SrebrenicaKonstantin Auer

30 Jahre nach Massaker

Srebrenica: Überreste von Tausenden immer noch verschollen

Heute, 04:31 · Lesedauer 4 min

Bei dem Massaker von Srebrenica wurden über 8.000 muslimische Männer und Jungen getötet. Auch 30 Jahre nach dem Völkermord suchen Angehörige immer noch nach den menschlichen Überresten ihrer Männer, Väter und Söhne.

"Es gibt kein Grab, bei dem ich nicht geschaut habe. Ich habe zehn Jahre nach ihnen gesucht", erzählt Šuhra Malić der BBC. Ihre Söhne Fuad und Suad wurden beim Massaker von Srebrenica getötet.

Šuhra ist bei weitem nicht die einzige trauernde Mutter: Schätzungen zufolge wurden etwa 8.000 muslimische Männer und Buben im Juli 1995 binnen weniger Tage von der bosnisch-serbischen Miliz getötet.

Viele von ihnen wurden bis heute nicht identifiziert oder gar erst gefunden.

Überreste Tausender immer noch verschollen

Auch Sadik Selimovićs Vater und drei Brüder wurden in Srebrenica getötet. Er selbst hatte Glück - er überlebte das Massaker. Die Suche nach den Überresten von Srebrenica-Opfern hat Selimović zu seiner Lebensaufgabe gemacht.

Dass etwa tausend Opfer des Völkermords aber noch immer nicht gefunden wurden, empfindet der 62-Jährige als schier unerträglich. Als Ermittler beim Bosnischen Institut für Vermisste fahndet er nach Anhaltspunkten dafür, wo die Toten verscharrt sein könnten.

"In den vergangenen drei Jahren haben wir an 62 Orten gesucht" - immer in der Hoffnung, Massengräber zu finden, erzählt Selimovic. "Aber wir haben keine einzige Leiche gefunden."

Gedenkstätte in Potočari - hier wurden bisher 6.765 Opfer beigesetzt:

Schlimmstes Kriegsverbrechen seit 2. Weltkrieg

Das Massaker von Srebrenica gilt als schlimmstes Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkriegs. Bereits zu Beginn des Bosnien-Krieges 1992 hatten bosnisch-serbische Einheiten die hauptsächlich von Muslimen bewohnte Kleinstadt Srebrenica belagert. 

Die Vereinten Nationen erklärten Srebrenica zur Schutzzone und entsandten UNO-Soldaten. Doch diese verhinderten nicht, dass die bosnisch-serbischen Truppen im Juli 1995 tausende Muslime binnen weniger Tage ermordeten.

"Wer diese Menschen waren, ist unklar"

Mehr als 6.800 Opfer, etwa 80 Prozent der Ermordeten, sind inzwischen identifiziert, sagt Dragana Vučetić, forensische Anthropologin bei der Internationalen Kommission für vermisste Personen (ICMP). 

In der Leichenhalle der Organisation in Tuzla lägen noch die Überreste von "90 Fällen, deren genetischer Fingerabdruck (DNA) isoliert wurde", erläutert sie. Wer diese Menschen waren, sei jedoch immer noch unklar.

Bei den Überresten von etwa 50 weiteren Opfern in der Halle ist die Identität zwar geklärt. "Aber die Familien wollen sie noch nicht begraben lassen. Meistens, weil die Skelette unvollständig sind", sagt die Expertin.

"Massenhinrichtungsstätten"

Zunächst hätten die Mörder die Toten in große Gräber in der Nähe der "fünf Massenhinrichtungsstätten" geworfen, berichtet Vučetić. "Ein paar Monate später wurden diese Gräber wieder geöffnet und die Leichen, die schon angefangen hatten zu verwesen, wurden an andere Orte gebracht, manchmal hunderte Kilometer entfernt."

Dort seien die Leichen mit Baggern und Bulldozern "in Stücke gerissen" und oft an zwei oder drei verschiedenen Stellen verscharrt worden, um das Verbrechen zu vertuschen. "Bei den Exhumierungen haben wir nur in zehn Prozent der Fälle vollständige Leichen gefunden", sagt Vučetić.

Mithilfe von DNA-Tests konnten einige Skelette vervollständigt werden, deren Teile manchmal in vier verschiedenen Massengräbern gefunden worden waren.

Gebäude in Sarajevo mit Grafiti "Remembering Srebrenica"Dijana Djordjevic

Gebäude in Sarajevo mit Graffiti "Remembering Srebrenica"

Hauptverantworliche verurteilt

Die beiden Hauptverantwortlichen für das Massaker, Radovan Karadž und Ratko Mladić, wurden nach jahrelanger Flucht 2019 bzw. 2021 vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag unter anderem wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt.

Heute erinnern Museen, Monumente und Galerien an die Schrecken des Krieges. Eines davon ist die Gedenkkunstgalerie "11/07/95" in Sarajevo, die sich der Erinnerung an den Völkermord in Srebrenica verschrieben hat. Fotografien von Tarik Sumarah, aber auch umfangreiches Audio- und Videomaterial bietet eine dokumentarische und künstlerische Interpretation der Ereignisse.

Im Mai 2024 erklärte die UNO den 11. Juli zum Internationalen Gedenktag für den Völkermord von Srebrenica.

Zahlreiche Eltern, Ehefrauen und andere Verwandte suchen aber auch 30 Jahre nach dem Massaker immer noch nach dem menschlichen Überresten ihrer Liebsten.

Zusammenfassung
  • Bei dem Massaker von Srebrenica wurden über 8.000 muslimische Männer getötet.
  • Auch 30 Jahre nach dem Völkermord suchen Verwandte immer noch nach den menschlichen Überresten ihrer Männer, Väter und Söhne.