APA/ROBERT JAEGER

Aufregung um Wiener Corona-Cluster - Hunderte in Quarantäne

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Die Aufregung rund um einen großen Coronavirus-Cluster in Wien und Niederösterreich ist auch über das Wochenende nicht abgeflaut. Bis Montag gab es Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen. Betroffen sind vor allem zwei Post-Verteilzentren, wo das Bundesheer zur Unterstützung gerufen wurde. Indes wurde der Cluster auch zum Spielball der Politik.

Die Aufregung rund um einen großen Coronavirus-Cluster in Wien und Niederösterreich ist auch über das Wochenende nicht abgeflaut. Bis Montag gab es Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen. Betroffen sind vor allem zwei Post-Verteilzentren, wo das Bundesheer zur Unterstützung gerufen wurde. Indes wurde der Cluster auch zum Spielball der Politik.

Die Nachverfolgung der Ansteckungskette war noch nicht abgeschlossen. Bisher wurden jedenfalls "mehr als 400 Absonderungsbescheide" ausgestellt, sagte Andreas Huber, Sprecher des medizinischen Krisenstabs der Stadt Wien. Im Postzentrum in Wien-Inzersdorf gab es bisher 500 Tests, 70 Mitarbeiter waren positiv. Im niederösterreichischen Post-Verteilungszentren Hagenbrunn (Bezirk Korneuburg) wurden 63 Mitarbeiter positiv getestet, die in Wien wohnen, erläuterte Huber.

Die Zahl "ändert sich laufend", sagte Georg Pölzl, Generaldirektor der Österreichischen Post AG, bei einem Medientermin am Standort Hagenbrunn. Die Häufung der Fälle habe sich "explosionsartig entwickelt". Wegen der Vielzahl an Infektionen und Quarantänemaßnahmen bei Mitarbeitern in Hagenbrunn war nunmehr das Bundesheer im Einsatz. 397 Bedienstete seien im Schichtbetrieb tätig, betonte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bei einem Besuch der Einrichtung. Pölzl wies darauf hin, dass auch für das Postzentrum Inzersdorf in Wien bereits eine Unterstützungsanforderung abgeschickt worden sei. Sei diese eingelangt, werde das Bundesheer ebenfalls zur Stelle sein, kündigte Tanner an.

In der Logistikzentrale eines großen Möbelhauses in Wien-Floridsdorf waren unterdessen ebenfalls sechs Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt. Diese Fälle dürften laut Stadt Wien - wie die Infektionen bei der Post - auf Leiharbeiter zurückzuführen sein. In einem vorübergehend geschlossenen Kindergarten in Wien-Liesing, wo eine mit einem Leiharbeiter zusammenlebende Mitarbeiterin und ein Kind infiziert sind, wurden inzwischen alle Kinder und Betreuer untersucht. Es gab keine weiteren Erkrankten.

Im Bereich von Pflege-, Obdachlosen- und Flüchtlingseinrichtungen kündigte die Stadt weitere großflächige Tests an. Diese Strategie ist "aus unserer Sicht erfolgreich, dass wir genau hinschauen und in die Tiefe schauen", hieß es auf APA-Nachfrage aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Bei dem Cluster hätten rund 90 Prozent symptomlos Erkrankte identifiziert werden können. "Die haben wir auf diesem Weg ausfindig gemacht", sagte der Sprecher. Rund 40 Infizierte in Flüchtlingsunterkünften sind laut Stadt Wien ebenfalls auf diesen Cluster in Verbindung mit Leiharbeiten zurückzuführen.

Die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner widersprach am Montag Aussagen Hackers vom Vortag, wonach Hagenbrunn wohl der Ausgangspunkt der Infektionskette gewesen sei. "Der Patient Null dieses Clusters war ein Mann, der von seinem Wohnsitz in Wien nach Hagenbrunn pendelte. Die nächsten drei Fälle waren ebenso Personen, die aus Wien ins Postverteilerzentrum Hagenbrunn pendelten - und zwar im gleichen Bus wie der Patient Null", erläuterte die Landessanitätsdirektorin. Generell halte sie jedoch nichts davon, "wenn bei der Eindämmung des Virus mit dem Finger aufeinander gezeigt wird".

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) attackierte die Stadt Wien einmal mehr wegen ihrer Arbeitsweise in der Coronakrise und warf ihr mangelnde Kommunikation mit dem Einsatzstab vor. Der Ressortchef bezeichnete die Infektionszahlen in Wien als "besorgniserregend", relativierte dann aber: "Die Zahlen in Wien sind so, dass sie beherrschbar sind, aber sie sind deutliche höher als in anderen Bundesländern."

Die Bundes-SPÖ sprang daraufhin den Wiener Parteikollegen zur Seite. Nehammer missbrauche die Coronakrise für eine "skandalöse Anti-Wien-Kampagne", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) müsse "die Verantwortung für die schockierenden Bedingungen, unter denen LeiharbeiterInnen bei der Post arbeiten, übernehmen." Die jüngsten Fälle hätten gezeigt, wie stark Krankheit und prekäre Arbeitsbedingungen zusammenhingen.

Auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) stellte sich hinter die Wiener Gesundheitsbehörden. Infektions-Cluster in einzelnen Bereichen seien zu erwarten gewesen. Die Gesundheitsbehörden beider Länder haben aus seiner Sicht "die richtigen Schritte gesetzt". Er bot die Mithilfe der AGES an und sah im Unterschied zu Nehammer einen guten Informationsaustausch mit Wien. "Ich weiß, dass es in Wien bald Vorwahlkampf gibt", sagte Anschober, er sei sich aber ganz sicher, dass alle die Bekämpfung des Coronavirus im Zentrum hätten.

Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sieht unterdessen in Bezug auf den Corona-Cluster in Wien und Niederösterreich keinerlei Zuständigkeit bei Innenminister Nehammer. "Wir arbeiten engstens und bestens mit dem Gesundheitsministerium zusammen. Das ist die gesetzlich festgelegte Kommunikationslinie", stellte Hacker am Montag im APA-Gespräch klar. Hacker wunderte sich über das "Durcheinander" im Bund. Dort gebe es inzwischen drei Krisenstäbe - im Gesundheits- und im Innenministerium sowie im Bundeskanzleramt. Alle vom Innenminister geforderten Infos lägen beim Bund - und zwar beim für Epidemien zuständigen Gesundheitsministerium.

Er habe sich deshalb auch über die - Nehammers zeitgleich geäußerter Kritik widersprechenden - Aussagen von Ressortchef Rudolf Anschober (Grüne) gefreut, wonach es einen guten Informationsaustausch mit Wien gebe. "Wir machen jeden Tag Videokonferenzen, hören uns, schreiben uns SMS", führte Hacker aus. Er sehe hingegen keinerlei gesetzliche Grundlage für einen Erklärungsbedarf gegenüber dem Innenminister.

"Ich befürchte, dass das mit Inhalt nichts zu tun hat, sondern parteipolitisches Gezänke ist", ärgerte sich der Stadtrat: "Es versteht niemand, warum die ÖVP versucht, daraus Körberlgeld zu machen. Ich kenne auch niemanden, der dafür großen Applaus spendet." Man könne eigentlich angesichts des heutigen Auftritts von Nehammer nur den Kopf schütteln und sich nicht weiter damit beschäftigen, so Hackers Resümee. Wie die ÖVP für die Wien-Wahl im Herbst wahlkämpfen wolle, wenn sie ständig auf Wien hinhaue, sei ihm sowieso ein Rätsel - "aber das ist nicht mein Problem".

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) nahm die "teils gegensätzlichen Aussagen der Bundesregierung" zur Lage in Wien mit "Verwunderung" zur Kenntnis. Anschober sowie Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hätten die Kooperation mit der Wiener Landesregierung und den Wiener Behörden gelobt und von einer sehr guten Zusammenarbeit gesprochen. "Keine 15 Minuten später hat Innenminister Nehammer in einer eigenen Pressekonferenz ein 'Mahnung an die Stadt Wien' ausgerufen und eine mangelnde Zusammenarbeit seitens der Stadt Wien beklagt", so Ludwig. Er verlangte von der Bundesregierung, "dass sie in Zeiten einer Krise klar, verständlich und mit einer Stimme mit den Bundesländern und mit der Bevölkerung kommuniziert". Alles andere sorge für Verunsicherung.

Wien hat in den vergangenen 14 Tagen 374 neue Fälle registriert. Damit liegt die Stadt in absoluten Zahlen zwar deutlich vorne. Anders aber das Bild, wenn man die Zahl der Neuinfektionen in Relation zu den fast 1,9 Millionen Einwohnern der Bundeshauptstadt setzt: hier liegt Wien mit knapp zwei Fällen pro 10.000 Einwohner an fünfter Stelle hinter den Bezirken Horn (3,9), St. Pölten (3,6), Weiz (3,0) und Neunkirchen (2,4 Fälle pro 10.000 Einwohner), wie Berechnungen der APA ergaben.

Gesundheitsminister Anschober mahnte abends zu Zusammenarbeit statt "Streitereien", gerade angesichts des aktuellen Wien-Niederösterreich-Clusters. Zur Eindämmung des Coronavirus sei "unser aller Engagement und Zusammenarbeit" nötig. "Viel zu rasch kann ansonsten aus einem Cluster eine zweite Welle werden", warnte der Gesundheitsminister. Und kündigte an, nächste Woche auch einen Vertreter des SKKM-Koordinationsstabs und damit des Innenministeriums zur Arbeitssitzung einzuladen.

ribbon Zusammenfassung
  • Die Aufregung rund um einen großen Coronavirus-Cluster in Wien und Niederösterreich ist auch über das Wochenende nicht abgeflaut.
  • Bis Montag gab es Dutzende Infektions- und mehr als 400 Quarantänefälle, die in Verbindung zueinander stehen.
  • Betroffen sind vor allem zwei Post-Verteilzentren, wo das Bundesheer zur Unterstützung gerufen wurde.
  • Indes wurde der Cluster auch zum Spielball der Politik.