KI-Studie zeigt kleinteilige soziale Segregation in Wien
Für den ÖAW-Stadtforscher Robert Musil stellt das von der Landesstatistik Wien (MA 23) in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Mostly AI entwickelte synthetische Melderegister einen "außerordentlich innovativen Ansatz dar, mit Mikrodaten zu arbeiten", wie er im APA-Gespräch erklärte. Denn im Regelfall ist die Forschung mit diesen aufgrund des Datenschutzes aufwendig und "nicht unbedingt günstig". Neben der Segregation der hauptstädtischen Wohnbevölkerung war daher auch die Nutzbarkeit der KI-generierten Daten Untersuchungsgegenstand.
Dabei handelt es sich laut Angaben im Prinzip um eine mit Hilfe von KI-Methoden erstellte Art Duplikation des Wiener Melderegisters, bei der allerdings nicht auf die realen Personen rückgeschlossen werden kann. In Österreich sei die Verwendung solcher Datensätze Neuland, so Musil. In den USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern werden sie beispielsweise schon in der medizinischen Forschung oder im Finanzsektor verwendet.
Abgefragt haben die Forschenden im synthetischen Melderegister unter anderem das Geburtsland und die Staatsbürgerschaft. Das Ergebnis: Personen mit Wurzeln in Deutschland leben eher in den inneren Bezirken wie dem ersten, fünften, sechsten oder achten Bezirk, während Menschen mit türkischem oder ex-jugoslawischem Hintergrund stärker in Bezirken rund um den Gürtel präsent sind - etwa in Ottakring, Rudolfsheim-Fünfhaus oder Favoriten.
Überraschend war für die Forschenden dabei die Kleinteiligkeit der räumlichen Segregation. "Sie ist auf der niedrigsten untersuchten Ebene am stärksten ausgeprägt - also auf Ebene der Häuserblöcke", so Musil. "Normalerweise untersucht man die Segregation auf größeren Gebietseinheiten wie Zählbezirken. Dabei bleibt aber viel an sozialer Variation und Dynamik im Verborgenen."
Diese Kleinteiligkeit sozialräumlicher Muster lasse sich u. a. durch Unterschiede bei den Mietpreisen innerhalb der Bezirke erklären - diese sind etwa im 7. Wiener Bezirk in Gürtelnähe viel niedriger als nur drei Häuserblocks weiter, erklärte Musil. Ein weiterer Grund könnte die sogenannte freiwillige Segregation sein, also der Umstand, dass Menschen eher in Gegenden ziehen, wo die eigene Community schon vertreten ist.
Große Unterschiede zwischen den Gruppen
Zudem habe sich gezeigt, dass verschiedene Herkunftsgruppen unterschiedlich stark segregiert sind. Ukrainerinnen und Ukrainer wohnen laut dem Forscher etwa oft in organisierten Unterkünften, was zu einem hohen Maß von Segregation führt. Menschen mit polnischem Hintergrund sind wiederum viel stärker in der Stadt verteilt. Das könne daran liegen, dass die Gruppe sozial durchmischt ist und sich demnach unterschiedlich hohe Mietpreise leisten kann.
Zudem gebe es große Variationen bei den unterschiedlichen Wohnungsmarktsegmenten: Demnach ziehen Menschen mit türkischem Hintergrund tendenziell öfter in Gemeindebauten, weil diese schon länger in Wien leben. Neue Zuwanderergruppen wie etwa Deutsche finden sich tendenziell eher dort, wo die Immobilienpreise hoch sind, erklärte Musil. Insgesamt wird das Muster der Segregation auch durch die verschiedenen Wohnungsmarktsegmente bestimmt, wie etwa Altbau-Mieten, Eigentum, kommunalem Wohnbau oder gemeinnützigen Bauträgern, da diese unterschiedliche Zugangsbarrieren haben und im Stadtraum ungleich verteilt sind.
KI-Melderegister mit Verbesserungsbedarf und großem Potenzial
Zu der Frage, ob das synthetische Melderegister die gleichen Ergebnisse liefert, wie die tatsächlichen Informationen, gibt das Team eine geteilte Antwort: Während die KI-Daten über die gesamte Stadt Wien hinweg im Vergleich zu einem Testlauf der Wiener Landesstatistik mit dem tatsächlichen Melderegister generell übereingestimmt haben, gab es auf der lokalen Ebene teils große Abweichungen. Zudem hat der Vergleich gezeigt, dass im KI-generierten Melderegister die Segregation durchgehend unterschätzt wird. "Wir empfehlen, bei einer neuerlichen Synthetisierung Faktoren zu berücksichtigen, die die räumliche Variation betonen, etwa kleinräumige Immobilienpreise oder Verkehrsachsen wie den Wiener Gürtel", so Musil.
Für die Stadtplanung und -forschung wäre es "ein riesiger Vorteil", das virtuelle Register dementsprechend anzupassen. Mehr und genaueres Wissen auf der kleinräumigen Ebene könne dabei helfen, Hotspots der Segregation zu erkennen und ihnen im Sinne von Aufwertungsmaßnahmen rechtzeitig entgegenzusteuern. "Und: Nur weil jemand laut schreit, ist er nicht von den größten Problemen betroffen. Somit könnte das Tool dabei helfen, Diskurse ein Stück weit zu objektivieren", resümierte der Forscher.
(S E R V I C E - Link zur Studie: https://epub.oeaw.ac.at/0xc1aa5572_0x00405a21.pdf)
Zusammenfassung
- Eine Pilotstudie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zeigt, dass Migrantinnen und Migranten mit gleicher Nationalität in Wien häufig in denselben Wohnvierteln leben.
- Die Forschenden nutzten ein von Künstlicher Intelligenz erstelltes, synthetisches Melderegister, das erstmals in Österreich für solche Untersuchungen eingesetzt wurde.
- Die Segregation ist auf Ebene einzelner Häuserblocks besonders stark ausgeprägt, wobei etwa Deutsche in den inneren Bezirken und Personen mit türkischem oder ex-jugoslawischem Hintergrund in Bezirken rund um den Gürtel wohnen.
- Unterschiedliche Herkunftsgruppen weisen verschiedene Muster auf: Ukrainerinnen und Ukrainer leben oft in organisierten Unterkünften, während Menschen mit polnischem Hintergrund stärker über die Stadt verteilt sind.
- Das KI-basierte Melderegister unterschätzt die lokale Segregation, weshalb die Forschenden empfehlen, künftig Faktoren wie kleinräumige Immobilienpreise zu berücksichtigen.