Jugendkriminalität
Einbruch mit 11, Gefängnis mit 14: Führt da ein Weg raus?
Julian* (17) sieht nicht aus, wie man sich einen Kriminellen vorstellt. Dennoch packt er aus seinem Rucksack eine kleine schwarze Tasche aus und legt mitten im Park ein Dietrich-Set auf den mitgenommenen Holztisch.
Er grinst dabei und scheint stolz zu sein: "Mittlerweile weiß ich, wie man Schlösser knackt". Früher habe er für seine Einbrüche noch Nothämmer aus Zügen stehlen müssen.
Julia präsentiert sein Dietrich-Set
Mit 11 wurde er das erste Mal kriminell, sagt er. Mit 14 saß er das erste Mal im Gefängnis. Die zweite Haftstrafe endete erst vor ein paar Monaten. "Sechs oder sieben Mal" stand er in seinem jungen Leben schon vor dem Richter. Verurteilt wurde er unter anderem wegen Sachbeschädigung, Raub, Einbruch, Diebstahl und Körperverletzung.
Weg von den Eltern
Julian ist nicht besonders groß, nicht durchtrainiert. Er hat keine Boxerfrisur, wie viele junge Kriminelle. Im Gegenteil: Dass seine Haare unfrisiert abstehen, stört ihn nicht. Er trägt auch keine Markenklamotten. In seinem kindlichen Gesicht ist über seiner Lippe nur der Flaum eines Bartes zu erkennen.
Ungeduldig wackelt er mit den Beinen. Seine Antworten fallen kurz aus, besonders, wenn es um seine Familie geht. Was ihm passiert ist, darüber weiß er wohl selbst nicht alles. Aber er ist froh, wenn ihm jemand zuhört.
Julian ist einer jener Intensivtäter, die derzeit für Schlagzeilen sorgen. Er ist einer jener kriminellen Jugendlichen, wegen derer die Polizei und zahlreiche Organisationen – von Kinder- und Jugendhilfe, über Bewährungshilfe und Justiz bis Sozialarbeit - kürzlich in Wien zusammenkommen ließ, um Maßnahmen zu ergreifen.
Die Jugendkriminalität ist gestiegen. Vor allem die Anzeigen gegen Unmündige, also 10- bis 14-Jährige, sind im vergangenen Jahr um 24 Prozent gestiegen. 12.049 Anzeigen gab es 2024 gegen Personen in diesem Alter in Österreich. Die Anzahl der Tatverdächtigen in diesem Alter ist in Wien sogar um 112 Prozent gestiegen.
Das hat verschiedene Gründe: Die psychischen Erkrankungen nehmen zu – auch eine Auswirkung der Corona-Pandemie. Es gibt laut Expert:innen eine gestiegene Anzeigenbereitschaft gegen Jugendliche.
Auch der demografische Wandel, Zuwanderung von unbegleiteten Flüchtlingen, oder neue Delikte im Internet lassen die Zahlen steigen. Bei der Polizei spricht man aber schon auch davon, dass die Brutalität und die Schwere der Straftaten bei Kindern und Jugendlichen zugenommen habe und, dass die Täter:innen immer jünger werden.
Eine große Anzahl der Anzeigen geht allerdings auf die Kappe einiger weniger Intensivtäter. Laut der "Arbeitsgruppe Kinder- und Jugendkriminalität" haben diese Kinder und Jugendlichen "in den meisten Fällen bereits vermehrte Unterbringungswechsel in Fremdunterbringung erlebt". Knapp über 2.000 fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche gibt es derzeit in Wien.
Sie leben in Wohngemeinschaften oder in Krisenzentren, weil sie keine Eltern haben oder sie diesen abgenommen werden mussten
Julian im Gespräch mit PULS 24
Einer davon ist Julian. Auch er wurde seinen Eltern abgenommen, weil sie sich "angeblich" nicht ausreichend um ihn gekümmert hätten. Mehr sagt er dazu nicht.
Langeweile, falsche Freunde
Der heute 17-Jährige kam dann zu Pflegeeltern. Weil er "angeblich" eine Gefahr für diese Familie darstellte, kam er ins Krisenzentrum. Seither lebte er in verschiedenen Wohngemeinschaften der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA11). Zwei Mal war er im Gefängnis – das erste Mal für drei Monate, das zweite Mal saß er fast ein Jahr und drei Monate.
Seit seinem elften Lebensjahr sei er kriminell, sagt er. Er habe in den Wohngemeinschaften "falsche Freunde" gefunden.
"Aus Langeweile" und weil er "zu wenig Aufmerksamkeit" bekam, begann er mit Vandalismus und Brandstiftung. Einmal warf er sogar selbstgebastelte Molotow-Cocktails auf der Straße herum, zündete Mistkübel an, erzählt er.
Als er noch unmündig war, habe er natürlich auch gedacht, dass ihm eh nichts passieren könne. Einmal entwendete er sogar ein Auto und fuhr mit einem Freund herum. Es gab Zeiten, da sei die Polizei wegen ihm beinahe täglich vor seiner Wohngemeinschaft gestanden.
Gangster-Legenden
In der Gruppe wurden dann auch Diebstähle und Einbrüche begangen. Er habe nie viele Klamotten gehabt und wollte ein neues Handy und eine neue Playstation. Auch habe er nie ausreichend Geld für Zigaretten gehabt. Vieles davon sei aber einfach passiert, "weil ich mir nichts dabei gedacht habe" und "weil ich dumm war", sagt er selbst.
