen, wie Kokain, Marihuana und Opioide eingenommen. Auch Kokain (oder Koks) ist in Europa auf dem Vormarsch, weiß Busch.

Jedoch stehen in Österreich meist Opioide, wie Heroin, mit drogenbezogenen Todesfällen in Verbindung, schildert er. Diese hätten eine "atemdepressive Wirkung, das heißt, sie führen zu einer maximalen Entspannung, was zu einem Atemstillstand führen kann", erklärt er. Die Schätzungen der GÖG kommen in Österreich für die Jahre 2020 und 2021 auf eine Anzahl von 35.000 bis 40.000 Personen mit risikoreichem Drogenkonsum (also jenem Drogenkonsum, welcher für die Person einen Schaden verursacht) unter Beteiligung von Opioiden.

Laut Skala würden viele Konsument:innen aber auch Benzodiazepinen, umgangssprachlich auch "Benzos" genannt, mit Heroin mischen. Benzos sind Substanzen mit beruhigender Wirkung. Auch bei den Todesfällen, die in erster Linie durch Opioide bedingt sind, seien zumeist Benzodiazepine im Spiel, sagt sie. 

Drogen sind billiger und "reiner" geworden

Gründe für vermehrte Vergiftungen oder Überdosierungen bei Minderjährigen könnten aber auch der Zugang sowie die Qualität der Suchtmittel sein. So seien Drogen derzeit sehr billig und "rein", haben also eine hohe Qualität, so Busch.

Im Internet, vorrangig im Darknet, aber auch auf herkömmlichen Plattformen wie TikTok, können Substanzen relativ reibungslos bestellt werden, erklärt Thomas Trabi, Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie im Klinikum Klagenfurt. "Gerade während der Pandemie ist das Angebot an einfach verfügbaren Drogen mehr geworden", fügt er an.

In Wien sei aber vor allem der Straßenhandel problematisch, erzählt Skala. Orte wie das Museumsquartier oder diverse U6-Stationen (Gumpendorferstraße, Margartengürtel oder Josefstädterstraße) seien Hot-Spots für Drogen-Dealer

Man sieht insgesamt etwa eine Verdreifachung des Problems, es bräuchte daher wohl eine Verdreifachung sowohl stationärer als auch ambulanter Kapazitäten.

Katrin Skala

Problem "hat sich verdreifacht", Betreuung mangelhaft

Verfallen Minderjährige der Sucht, seien die fehlenden Behandlungsmöglichkeiten das nächste Problem, so Skala. Das AKH, das Krankenhaus Rosenhügel und das Anton Proksch Institut seien die einzigen stationären Behandlungsstrukturen für abhängige Kinder und Jugendliche in Wien. Nach einem stationären Aufenthalt und dem Entzug brauchen die Betroffenen aber noch eine entsprechende ambulante Betreuung.

"Wenn Jugendliche nach einer stationären Behandlung rückfällig werden, kann es leichter zu einer Überdosis kommen, wenn sie die gleiche Menge Drogen wie vorher konsumieren", erklärt sie. Sie seien diese Menge dann nicht mehr gewohnt. Auch die vermutlich an einer Überdosis verstorbene 16-Jährige sei zuvor stationär behandelt worden, berichten Medien. Man sehe derzeit insgesamt etwa eine "Verdreifachung des Problems", weswegen es "wohl eine Verdreifachung sowohl der ambulanten und stationären Kapazitäten bräuchte", fügt Skala an.

Stadt Wien will Ressourcen für Kinder- und Jugendpsychiatrie erhöhen

Die Zuständigkeit für diesen Bereich liege bei den Ländern, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf PULS 24 Anfrage. In Rahmen des Finanzausgleichs habe man aber 550 Millionen Euro für den Ausbau bereitgestellt.

"Zudem wurde Kinder- und Jugendpsychiatrie bereits 2022 als Mangelfach eingestuft, somit konnte der Ausbildungsschlüssel erhöht werden, um den Mangel in diesem Bereich entgegenzuwirken", heißt es weiter.

Ein Sprecher von Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, erklärt, dass man seitens der Stadt keinen Anstieg junger Suchtmittelkonsument:innen verzeichnen würde. Jedoch würden Drogenabhängige "intensiver konsumieren". Die Stadt Wien beobachte die Situation derzeit engmaschig und genau. 

In diesem Jahr habe man auch das Programm "API Steps" ins Leben gerufen, welches erstmals "Suchterkrankungen und psychiatrische Erkrankungen in ihrer Gesamtheit speziell bei Patient:innen zwischen 16 und 25 Jahren wahrnimmt und behandelt und damit den Ausbau im stationären, tagesklinischen und im ambulanten Setting vorangetrieben". Auch im kommenden Jahr soll dieses Programm erweitert werden.

Künftig möchte man das Problem weiterhin genau beobachten. Im kommenden Jahr seien auch Erhöhungen der Ressourcen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgesehen, unter anderem auch "mit Spezialisierung auf problematischen Konsum", so der Sprecher. 

Im Fall der 16-Jährigen, die in der Wohnung eines 54-Jährigen tot aufgefunden wurde, sind derzeit noch nicht alle Fragen beantwortet. Der Mann wurde vorläufig festgenommen. 

ribbon Zusammenfassung
  • Kinder- und Jugendpsychiater sind besorgt: Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Anteil drogenabhängiger Minderjähriger ansteigt.
  • Immer häufiger wird von Überdosierungen oder drogenbezogenen Unfällen in der Bundeshauptstadt berichtet.
  • Hat Wien ein Problem? PULS 24 hat bei Expert:innen nachgefragt.