Ärger über neue Regeln lässt auch bei stark Betroffenen nach
Einst war es unvorstellbar, nun ist es aber in vielen Ländern selbstverständlich - am Arbeitsplatz gilt Rauchverbot. Psychologen und Wirtschaftswissenschafter von der Universität Wien und Technischen Universität München haben Befragungsdaten rund um die einstige Einführung dieser und anderer Regelungen, die von vielen als teils massive Freiheitseinschränkung wahrgenommen werden, neu analysiert und auch einschlägige Experimente durchgeführt. Im Fachjournal "PNAS" zeigen sie nun, dass die Aufregung kurz vor Inkrafttreten am größten ist, dann aber messbar und deutlich abebbt. Der Ärger "verdünnisiert sich" ein Stück weit und zwar unabhängig von der Betroffenheit, erklärte Studienautor Robert Böhm im Gespräch mit der APA.
Sehen sich Menschen von einer Einschränkung ihres Handlungsspielraumes bedroht, löst das oft sehr negative Emotionen aus - Psychologen sprechen hier von "Reaktanz". Die war auch um die Jahre 2005 und 2006 in Schottland, Belgien und Spanien in Umfragedaten sichtbar, als ein Rauchverbot am Arbeitsplatz umgesetzt wurde.
"In allen drei Ländern, wo das konkret angekündigt war, waren die Leute stärker gegen so ein Rauchverbot, als in den Ländern, wo es nicht angekündigt war", sagte Böhm - eine klassische Reaktion auf eine neue Regulierung. Interessant war aber, was nach der Einführung geschehen ist. Böhm: "Das ist auch der neue Punkt, den wir hier bringen." In zwei der drei Länder sank der Ärger danach "erheblich": In Schottland ging die Reaktanz demnach um sechs, in Belgien sogar um 17 Prozent zurück. Hier war die Ablehnung des Verbots nach der Einführung letztlich sogar geringer als in Ländern, in denen so etwas gar nicht anstand.
Reaktanz-Abnahme klar dokumentiert
Einzig in Spanien wich der Ärger weniger stark, was vermutlich daran lag, dass die Einführung dort politisch "ganz schlecht" und mit sehr vielen Ausnahmen umgesetzt wurde. Böhm zieht hier eine Analogie zu Österreich, wo das Arbeitsplatz-Rauchverbot von vielen Diskussionen begleitet, erst reichlich spät - nämlich 2018 - umgesetzt wurde, und das Gastronomie-Rauchverbot auch ob seiner etappenweisen Einführung, mit Vollausbau erst 2019 sehr viel Unmut auf sich gezogen hat. Wenig überraschend: Derartig unvollständige und undurchsichtige Prozesse mit vielen Schlupflöchern scheinen auch lange anhaltender Reaktanz sehr zuträglich zu sein.
Neben den Befragungsdaten überprüften die Wissenschafter ihre Beobachtungen in künstlichen Laborsituationen im Rahmen von sechs Experimenten. Da wurden den Teilnehmern verschiedene politische Maßnahmen - etwa Steuern auf Alkohol oder Fleisch, Impfpflicht oder CO2-Bepreisungen - unter verschiedenen Voraussetzungen dargeboten, und deren Reaktion aufgezeichnet. In den Bedingungen, wo die Versuchspersonen im Geiste mit Regelungen oder Einschränkungen zu tun hatten, die hypothetisch schon vor einem Jahr umgesetzt wurden, "empfinden die Leute über alle Experimente hinweg weniger Ärger und haben weniger Opposition dagegen", erklärte Böhm. Die Reaktanz-Abnahme über alle Experimente hinweg betrug 16 Prozent.
Umfassende Reduktion hat auch Forscher überrascht
Das seien relevante Veränderungen, meinte Böhm. Und: Die Ärgerreduktion war im Schnitt auch bei direkt Betroffenen - also beispielsweise Rauchern oder Menschen, die ursprünglich sehr prononciert dagegen waren - "gleichermaßen" messbar. "Das hat uns selbst überrascht", so der Psychologe.
Der Schlüssel liege vermutlich vor allem darin, dass nach der Umsetzung die gesellschaftlichen Vorteile in den Vordergrund treten. Klarerweise sind diese bei einem Rauchverbot schneller sicht- und fühlbar als bei einem CO2-Preis, der darauf abzielt, die Emissionen mittel- und langfristig zu senken, um die Erderhitzung hinanzuhalten und den Planeten für künftige Generationen halbwegs bewohnbar zu halten.
Kein Freibrief für Art Kopf-durch-die Wand-Politik
Die neuen Untersuchungen würden jedenfalls zeigen, dass viele Leute vor der Einführung ganz stark auf die persönlichen Verluste achten. "Erst nach der Einführung suchen Menschen nach den möglichen Vorteilen davon - und die liegen typischerweise auf der gesellschaftlichen Ebene", sagte Böhm. Das Team möchte die Erkenntnisse jedoch keineswegs als Freibrief für eine Art Kopf-durch-die Wand-Politik verstanden wissen, in der man Reglementierungen einfach einführt und darauf vertraut, dass sich der Ärger quasi von selbst verflüchtigt und die Benefits allen klar werden.
Es sollte darauf geachtet werden, die zu erwartenden gesamtgesellschaftlichen Vorteile stark in den Vordergrund zu rücken. In einer der Studien hatten die Wissenschafter die Teilnehmer nämlich gebeten, mögliche positive Effekte einer "Einschränkung" aktiv aufzuschreiben, was den Ärger deutlich reduziert hat. Geht eine politische Bewegung nun daran, so etwas umzusetzen, sollte man schon davor gegenüber der Bevölkerung klar ausdrücken, an welchen Kriterien die angestrebte Verbesserung gemessen wird und das dann auch nachvollziehbar darstellen, sagte Böhm.
(S E R V I C E - https://doi.org/10.1073/pnas.2409907122)
Zusammenfassung
- Eine Studie der Universität Wien zeigt, dass der anfängliche Ärger über neue Regelungen wie Rauchverbote nach deren Einführung deutlich abnimmt.
- In Schottland und Belgien sank die Reaktanz nach Einführung von Rauchverboten um 6% bzw. 17%.
- Experimente ergaben eine durchschnittliche Reaktanz-Abnahme von 16%, wenn Maßnahmen hypothetisch schon länger bestehen.
- Der Ärger nimmt ab, wenn Menschen aktiv die Vorteile neuer Regelungen reflektieren.
- Die Forscher betonen, dass die Ergebnisse kein Freibrief für unüberlegte politische Maßnahmen sind.