Freisprüche für Brüderpaar in Erpressungsprozess in Wien
Er habe die Vorwürfe "selber erfunden", offenbarte der Mann. Die Angeklagten waren seit November in U-Haft gesessen. Auf Vorhalt des vorsitzenden Richters, dass er mit seinen unrichtigen Angaben die beiden beim Fonds Soziales Wien (FSW) beschäftigten Männer ins Gefängnis gebracht hätte, meinte der Zeuge: "Es tut mir leid für die Aussage. Aber es stimmt nicht." Er hätte "zu diesem Zeitpunkt leider zu viel Stress" mit seinem Chef gehabt.
Dem Vorgesetzten des Geschäftsmanns war aufgefallen, dass dieser mit dem Firmen-Pkw zahlreiche Polizeistrafen angehäuft und obendrein einen Unfall verursacht hatte, ehe das Fahrzeug überhaupt verschwand. Daraufhin erzählte der Mann, die beiden Angeklagten hätten ihm das Fahrzeug als "Pfand" abgenötigt, nachdem er seit längerem von diesen unter Druck gesetzt und erpresst worden sei. Der Chef ging mit dem Mann daraufhin zur Polizei, wo dieser seine Geschichte ausschmückte.
Er behauptete, er sei am 13. September 2024 von den Brüdern in seinem Büro aufgesucht worden. Der Ältere habe ihm eine Pistole in den Mund gedrückt, der Jüngere ein Messer an den Bauch angesetzt. Beide hätten 150.000 Euro zurückverlangt, die er ihrem verstorbenen Vater schulde. Er sei dann mit Gewalt in die Lobau gebracht und dort mit dem Umbringen bedroht und schließlich dazu gezwungen worden, sein Bargeld zu übergeben sowie der Mutter der Angeklagten rund 1.000 Euro zu überweisen. Bis in den Oktober hinein sei er anhaltend unter Druck und zu weiteren Überweisungen genötigt worden. Als die Brüder mit einem Schlag 9.000 Euro wollten, habe er sich zur Anzeige entschlossen.
Zeuge: "Bin nicht bedroht worden"
"Ich bin nicht bedroht worden", stellte der Belastungszeuge nun klar, "ich habe mit den zwei keine Probleme. Ich habe sie nachher auch privat getroffen." Auf die Frage, warum er seine offenbar unrichtigen Angaben aufrechterhalten und nicht viel früher richtiggestellt hätte, behauptete der Tschetschene, dies sei ihm "verweigert" worden: "Leider ist es nicht so gelaufen, wie ich es wollte. Es tut mir leid, weil wir unnötig da sitzen."
Die Staatsanwaltschaft wird gegen den Mann ein Verfahren wegen Falschaussage und Verleumdung einleiten. "Sie werden erhebliche Probleme kriegen", kündigte der zuständige Staatsanwalt dem Zeugen unmissverständlich an.
Angeklagte nach Verhandlung unverzüglich enthaftet
Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig, der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab. Die tschetschenischen Brüder wurden unmittelbar nach der Verhandlung auf freien Fuß gesetzt. Ihr nunmehriger Verteidiger Nikolaus Rast wird sich dem Verfahren gegen den Belastungszeugen als Privatbeteiligter anschließen und auf diesem Weg finanzielle Ansprüche seiner Mandanten geltend machen. Auch Haftentschädigung könnte noch ein Thema werden.
Fragwürdige Rolle des früheren Verteidigers
Aufklärungsbedürftig erscheint die Rolle des ursprünglichen Verteidigers der beiden Männer, gegen den inzwischen ein Disziplinarverfahren bei der Rechtsanwaltskammer anhängig ist. Der nunmehrige Rechtsvertreter der tschetschenischen Brüder hatte erst vor wenigen Wochen das Mandat übernommen. Sein Vorgänger hatte im Ermittlungsverfahren entlastende Beweismittel nicht vorgelegt, die nun in der Hauptverhandlung präsentiert wurden und die wohl geeignet gewesen wären, den Angeklagten mehrere Monate U-Haft zu ersparen.
Zum einen konnte der 23-Jährige nachweisen, dass er am Abend des vermeintlichen Überfalls auf den Belastungszeugen in dessen Büro in einer größeren Runde zum Grillen in einer Hütte bei Sankt Pölten war. Rund ums Lagerfeuer entstandene und in der Verhandlung erörterte Fotos zeigten, dass der bisher Unbescholtene seit 16.30 und bis nach Mitternacht dort und nicht am Tatort im Bezirk Wiener Neustadt war.
Der 30-Jährige hielt sich wiederum am 13. September bis 20.00 Uhr bei einer Familienfeier in Wien-Margareten auf, was ebenfalls auf Handy-Fotos und -Videos dokumentiert wurde. Danach brachte er seine Cousine heim, die um 21.16 Uhr in Ottakring eintraf.
Vertrat Angeklagte und fungierte gleichzeitig als Vertrauensperson des Opfers
Irritierenderweise hatte der damalige Rechtsvertreter der zwei Beschuldigten gleichzeitig engen Kontakt mit dem angeblichen Opfer. Während er als Verteidiger für die inhaftierten Beschuldigen tätig war, begleitete er deren mutmaßliches Opfers als Vertrauensperson zu einer polizeilichen Einvernahme. Der Anwalt bzw. eine Mitarbeiterin fertigte mit dem Zeugen auch eine Tonbandaufnahme an bzw. ein Protokoll an - ein klassischer Interessenskonflikt, in den sich ein seriöser Anwalt nicht begeben hätte.
Der Richter sprach von "unglaublichen Aktionen" des früheren Verteidigers. "Man muss die Rolle des Kollegen und seiner Mitarbeiterin beleuchten", forderte Nikolaus Rast, der jetzige Rechtsvertreter des Brüderpaars.
Zusammenfassung
- Zwei tschetschenische Brüder im Alter von 23 und 30 Jahren wurden in Wien vom Vorwurf der Erpressung freigesprochen, nachdem das angebliche Opfer seine belastenden Aussagen zurückgezogen hatte.
- Das angebliche Opfer gab an, die Vorwürfe erfunden zu haben, und erklärte, nicht bedroht worden zu sein, obwohl es zuvor behauptet hatte, die Brüder hätten 150.000 Euro gefordert.
- Die Brüder, die seit November in Untersuchungshaft saßen, wurden nach der Verhandlung sofort freigelassen, da entlastende Beweise zeigten, dass sie zum Tatzeitpunkt an anderen Orten waren.
- Ein Disziplinarverfahren gegen den ursprünglichen Verteidiger der Brüder ist anhängig, da er gleichzeitig als Vertrauensperson des angeblichen Opfers fungierte.
- Die Staatsanwaltschaft plant nun ein Verfahren wegen Falschaussage und Verleumdung gegen den Belastungszeugen, während der aktuelle Verteidiger der Brüder finanzielle Ansprüche geltend machen will.