"Ab und zu" habe er auch Drogen konsumiert – Ecstasy oder Cannabis. Dann habe er auch Menschen auf der Straße angegriffen und ausgeraubt.
Video: Walter Dillinger im Interview
Er "bereue" was er getan habe, sagt er. Bei vielen seiner Erzählungen grinst er aber und sagt etwa: "Angeblich" wurde bei einem Einbruch auch Gold gestohlen, ob es die Beute noch gibt, "sage ich jetzt aber lieber nicht". Gangster-Legenden müssen gepflegt werden.
Im März endete Julians letzte Haftstrafe. Gefragt, ob er seither wieder straffällig geworden sei, drückt er zunächst etwas herum und erzählt dann zumindest, dass er "vielleicht" Bierkisten aus dem Supermarkt – ohne sie vorher zu kaufen – in den Pfandautomaten gesteckt hätte.
Neuer Plan soll Jugendkriminalität verhindern
Um Jugendliche wie ihn davon abzuhalten, weiter straffällig zu werden, um sie aus diesem Kreislauf herauszuholen, entwickelte die Arbeitsgemeinschaft einen 5-Punkte-Plan.
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Prävention, Vernetzung, Einbeziehung von Eltern, Schulen, MA11 und anderen Organisationen stehen dabei im Fokus.
Erst diese Woche hat bei der Wiener Polizei eine Ausbildung für koordinierte Intervention bei Schwellentäter:innen" (KISI) stattgefunden. Jugendliche, die erstmals straffällig wurden, und ihre Eltern sollen ab Juni zukünftig von Polizist:innen beraten werden. Danach folgt ein fünfmonatiges Monitoring.
Für Jugendliche, die mindestens fünf Vormerkungen wegen Straftaten in polizeilichen Datenbanken haben, folgt dann eine Orientierungsphase, in der fixe Vertrauenspersonen für die Jugendlichen etabliert werden sollen.
Das Problem bei vielen Jugendlichen, die straffällig werden, sind fehlende Bezugspersonen und fehlende Tagesstrukturen.
Kinder und Jugendliche wegsperren?
Erst als letzte Maßnahme sieht das Programm auch die vorübergehende Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen vor. In diesen Einrichtungen, die allerdings erst gegründet werden müssen, sollen auch sozialpädagogische und psychiatrische Betreuung ermöglicht werden. Die Herabsenkung der Strafmündigkeit, wie von manchen in der Politik gefordert, lehnt die Arbeitsgruppe dezidiert ab.
Was ebenfalls bald kommen soll: Eine Änderung des Heimunterbringungsgesetzes. Denn derzeit tun sich Betreuer:innen der WGs für fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche schwer, diese in der Nacht in den WGs zu halten.
Treiben sich die Kinder- und Jugendlichen auch in der Nacht herum, begehen sie oft Straftaten, sind aber auch potenzielle Opfer von Angriffen. Derzeit können die Sozialpädagog:innen in solchen Fällen nur Abgängigkeitserklärungen bei der Polizei machen, was dort wiederum zu einem erheblichen Mehraufwand führt.
In der Nacht unterwegs
Eine Tatsache, von der auch Julian erzählt: Er meint, er bekomme in seiner WG "zu wenig Aufmerksamkeit", es gebe "zu wenige Betreuer". Er fahre oft in der Nacht zu Freunden – wenn er dann doch in die WG wolle, rufe er sogar selbst die Polizei, die ihn dann zurückbringen müsse.
Walter Dillinger, Leiter der Arbeitsgruppe bei der Wiener Polizei, ist zufrieden mit dem Paket. Ziel sei es, dass die Kinder und Jugendlichen "wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft werden". "Jeder hat es verdient, dass man sich bemüht", ist er überzeugt.
Ob die Maßnahmen in der Praxis funktionieren, werde man erst nach einer gewissen Zeit evaluieren können. Wichtig sei aber, dass alle zuständigen Stellen nun an einem Strang ziehen würden. Und er betont: Alle beteiligten Organisationen würden jetzt schon tolle Arbeit leisten – etwa in Jugendzentren oder bei der Sozialarbeit auf der Straße. Verhinderte Straftaten seien halt nicht sichtbar.
Vorstrafen und hohe Schulden
Und wie geht es mit Julian weiter? "Ich probiere, mein Leben nun zu verbessern", sagt er. "Ich finde es schade, dass ich mein Leben verhaut habe".
Er macht nun mit 17 seinen Pflichtschulabschluss nach, danach möchte er eine Lehre machen. Lokführer wäre sein Traumberuf gewesen, doch wegen der Vorstrafen gehe das nun nicht. Außerdem hat er hohe Schulden.
Als Kellner zu arbeiten, ist sein neuer Plan. Er fühle sich bei diesem Ziel auch von Betreuern und Verwandten unterstützt.
"Ich rate allen, sich von dem Scheiß fernzuhalten", sagt er nun über das Leben in der Kriminalität. Das Dietrich-Set am Tisch vor ihm, muss er dafür wohl erst loswerden.
*Name von der Redaktion geändert.
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Zusammenfassung
- Der erste Einbruch mit 11, mit 14 wegen Raub und Körperverletzung im Gefängnis. PULS 24 traf einen jener jungen Intensivtäter, die Wiens Behörden auf Trab halten.
- Seine Geschichte ist aber eine tragische.
- Ein 5-Punkte-Plan soll Jugendliche wie ihn nun aus der Kriminalitätsspirale holen.