Ein Drittel für "drastische Mittel" bei Kindererziehung
"35 Jahre nach der Einführung eines Verbots von Gewalt in der Erziehung hätten wir gehofft, dass weniger Menschen Gewalt in der Erziehung für notwendig halten", meinte Wölfl. Besonders verbreitet ist diese Ansicht bei bildungsferneren Schichten und vor allem in Wien. Manche Betroffene wissen auch nicht, dass Gewalt gegenüber Kindern in Österreich strafbar ist.
Verschiedene Formen von körperlicher Gewalt wurden von 90 Prozent klar als Gewalt bezeichnet. Bei psychischer Gewalt war es differenzierter: Hier war ein Drittel der Befragten der Ansicht, dass Anschweigen eines Kindes oder die Drohung von Liebesentzug keine gewaltvollen Handlungen sind.
Abgefragt wurden auch Szenarien der Vernachlässigung, wie z.B. die Vorstellung, dass ein Volksschulkind keine regelmäßigen Mahlzeiten bekommt und mehrmals die Woche bis spätabends allein gelassen wird. "Dieses Thema ist genauso wenig wie die problematische Nutzung von digitalen Medien in den Köpfen der Menschen angekommen", meinte Johanna Zimmerl, Bereichsleiterin der Möwe Kinderschutzzentren. "Wenn Kinder mehrere Stunden am Handy oder Tablet beschäftigt werden, oder sich stundenlang niemand um sie kümmert, dann schädigt das die Kinder und Jugendlichen dauerhaft."
Das eigene Gewalterleben in der Kindheit ist stark generationsabhängig. Während bei den zehn- bis 29-Jährigen zehn Prozent der Befragten angaben, solche erlebt zu haben oder zu erleben, waren es bei den über 64-Jährigen 46 Prozent.
Mehr Prävention gefordert
Die Möwe pocht zur Vermeidung von Gewalt gegen Kinder vor allem auf Prävention. "Es braucht mehr Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Kampagnen, die alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten erreichen. Dafür müsste dringend Geld frei gemacht werden", unterstrich Wölfl. Eine Chance wären auch verpflichtende Beratungen zu psychosozialen Themen während der Schwangerschaft und in der ersten Zeit mit dem Kind.
(S E R V I C E - Hilfeangebote des Vereins AÖF: Die Frauen-Helpline gegen Gewalt 0800/222-555 steht rund um die Uhr, mehrsprachig, anonym und kostenlos allen Frauen, Angehörigen und Interessierten zur Verfügung: www.frauenhelpline.at ; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at . Die Wiener Polizei ist Ansprechpartner für Personen, die Gewalt wahrnehmen oder selbst Opfer von Gewalt sind. Der Polizei-Notruf ist unter der Nummer 133 jederzeit erreichbar. Die Kriminalprävention des Landeskriminalamt Wiens bietet darüber hinaus persönliche Beratungen unter der Hotline 0800/216346 an. Weitere Anlaufstellen für Gewaltopfer: Gewaltschutzzentrum Wien: https://www.gewaltschutzzentrum.at/wien/ 01/585-32-88 - 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 - Wiener Frauenhaus-Notruf 057722 - Österreichische Gewaltschutzzentren: 0800/700-217 - Onlineberatung HelpChat "Halt der Gewalt" (tägl. 18-22 Uhr und jeden Fr. von 9-23 Uhr): https://haltdergewalt.at )
Zusammenfassung
- Laut einer Gallup-Umfrage befürwortet ein Drittel der 1.000 Befragten in Österreich auch drastische bis gewalttätige Mittel in der Kindererziehung, wobei diese Haltung besonders in bildungsfernen Schichten und in Wien verbreitet ist.
- Während 90 Prozent körperliche Gewalt klar als solche erkennen, betrachtet ein Drittel psychische Gewaltformen wie Anschweigen oder Liebesentzug nicht als Gewalt, und viele sind sich der Strafbarkeit von Gewalt gegen Kinder nicht bewusst.
- Das Erleben von Gewalt in der Kindheit ist generationsabhängig: 10 Prozent der 10- bis 29-Jährigen und 46 Prozent der über 64-Jährigen berichten von entsprechenden Erfahrungen, weshalb die Möwe mehr Prävention und verpflichtende Beratungen fordert.
