Illegale Corona-Demo: Aufgeheizte Stimmung, zurückhaltende Polizei

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Mehrere tausend Menschen haben Sonntagnachmittag in Wien in teils recht aggressiver Stimmung gegen die Corona-Maßnahmen protestiert - auch wenn eine Groß- und andere Demonstrationen untersagt worden waren.

An den eigentlich untersagten Corona-Demonstrationen am Sonntag in der Wiener Innenstadt haben rund 10.000 Demonstranten teilgenommen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Wiens Polizeichef Gerhard Pürstl haben am Abend eine erste Bilanz gezogen. Demnach wurden zehn Personen festgenommen, vier Polizisten verletzt und rund 800 Anzeigen wegen Verstöße gegen die Covid-19-Bestimmungen ausgesprochen.

Nach Informationen der APA ist einer der Festgenommenen der Rädelsführer der Corona-Skeptiker Martin Rutter, der früher bei mehreren Parteien (Grüne, FPÖ und BZÖ) aktiv war. Er soll versucht haben, Polizisten zu verletzten. Insgesamt zwei Beamte sind gestürzt, zwei wurden durch "fremde Gewalt" verletzt. "Dieser Einsatz war für die Polizisten alles andere als ein Spaziergang", sagte Nehammer. Erst gegen 19.30 Uhr war der Einsatz vorbei. Insgesamt habe sich ein "verheerendes Bild gezeigt". An den Versammlungen haben Hooligans, Personen aus der rechtsradikalen Szene, aber auch Familien teilgenommen. Die Polizisten hätten gute Arbeit geleistet, betonte Nehammer.

Polizeisprecher Christopher Verhnjak über den Polizeieinsatz bei der illegalen Corona-Demo.

Tatsächlich konnten die Teilnehmer der eigentlich untersagten Demo bis in die Abendstunden in mehreren Zügen ungehindert durch Teile Wiens ziehen und dabei unter anderem für Verkehrschaos sorgen, weil sie auf Straßen spazierten. Die Polizei fungierte dabei eher als Geleitschutz.

Eskalationen und Ausschreitungen wurden vermieden, bilanzierte Pürstl. Bei dem "herausfordernden Einsatz" haben die Polizei die Balance gehalten. Die Polizei hätte den Einsatz nicht unterschätzt, man habe gewusst, "wenn viele Demonstranten kommen wird es schwierig sein", sagte der Polizeipräsident, der den Einsatz selbst geleitet hatte. Es sei klar gewesen, dass man den Demonstranten "nachgeben muss und Raum bieten" müsse. Immerhin seien auch Mütter mit Kindern im Kinderwagen unter den Teilnehmern gewesen. Zumindest zum Schluss sei die Exekutive doch noch "sehr massiv eingeschritten", sagte Pürstl.

Nehammer betonte auch, dass der Einsatz "eine eigene Dynamik entwickelt hat", so hätten Teilnehmer unter anderem auch versucht, die Parlamentsrampe zu stürmen und das Parlament, dass derzeit renoviert wird, zu besetzten. "Es war immer notwendig taktisch neu zu entscheiden", sagte der Innenminister. Auch der heutige Polizeieinsatz soll wieder evaluiert werden, damit man sich noch effizienter aufstellen könne, kündigte Nehammer an.

Rechtsextreme und Hooligans zogen ungehindert durch Wien

Laut und teilweise recht aggressiv war am Nachmittag einer der Züge mit weit mehr als 1.000 Menschen, der sich Richtung Schwedenplatz bewegte - angeführt von Parolen schreienden Hooligans und mit Vertretern des rechten Randes, der Identitären, und sogenannten "Querdenkern" in den Reihen. Immer wieder stellten sich linke Gegendemonstranten in den Weg, aber es blieb bei Wortgefechten.

Ein zweiter Zug einiger hundert Maßnahmen-Gegner wanderte erst neben dem Kunsthistorischen Museum im Kreis und dann über den Ring zur Uni, über die Alserstraße und kreuz und quer zurück, ehe sie in die Wienzeile stadtauswärts einbog. Die Teilnehmer waren friedlich, aber mit zunehmender Geschwindigkeit unterwegs. An der Spitze gingen Polizisten, sie steigerten immer wieder das Marschtempo, statt Spazierengehen war (zum Leidwesen mancher Teilnehmer) teilweise fast joggen angesagt.

