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Kürzere Schnauze der Waschbären zeigt ihre Haustierwerdung

Heute, 05:01 · Lesedauer 3 min

Waschbären sind auf dem Weg, Haustiere zu werden, berichtet die österreichische Zoologin Raffaela Lesch. Viele von ihnen leben in engem Kontakt mit Menschen in Ballungsräumen. Diese Tiere haben im Vergleich zu ihren Artgenossen am Land eine kürzere Schnauze. Das ist ein Zeichen der Domestikation (Haustierwerdung). Hunde haben zum Beispiel ebenfalls eine kürzere Schnauze als ihre wilden Verwandten, die Wölfe. Die Studie ist im Fachjournal "Frontiers in Zoology" erschienen.

Schon vor wahrscheinlich 35.000 Jahren sind die Wölfe zu den "besten Freunden der Menschen" geworden. Die am wenigsten scheuen Exemplare streunten um menschliche Siedlungen und fraßen ihre Abfälle. Sie hatten immer weniger Angst vor den Menschen und kamen ihnen immer näher. So wie ihr Verhalten änderte sich auch das Aussehen: Ihre Schnauzen wurden kürzer, sie haben oft Schlappohren und geschecktes Fell.

Bei den Waschbären (Procyon lotor) passiert in Nordamerika nun Ähnliches. Viele von ihnen leben nahe von Menschen, zum Beispiel in städtischen Parks und bei Dörfern. Das ist für sie ein sehr attraktiver Lebensraum, denn dort kommen sie sehr leicht an weggeworfene Essensreste und werden nicht von großen Raubtieren bedroht, so Lesch, die am Department of Biology der University of Arkansas at Little Rock in den USA forscht, mit Kolleginnen und Kollegen in dem Fachartikel.

"Zusammen mit einem 16-köpfigen Studentenforschungsteam haben wir über 19.000 Bilder von Waschbären durchkämmt, die Naturliebhaber online zur Verfügung gestellt hatten", erklärte sie der APA: "Anschließend berechneten wir die Länge der Schnauzen im Verhältnis zum ganzen Kopf." Es zeigte sich, dass Waschbären, die in menschlichen Ballungsräumen leben, signifikant kürzere Schnauzen haben als ihre Artgenossen am Land. "Das deutet darauf hin, dass diese Tiere den Weg zur Domestikation eingeschlagen haben könnten", sagte Lesch.

Für Angst und Knochenbildung wichtige Zellen bei Haustieren weniger

Die Verkürzung der Schnauzen ist so wie die anderen Domestikationszeichen, also Schlappohren, geschecktes Fell und gekringelte Schwänze, laut der gängigen wissenschaftlichen "Neuralleisten-Domestizierungssyndrom-Hypothese" eine indirekte Folge der Selektion auf zahmes Verhalten mit verringertem Fluchtreflex. Neuralleisten-Zellen sind Vorläuferzellen im Embryo, aus denen unter anderem Zähne, Knochen und Knorpel entstehen, sowie Farbpigmente und Hormone, die für Angst und Aggression wichtig sind. Wenn sie weniger werden, werden die Tiere zahmer, und "nebenbei" ihre Zähne und Knochen wie der Gesichtsschädel kürzer. Auch die Farbgebung ändert sich: Ihr Fell bekommt weiße Flecken.

Helle Flecken haben Waschbären ohnehin etwa im Gesicht, Knickohren konnten die Forscher auf den Bildern der urbanen Exemplare aber keine finden. "Das zeigt wahrscheinlich, dass sie sich noch in den Anfangsstadien dieses Domestikationsprozesses befinden", erklärte die Zoologin.

(S E R V I C E - https://doi.org/10.1186/s12983-025-00583-1)

Zusammenfassung
  • Waschbären, die in städtischen Ballungsräumen leben, zeigen laut einer Studie von Raffaela Lesch und ihrem 16-köpfigen Team signifikant kürzere Schnauzen als ihre Artgenossen am Land, was auf eine beginnende Domestikation hindeuten könnte.
  • Für die Untersuchung wurden über 19.000 online verfügbare Bilder von Waschbären ausgewertet und die Schnauzenlänge der Tiere im Verhältnis zum Kopf gemessen.
  • Weitere typische Domestikationsmerkmale wie Schlappohren oder geschecktes Fell konnten bei den untersuchten städtischen Waschbären bisher nicht festgestellt werden, was auf ein frühes Stadium dieses Prozesses schließen lässt.