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Seismologe warnt Türkei und Syrien: "Monatelang Gefahr von Nachbeben"

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Warum ist es gerade an der türkisch-syrischen Grenze zu so einem schwerwiegendem Erdbeben gekommen? Wie kann man Gegenden erdbebensicher machen? Der Seismologe Götz Bokelmann klärt die wichtigsten Fragen zum Thema Erdbeben.

Götz Bokelmann ist Professor für Seismologie an der Universität Wien. Im Gespräch mit PULS 24 erklärt er die wichtigsten Fakten zum Thema Erdbeben - und warum es gerade die Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei so stark getroffen hat.

PULS 24Warum ist gerade die Region um die Türkei so stark erdbebengefährdet?

Götz Bokelmann: Die Region wird immer wieder von Erdbeben heimgesucht. In der Gegend treffen sich vier verschiedene tektonische Platten. Im Norden befindet sich die eurasische Platte, im Südwesten die afrikanische und im Osten die arabische Platte. Mitten drin wird die kleine anatolische Platte hin und her geschubst. Durch die Konvergenz, also das Zusammenstoßen, der eurasischen und afrikanischen Platte wird die anatolische Platte in den Ägäis-Raum gedrängt. Diese Relativbewegung der anatolischen Platte gegenüber der eurasischen und der afrikanischen Platte findet an zwei Verwerfungen statt. Eine Verwerfung ist die Grenzfläche zwischen zwei dieser Platten. Dort gibt es Erdbeben.

Wie lange besteht die Gefahr von Nachbeben?

Viele Menschen in der betroffenen Gegend haben derzeit ihre Häuser verlassen, weil sie wissen, dass Nachbeben kommen. Die Häufigkeit von Nachbeben nimmt in den kommenden Wochen und Monaten ab. Es wird aber viele Monate dauern, vielleicht Jahre, bis es wieder zur Ruhe kommt.

Warum ist es so schwer, Erdbeben vorherzusagen?

Weil sie sich extrem nicht-linear verhalten. Es ist ähnlich wie beim Schmetterlingseffekt: Irgendwo schlägt ein Schmetterling seine Flügel, dadurch entstehen Wellen und wo anders hat es einen großen Effekt. So ähnlich funktioniert das auch bei Erdbeben. Außerdem können wir nicht alles beobachten, was in der Erde passiert. 

Bei sehr großen Subduktionszonen - dort wo eine kontinentale auf eine ozeanische Platte trifft -  hat man die Hoffnung, Erdbeben vorhersagen zu können. Vor großen Erdbeben passiert in der Tiefe ein gleitendes Verhalten, bevor das Erdbeben ausgelöst wird. Wenn man dieses Verhalten sieht, kann man davon ausgehen, dass es in der nahen Zukunft eine Gefährdung für ein großes Erdbeben gibt.

Wie kann man Gegenden erdbebensicher machen?

Das wichtigste ist die Baustruktur. Gebäude müssen verstärkt werden. Die Türkei ist ein klassischer Fall von einem Land, wo es gute Erdbebengesetze gibt, diese aber nicht befolgt werden. Teilweise sind die Häuser zu alt, teilweise werden die Gesetze ignoriert. Das kann tragische Folgen haben. Bei vielen Gebäuden sieht man, dass sie zusammenstürzen wie ein Kartenhaus.

Auch die Bodenstruktur spielt eine Rolle. Manche Gegenden bestehen aus ungünstigem Untergrund in Bezug auf Erdbebengefährdung. In San Francisco etwa wurden bestimmte Gegenden aus diesem Grund lange nicht bebaut - mit zunehmender Platznot und Abstand zu den letzten Erdbeben wurden dann auch dort Häuser hingebaut. Wenn es lange kein Erdbeben gab, tendiert die Gesellschaft dazu, solche Gefährdungen weniger zu stark zu werten.

Wie oft treten große Erdbeben auf?

Nur selten. Es kann alle 100 oder auch alle 1000 Jahre passieren. Viele Menschen haben große Erdbeben nie erlebt und können sich nicht vorstellen, dass irgendwann alles zusammenstürzt. 

ribbon Zusammenfassung
  • Warum ist es gerade an der türkisch-syrischen Grenze zu so einem schwerwiegendem Erdbeben gekommen?
  • Wie kann man Gegenden erdbebensicher machen?
  • Der Seismologe Götz Bokelmann klärt die wichtigsten Fragen zum Thema Erdbeben.

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