Brodnig über die Motivation der Demo-Teilnehmer

Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig erklärt, wie sich das Publikum der Corona-Demo zusammensetzt.

Zunächste friedliche Zusammenkunft wurde bald aggressiv

Anfangs hatten sich am Sonntag zunächst ein paar hundert Menschen noch recht friedlich - wenn auch weitgehend unter Missachtung des Masken- und Abstandsgebots - versammelt. Mit zunehmendem Zustrom wurde die Stimmung aggressiver, die "Spaziergänger" stürmten den für Autos zunächst nicht gesperrten Ring. Rund 5.000 Teilnehmer sammelten sich schließlich auf der Ringstraße gegenüber vom Heldenplatz.

Die Polizei forderte zum Abgang in kleinen Gruppen auf und löste die unangemeldete Versammlung schließlich auf. Sie sperrte - Präsident Gerhard Pürstl leitete den Einsatz -, verstärkt mit Polizeidiensthunden - die Routen ab und kesselte die Demo damit ein. Andere danach durch die Stadt ziehenden Demo-Züge beobachteten die Polizisten - insgesamt waren mehr als 1.000 im Einsatz. Sie mussten sich immer wieder höhnische und aggressive Kommentare anhören, es kam auch zu einigen kleinen Tumulten.

Streit zwischen FPÖ und ÖVP

Der Appell von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der zuvor via Facebook zur Besonnenheit aufgerufen und die Polizei als "Freund" gelobt hatte, hatte offensichtlich nicht bei allen Teilnehmern gefruchtet. Am Sonntag gab Kickl, gemeinsam mit Parteichef Norbert Hofer, in einer Aussendung Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) "und Co." die Schuld: Sie hätten "mögliche Eskalationen" mit der Untersagung der Demos "mutwillig und aus rein parteipolitischen Gründen geradezu provoziert".

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Zum - von vielen auf Kickls Facebook-Seite begrüßten - "Spaziergang" gekommen waren u.a. auch Identitäre rund um Martin Sellner oder der Neonazis Gottfried Küssel samt Mitstreitern. Das oberösterreichische Busunternehmen, das schon vor zwei Wochen mit Demo-Fahrten geworben hatte, hatte offensichtlich auch diesmal wieder Teilnehmer nach Wien gebracht.

Die Landespolizeidirektion wies den Vorwurf Kickls zurück. Man habe die Großversammlungen "aus rein sachlichen Gründen" abgesagt - weil laut Expertisen die Gefahr der erhöhten Übertragung der neuen Virusvarianten bei Massendemos ohne Einhaltung von Abstands- und Maskenpflicht bestehe. "Parteipolitische Überlegungen haben dabei keinen Platz zu finden", wurde betont. Wegen der epidemiologischen Gegebenheiten habe man auch die Auflösung der unangemeldeten Demo am Ring verfügt - und habe sich danach um ein "gewaltfreies Auseinandergehen" bemüht.

Wöginger attackiert Kickl

ÖVP-Klubobmann August Wöginger nahm dies zum Anlass für scharfe Kritik - er sprach in einer Aussendung von einem "neuen Tiefpunkt" in Kickls "Verbrüderung mit Rechtsextremen und Corona-Leugnern". Der FPÖ-Klubobmann habe sich "öffentlich hinter den bekannten Neonazi Gottfried Küssel und den Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner" gestellt, die "rechte Szene mobilisiert, Ausschreitungen in Kauf genommen" und damit bewusst Polizisten in Gefahr gebracht. Den Vorwurf, der Innenminister habe eine Weisung auf Absage der Demo getätigt, wies er zurück. Diese Entscheidung hätten die Sicherheitsbehörden gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden getroffen.

ribbon Zusammenfassung
  • Mehrere tausend Menschen haben Sonntagnachmittag in Wien in teils recht aggressiver Stimmung gegen die Corona-Maßnahmen protestiert - auch wenn eine Groß- und andere Demonstrationen untersagt worden waren.

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