Prozess um Mordversuch nach Messerstichen in Wiener Park
Der junge Bulgare hielt sich seit einigen Wochen in Wien auf. Er war Wanderarbeiter, wie seine Verteidigerin ausführte. Seine Eltern haben sich nach Italien abgesetzt, um Fische auf einem Markt zu verkaufen. Er und seine fünf Brüder wurden in Bulgarien beim Onkel gelassen. Seit seinem 16. Lebensjahr verdingte er sich als Arbeiter. Bevor er nach Wien kam, war er zum Ernten von Paradeisern in Tschechien. Von dort wollte er eigentlich in seine Heimat zurückkehren. Ihm wurde gesagt, er müsse mit der Bahn zum Wiener Flughafen nach Schwechat, um nach Bulgarien zu gelangen. Am Ende kam er in Floridsdorf an und fand den Weg nicht weiter. Er konnte kein Deutsch und habe kein Handy gehabt, um nachzusehen, führte seine Verteidigerin aus.
Im Wasserpark traf er dann schließlich eine Woche vor der Tat auf den 33-Jährigen, mit dem er gelegentlich Energy Drinks konsumierte und von dem er sie auch das Handy borgte. Am 5. August waren der Mann und ein Bekannter erneut in dem Floridsdorfer Park und konsumierten bereits vormittags Alkohol, als der junge Mann zu ihnen stieß. Weil der 19-Jährige mit seiner Mutter in Neapel telefonieren wollte, damit diese ihm Geld nach Wien schickt, lieh er sich erneut das Mobiltelefon des Älteren aus. Weil der junge Mann jedoch so lange gebraucht hat, verlangte der 33-Jährige sein Handy nach 15 Minuten zurück und es kam es zu einem lautstarken Streitgespräch.
Ab da unterscheiden sich die Versionen der Geschehnisse von Angeklagten und Opfer. Der Ältere berichtete, dass er und sein Bekannter aus dem Park gingen und sich verabschiedeten. Auf der Straße traf er erneut auf den 19-Jährigen, der ihm herwinkte. Dass er zusticht, "hätte ich nie gedacht", sagte das Opfer im Zeugenstand.
Angeklagter sprach von Attacken gegen ihn
Der Jüngere wiederum sprach davon, in Notwehr gehandelt zu haben. Im Zuge des Streits um das Handy habe er von dem 33-Jährigen einen Schlag auf den Kopf und einen Tritt in die Genitalien bekommen. Als er auf die Knie sackte, sei er von dem Mann in den Schwitzkasten genommen worden. "Ich habe gehustet, geweint und geschrien", sagte er dem vorsitzenden Richter Daniel Schmitzberger. Da er sich aus dem Griff nicht lösen konnte, holte er ein Springmesser aus der Tasche, das er Tage zuvor auf einem Tisch im Park gefunden hatte, und stach dem Kontrahenten in die linke Brust. "Nach dem ersten Stich hat er noch mehr zugezogen", sagte der 19-Jährige, weshalb er ein zweites Mal ausholte.
Die zwei Stiche haben das Herz und die Lunge schwer verletzt. Es kam zu einer massiven Einblutung in die Brusthöhle, wie der medizinische Gutachter Wolfgang Denk ausführte. Außerdem wurde eine Strecksehne am kleinen Finger fast durchtrennt. Nur durch einen Zufall wurde das Leben des Mannes gerettet. Ein zufällig anwesender Rettungswagen, dessen Besatzung gerade eine verunfallte Radfahrerin versorgte, kümmerte sich um den lebensgefährlich Verletzten. Sein Kreislauf war bereits instabil, als er ins Krankenhaus gebracht wurde. Eine Notoperation, bei der das Brustbein gespalten werden musste, rettete ihm das Leben. Sechs Tage blieb er auf der Intensivstation. Er schloss sich dem Verfahren mit einer Schmerzengeld-Forderung in der Höhe von 9.000 Euro an.
Opfer nahm trotz Schizophrenie Drogen
Der 33-Jährige leidet seit geraumer Zeit an paranoider Schizophrenie und nimmt dagegen seit 2018 regelmäßig Medikamente. Weil bei ihm auch geringe Alkoholmengen und Drogen festgestellt wurden - Marihuana, Kokain, Crack und Benzodiazepine -, stand auch im Raum, ob das die Wirkung der Medikamente gegen seine psychische Störung aufheben hätte können. Die Verteidigerin des 19-Jährigen meinte, dass der 33-Jährige durchaus eine "pulshafte Reaktion" aufgrund seiner Krankheit gehabt haben könnte. Für den psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann gab es dafür keinen Hinweis, weil der Mann in der Vergangenheit und vor der Tat rational gehandelt habe. Er habe bei einer Tankstelle Alkohol gekauft, habe sein Handy verliehen und das auch zurückverlangt. Dass Menschen mit paranoider Schizophrenie auch andere Substanzen nehmen, sei "ein gängiges Phänomen", sagte der Psychiater. Der Bekannte, der mit dem 33-Jährigen im Park trank, konnte nie ausfindig gemacht werden. Das Opfer kannte seinen Namen nicht.
In der Verhandlung stand auch im Raum, dass der Bulgare bei einem seiner Aufenthalte in Italien Mixed Martial Arts (MMA) trainierte. "Ich habe auch zehn Jahre Kampfsport gemacht. Das erste, was man lernt, ist, wie kann man sich gegen einen Angriff gegen den Hals wehren. Haben Sie das nicht gelernt?", fragte der Beisitzer Wolfgang Etl. "Ich habe keinen Trainer", meinte der Angeklagte, er habe nur von Videos gelernt. Zudem hatte er sich eine Woche vor der Tat die Hand gebrochen. Den in einem Wiener Spital angelegten Gips hatte er allerdings entfernt gehabt.
Er wollte sich gleich nach der Tat stellen, nachdem er gemerkt hatte, dass sein Messer blutig war. Am Floridsdorfer Bahnhof ging er zu einem Pärchen, zeigte die Tatwaffe und bat, die Polizei zu holen. Doch das Paar ignorierte ihn. Dann kehrte er an den Tatort zurück, ging dort in eine Tankstelle und bat eine Mitarbeiterin, den Notruf zu wählen.
Randale in Zelle
Bei seiner Festnahme randalierte der Mann allerdings. Er zeigte sich unkooperativ, aggressiv und urinierte durch die vergitterte Zellentür, sodass er in eine Gummizelle gebracht werden musste. "Ich war verzweifelt, habe geweint", sagte der 19-Jährige. Er habe an sein Kind in Bulgarien und an seine Eltern gedacht.
Zusammenfassung
- Ein 19-jähriger Bulgare steht wegen versuchten Mordes vor Gericht, nachdem er am 5. August 2023 in einem Wiener Park einen 33-Jährigen mit einem Messer angegriffen hat.
- Auslöser war ein Streit um ein Handy, wobei der Angeklagte angibt, in Notwehr gehandelt zu haben, nachdem er geschlagen und getreten worden sei.
- Das Opfer erlitt zwei Stiche in die linke Brust, wodurch Herz und Lunge schwer verletzt wurden, und überlebte nur dank einer zufällig anwesenden Rettung und einer Notoperation.
- Der 33-Jährige leidet an paranoider Schizophrenie, nahm regelmäßig Medikamente und konsumierte zum Tatzeitpunkt Alkohol sowie Drogen wie Marihuana, Kokain, Crack und Benzodiazepine.
- Nach der Tat wollte sich der Angeklagte der Polizei stellen, wurde aber zunächst ignoriert und bat schließlich an einer Tankstelle um Hilfe.
