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Nach Erdbeben trifft Tropensturm "Grace" auf Haiti

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Nach dem Erdbeben mit mehr als 1.400 Toten ist ein Sturm mit starkem Regen über das betroffene Gebiet im Süden Haitis hinweggefegt.

"Grace" erstarkte in der Nacht auf Dienstag (Ortszeit) laut US-Hurrikanzentrum von einem Tiefdruckgebiet zu einem Tropensturm und zog mit anhaltenden Windgeschwindigkeiten um die 65 Stundenkilometer über den Süden der Insel Hispaniola hinweg, auf der Haiti und die Dominikanische Republik liegen.

Videos in sozialen Medien zeigten überschwemmte Straßen. Auf der vom Erdbeben am Samstag schwer getroffenen Halbinsel Tiburon, wo Zehntausende Menschen obdachlos geworden waren, stand das Wasser stellenweise knöchelhoch, wie auf Bildern zu sehen war. Die Bewohner der Gegend, von denen viele bisher im Freien schliefen, suchten etwa in Zelten und unter Planen notdürftig Schutz.

In dem vom Erdbeben beschädigten allgemeinen Krankenhaus von Les Cayes - mit einer Bevölkerung von etwa 90.000 Menschen die größte Stadt im betroffenen Gebiet - waren Patienten zunächst im Innenhof untergebracht worden. Wegen des Regens wurden sie aber hineingebracht, wie der Journalist Frantz Duval auf Twitter berichtete. "Das Dilemma an diesem Morgen: der Schlamm im Freien oder das rissige Gebäude - wo ist man besser geschützt", schrieb er.

Die Zahl der bestätigten Todesopfer des Erdbebens war nach Angaben von Haitis Zivilschutzbehörde vom Montag auf 1.419 gestiegen. Rund 6.900 Menschen wurden demnach verletzt - und viele noch in den Trümmern zerstörter Gebäude vermutet.

Beben der Stärke 7,2

Das Beben der Stärke 7,2 hatte sich Samstagfrüh (Ortszeit) nahe der Gemeinde Saint-Louis-du-Sud östlich von Les Cayes in einer Tiefe von rund zehn Kilometern ereignet. Gut 37.000 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschutzbehörde zerstört, fast 47.000 beschädigt. Nach Unicef-Angaben waren 1,2 Millionen Menschen betroffen. Die Not war groß in dem Gebiet, das fünf Jahre zuvor von Hurrikan "Matthew" verwüstet worden war. Laut Caritas International wurden Nahrung, Trinkwasser, Zelte und medizinische Erstversorgung benötigt.

HAITI: ZERSTÖRUNG & LEID NACH ERDBEBEN

In Haiti, dem ärmsten Land Amerikas, waren bei einem Erdbeben der Stärke 7,0 im Jänner 2010 mehr als 220.000 Menschen ums Leben gekommen und mehr als eine Million Menschen obdachlos geworden. Der Wiederaufbau litt stark unter Korruption und Verschwendung.

Fehlende oder beschädigte Infrastruktur drohte die Hilfs- und Rettungseinsätze nach dem neuen Beben zu behindern. Auch wegen Kämpfen zwischen Banden um Territorium ist die Fernstraße, die die Hauptstadt Port-au-Prince mit Haitis Süden verbindet, häufig unpassierbar. Diese Gewalt trieb allein im Juni nach UN-Zahlen rund 15.000 Menschen in die Flucht.

Die haitianische Menschenrechtsorganisation RNDDH kritisierte den Umgang der Regierung mit der Katastrophe als "totales Chaos". "Sie sind völlig sich selbst überlassen", hieß es hinsichtlich der Erdbebenopfer. Einige suchten auf eigene Faust nach Zelten zum Schutz vor dem Unwetter. Vor personell unterbesetzten und schlecht ausgestatteten Krankenhäusern warteten verzweifelte Verletzte.

Interims-Premierminister Ariel Henry kündigte bei Twitter schnellere Arbeit an. "Wir werden unsere Energien verzehnfachen, um die größtmögliche Zahl von Opfern zu erreichen und ihnen zu helfen", schrieb er. Henry ordnete auch drei Tage Staatstrauer ab Dienstag an.

Hilfsaktionen angelaufen

Haitis ohnehin schwer unterfinanziertes Gesundheitssystem ist durch die sich zuletzt verschlimmernde Pandemie überstrapaziert. Auch hier spielt die Bandengewalt eine Rolle: Eine Notfallklinik der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Port-au-Prince wurde geschlossen, nachdem auf sie geschossen worden war. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise, die sich nach der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse durch eine Kommandotruppe in seiner Residenz am 7. Juli verschärft hat.

Die EU-Kommission kündigte indes Hilfe in Höhe von zunächst drei Millionen Euro an. Das Geld solle etwa für medizinische Versorgung, Wasser-, Abwasser- und Hygienedienste sowie für Unterkünfte und Schutzmaßnahmen für die am stärksten betroffenen und benachteiligten Gemeinschaften eingesetzt werden. "Wir sind bereit, weitere Unterstützung zu leisten", versicherte EU-Kommissar Janez Lenarcic.

SOS-Kinderdorf startete indes Nothilfe für Kinder und Familien. Das SOS-Kinderdorf Les Cayes liegt direkt in der Erdbebenregion, von dort aus laufen die Maßnahmen an. Vor allem sollen Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Medikamente und Kleidung verteilt und Notunterkünfte zur Verfügung gestellt werden.

"Kinder sollen in Kinderschutzzentren einen sicheren Ort finden und psychologisch betreut werden, um Traumatisierungen entgegenzuwirken. Mittelfristig wird in diesen Nothilfe-Tagesstätten auch provisorischer Unterricht stattfinden können", teilte die Hilfsorganisation mit. Die Mitarbeiter seien mit lokalen Behörden auch im Einsatz, um im Chaos getrennte Familien wieder zu vereinen. SOS-Kinderdorf ist seit über 35 Jahren in Haiti aktiv und hat schon nach dem Erdbeben 2010 Nothilfe geleistet. Im danach erbauten SOS-Kinderdorf Les Cayes seien alle dortigen Kinder und Familien wohlauf und sicher.

"Grace" nahm Dienstagfrüh (Ortszeit) an Stärke zu und zog weiter Richtung Jamaika. Ein tropischer Wirbelsturm gilt ab 119 Kilometern pro Stunde als Hurrikan.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach dem Erdbeben mit mehr als 1.400 Toten ist ein Sturm mit starkem Regen über das betroffene Gebiet im Süden Haitis hinweggefegt.
  • "Sie sind völlig sich selbst überlassen", hieß es hinsichtlich der Erdbebenopfer.
  • "Grace" nahm Dienstagfrüh an Stärke zu und zog weiter Richtung Jamaika.

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