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Gentherapie revolutioniert Augenheilkunde

Heute, 03:01 · Lesedauer 4 min

Kaum in der breiten Öffentlichkeit ist bekannt, dass schon vor Jahren eine der ersten Gentherapien in der Augenheilkunde etabliert worden ist. Dieser Bereich entwickelt sich rasant weiter, wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) jetzt aus Anlass ihres Jahreskongresses in Berlin feststellte. Mit "Luxturna" wurde bereits im Jahr 2018 in der EU erstmals eine Gentherapie für eine seltene erbliche Netzhauterkrankung zugelassen, die bis zur Erblindung führen kann.

"Für Kinder, die im Dunkeln kaum noch etwas sehen konnten, bedeutet diese Behandlung einen Quantensprung: Sie können nach der Therapie sogar nachts wieder Fahrrad fahren", berichtete DOG-Präsident Siegfried Priglinger (Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München), wo diese Gentherapie 2019 erstmals in Deutschland angewendet wurde. Die Wirkung, so Priglinger, setze zumeist schon innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen ein. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden bisher nicht festgestellt.

"Luxturna" tauscht in der Netzhaut ein defektes Gen (RPE65) gegen ein gesundes Gen - dazu wird bei einer Operation das funktionstüchtige Gen in einer Art Virus-Taxi in die krankhaften Zellen eingeschleust. Schätzungsweise 200 Menschen leiden in Deutschland an einer solchen RPE65-Mutation. "Das Besondere an dieser Gentherapie ist: Wir können nicht nur den Krankheitsverlauf bremsen, sondern tatsächlich verlorengegangene Funktionen wiederherstellen - und das möglicherweise dauerhaft", ergänzte der Ophthalmologe.

Trotz dieses eindeutigen Erfolges bleiben der Gentherapie Grenzen gesetzt. "Viele Gene sind zu groß, um sie mit den gängigen Viren zu transportieren, und wir benötigen für eine erfolgreiche Behandlung noch funktionstüchtige Sinneszellen in der Netzhaut", betonte Priglinger. "Wenn die Degeneration zu weit fortgeschritten ist, hilft die klassische Gentherapie nicht mehr."

Genau hier setzen innovative Strategien an. Ein vielversprechender Forschungsansatz sei die Genom-Editierung mit CRISPR-Cas9, so die Gesellschaft der deutschen Augenärzte. "Diese Methode erlaubt es uns, krankmachende Mutationen direkt in den Photorezeptoren, den lichtempfindlichen Sehzellen, zu korrigieren - ein echter Meilenstein", erklärte Priglinger.

Erste klinische Studien mit dem Verfahren laufen bereits. Auch sogenannte Antisense-Oligonukleotide eröffnen neue Optionen: Sie verhindern, dass schädliche Proteine entstehen und ermöglichen die Bildung funktionsfähiger Eiweiße. Besonders innovativ ist die Optogenetik, die auch in fortgeschrittenen Krankheitsstadien helfen könnte. "Wir können damit nicht-lichtsensitive Zellen lichtempfindlich machen. In Kombination mit speziellen Brillen konnten Menschen wieder rudimentär sehen, zum Beispiel Bewegungen oder Objekte erkennen", so der Experte.

Neue Verfahren auch für häufige Augenleiden

Während die bisherigen Gentherapien vor allem auf seltene Erkrankungen zielen, richtet sich der Blick der ophthalmologischen Wissenschaft jetzt zunehmend auch auf "Volkskrankheiten" wie die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) oder die diabetische Retinopathie als häufige Komplikation einer langjährigen Zuckerkrankheit. "Hier geht es nicht darum, ein defektes Gen zu reparieren, sondern das Auge so umzuprogrammieren, dass es selbst dauerhaft therapeutische Wirkstoffe produziert", wie Priglinger erklärte.

Erste klinische Studien, bei denen gentechnisch veränderte körpereigene Zellen Hemmstoffe gegen die krankmachenden Blutgefäß-Wachstumsfaktoren in der Netzhaut bei AMD produzieren, haben vielversprechende Ergebnisse gezeigt. "AMD-Patientinnen und -Patienten konnten nach der einmaligen Behandlung mit der Ixo-Vec-Gentherapie die Anzahl ihrer regulären Anti-VEGF-Injektionen um 80 bis 98 Prozent reduzieren", berichtete der DOG-Präsident. Dies sei ein beachtliches Ergebnis. Bisher müssen Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration regelmäßig Injektionen ins Auge mit Medikamenten erhalten, welche die Blutgefäß-Wachstumsfaktoren hemmen.

"Die Gentherapie hat am Auge bewiesen, dass sie funktioniert. 'Luxturna' ist ein Meilenstein - aber nur der Anfang", fasste der Präsident der deutschen Fachgesellschaft die aktuelle Situation zusammen. Neue Techniken wie die "Genschere" CRISPR-Cas9, Antisense-Oligonukleotide, Optogenetik und die Ixo-Vec-Therapie könnten schon bald weitere Durchbrüche ermöglichen. "Für Betroffene heißt das: Augenerkrankungen, die bisher als unheilbar galten, werden zunehmend behandelbar - und das gilt langfristig auch für Millionen Menschen mit häufigen Netzhauterkrankungen."

Zusammenfassung
  • Mit 'Luxturna' wurde 2018 erstmals eine Gentherapie für eine seltene erbliche Netzhauterkrankung in der EU zugelassen, die bei schätzungsweise 200 Menschen in Deutschland mit einer RPE65-Mutation angewendet werden kann.
  • Neue Technologien wie CRISPR-Cas9, Antisense-Oligonukleotide und Optogenetik bieten Hoffnung für die Behandlung auch fortgeschrittener Augenerkrankungen, indem sie gezielt Mutationen korrigieren oder nicht-lichtsensitive Zellen lichtempfindlich machen.
  • Bei der altersbedingten Makuladegeneration konnten Patient:innen dank der Ixo-Vec-Gentherapie die Zahl der notwendigen Anti-VEGF-Injektionen um 80 bis 98 Prozent reduzieren, was als bedeutender Fortschritt gilt.