Milborn - Der Kommentar: NoCovid als Ausweg aus der Corona-Sackgasse

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PULS 24 Infochefin Corinna Milborn ist für einen Strategiewechsel in Österreichs Corona-Plan.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber ich verstehe die Corona-Strategie in Österreich immer weniger. Ich möchte Sie einladen, mit mir durchzudenken, ob man sich nicht ein anderes Ziel setzen sollte: Nämlich, die Infektionen Richtung null zu senken – auf so wenige, dass man jede davon nachverfolgen kann. Also: NoCovid.

In Österreich ist das Ziel ja ein anderes: Nämlich nur so viele Infektionen zuzulassen, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Konkret: Erst wenn die Überlastung der Intensivstationen droht, werden Maßnahmen ergriffen. Das klang gut – so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig. Doch in der Praxis führt es dazu, dass wir seit Monaten in einem Dauer-Halb-Lockdown immer am Rande der Katastrophe entlangschrammen, und jetzt zum zweiten Mal sehenden Auges in einen Kollaps der Krankenhäuser taumeln.

Werfen Sie dazu einen Blick auf die Zahlen: Es gibt in Österreich etwas über 2.000 Intensivbetten, die im Normalbetrieb zu 70 bis 80 Prozent ausgelastet sind. Das heißt, dass 200 Covid-Intensivpatienten ohne Probleme unterzubringen sind. Diese Zahl hatten wir zuletzt im Oktober. Jetzt sind es allein in Wien über 200, österreichweit 500, und weitere 500 Covid-Intensivbetten werden „verfügbar gemacht“. Das sind keine Betten, die derzeit leer sind – sondern die leer gemacht werden, indem etwa Operationen verschoben werden. Wenn also jemand zum Beispiel einen Tumor oder ein Herzproblem hat, das operiert werden sollte, bekommt er diese Operation jetzt nicht. In Wien in das schon jetzt der Fall. Damit wird Covid für alle potentiell tödlich – auch für die mit ganz anderen Krankheiten oder Notfällen. Auch das ist Triage.

Das ist eine direkte Folge des Ziels, das wir uns gesetzt haben. Wenn man erst handelt, wenn die Intensivstationen voll sind, hinkt man der Ausbreitung des Virus immer hinterher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das die gewünschte Situation ist.

Man könnte solche Katastrophen vermeiden, wenn man sich ein anderes Ziel setzt: Nämlich die Infektionen so weit zu senken, dass man jede nachvollziehen und isolieren kann – und der Rest der Bevölkerung frei leben kann. Viele Länder in Asien und im Pazifik machen das erfolgreich. Seit einem Jahr hören wir, dass das bei uns nicht geht – weil man die Freiheit und die Wirtschaft nicht so stark einschränken kann.

Aber wenn man einen Blick auf diese Länder wirft, fragt man sich: Steht es mit unserer Freiheit und Wirtschaft wirklich besser?

In Neuseeland finden riesige Konzerte in Stadien statt – das gibt es bei uns seit einem Jahr nicht. Wenn Sie jetzt sagen, das ist eine Insel, schauen Sie nach Wuhan, der Stadt, wo alles begann: Da hieß es anfangs, so eine Quarantäne sei in Europa nie möglich. Doch sie war wirkungsvoll – und zu Silvester feierten Zehntausende auf der Straße, während wir den Jahreswechsel ohne öffentliche Feiern, mit Partyverbot und streng limitierten Kontaktpersonen verbrachten. In Südkorea – weder eine Insel, noch eine Diktatur – startet gerade ein Festival klassischer Musik, auf dem auch österreichische Künstler vor ausverkauften Hallen spielen. Das geht, weil die 7-Tages-Inzidenz unter 10 liegt. Und in Vietnam läuft alles fast, als gäbe es kein Covid. Die 7-Tages Inzidenz liegt derzeit bei null, und die Wirtschaft ist in diesem Quartal um 6,5, im Jahr 2020 um über 3 Prozent gewachsen. In Österreich schrumpfte sie um 6,5 Prozent.

Ja, in diesen Ländern gibt es bei regionalen Ausbrüchen schnelle, harte Lockdowns, strikte Quarantänen und konsequente Kontaktverfolgung. Aber haben wir mit unserer Vorgangsweise nun wirklich mehr Freiheiten und mehr Rücksicht auf die Wirtschaft genommen? Kaum: Wir stecken seit fünf Monaten in einem Dauerlockdown mit ständig wechselnden Regeln, es gelten seit Monaten Ausgangsbeschränkungen, die Regeln über erlaubte Kontakte greifen tief ins Privatleben ein, Bars, Restaurants und Hotels sind seit Monaten geschlossen. Und wenn sich am ersten warmen Abend Jugendliche am Donaukanal treffen, räumt die Polizei das ganze Gelände. Ist das die Freiheit, die wir uns unserer Strategie erkaufen wollten? Kaum.

Ich denke auch nicht, dass man die Regeln aus Asien, Neuseeland oder Australien einfach importieren kann. Aber: Man könnte sich das ZIEL setzen, von diesem Herumlavieren am Rande des Kollaps wegzukommen und die Infektionen Richtung null zu bringen.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Man müsste dann als Risikoperson nicht mehr täglich um sein Leben fürchten, wenn man das Haus verlässt. Das Gesundheitssystem würde normal arbeiten können. Die Bildung von Mutationen – womöglich sogar impfresistenter Varianten - wäre stark eingeschränkt. Und: Man könnte alles öffnen und normal leben.

Die Schritte dazu sind nicht schwer:

  1. Wissenschaftlich Ziele festlegen, ab welcher Inzidenz und welcher Durchimpfungsrate welche Öffnung kommen kann.
  2. Einen echten Lockdown ausrufen, der konsequent durchgehalten wird, bis diese Ziele erreicht sind. Dass das funktioniert, hat Portugal gerade erst bewiesen. Ein harter landesweiter Lockdwon ist kurzfristig mühsam – dauert aber nicht so lang wie das Herumgeeiere derzeit. Ich bin auch überzeugt, dass viel mehr Menschen freiwillig mitmachen, wenn ein Ende in Sicht ist.
  3. In dieser Zeit die Infrastruktur aufbauen, mit der nach der Öffnung jede Infektion nachverfolgt und isoliert wird. Bei der Test-Infrastruktur ist Österreich schon Weltspitze – jetzt muss noch das Contact Tracing dazu, das sofort möglichst alle Kontaktpersonen feststellt und in (kontrolllierte) Quarantäne schickt.

Diese Chance wurde im vergangenen Sommer vertan. Jetzt wäre es an der Zeit. Denn bis ein ausreichender Teil der Bevölkerung durchgeimpft ist, dauert es noch einige Monate – und die wollen wir doch nicht damit verbringen, in halbherzigen Lockdowns am Rande der Katastrophe dahinzuschrammen.

Es wäre es doch wert, darüber nachzudenken, oder? 

Bleiben Sie gesund!

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