Gerald Karner WeltblickPULS 24

Karners Weltblick: Wende im Ukraine-Krieg?

0

Die gefeierten Hyperschall-Raketen Russlands performen bescheiden, neue Waffen für die Ukraine sind im Anmarsch. Im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine könnte die vergangene Woche eine entscheidende Wende gebracht haben, meint Kolumnist Gerald Karner.

Nach mehreren Wochen, in denen der Blick der Weltöffentlichkeit eher auf das strategische Umfeld gerichtet war, rückt nunmehr die unmittelbare Entwicklung des Kriegsgeschehens in der Ukraine wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und auch da zeigt sich an den Ereignissen in der vergangenen Woche, wie sehr sich das Blatt bereits zugunsten der Ukraine gewendet hat, trotz aller Verluste, die auch sie erleidet.

Während sich die russischen Truppen in der Süd- und Ostukraine auf eine ukrainische Offensive vorbereiten, versucht die russische Führung alle (noch) in ihrer Macht stehenden Mittel einzusetzen, um die Zuführung westlicher Waffensysteme in die Ukraine zu behindern, bereits angelieferte zu vernichten bzw. deren Einsatz zu stören oder überhaupt zu verunmöglichen.

Für diese Zwecke erfolgen komplexe Serienangriffe unter Einsatz von Drohnen, Marschflugkörpern, ballistischen Lenkwaffen und sogenannten Hyperschallwaffen. Letztere können mit fünffacher Schallgeschwindigkeit ins Ziel gelenkt werden und sollen in der Lage sein, dabei auch Flugmanöver ausführen zu können, um der gegnerischen Luftverteidigung ausweichen zu können. Sie stellen für Russland ein Prestigeprojekt dar, weil man meint, damit einen Vorsprung gegenüber dem Westen aufzuweisen. Auch Wladimir Putin selbst wurde nicht müde zu betonen, dass es gegen diese Waffen praktisch keine Abwehrmöglichkeit gebe.

Gefeierte Hyperschall-Raketen performen bescheiden

Die bisherigen Erfolge dieser Angriffe nehmen sich gegenüber den Erwartungshaltungen allerdings eher bescheiden aus, die Erkenntnisse daraus dürften die russischen Planer ernüchtern: Als wirklich zählbarer Erfolg aus zumindest drei Angriffswellen bleibt dabei bislang die Zerstörung eines großen militärischen Lagerkomplexes in der westukrainischen Stadt Chmelnyzkyj. Inwieweit die Vernichtung der dort eingelagerten Güter – es dürfte sich nach Auffassung der meisten Experten hauptsächlich um Treibstoffe gehandelt haben - eine ukrainische Offensive substanziell und nachhaltig behindern kann, bleibt abzuwarten.

Zu einem Misserfolg mit potenziell schwerwiegenden Auswirkungen entwickelten sich allerdings bislang die Angriffe auf den Raum Kyjiw. Diese hatten wahrscheinlich hauptsächlich das Ziel, die Einsatzbereitschaft der dort eingesetzten westlichen Luftabwehrsysteme zu testen bzw. diese zu zerstören. Aus den nach wie vor sehr widersprüchlichen Informationen über die Ergebnisse kristallisiert sich heraus, dass es den Angreifern bestenfalls gelungen sein dürfte, einen Teil einer Patriot-Batterie zu beschädigen. Demgegenüber scheint es der ukrainischen Luftabwehr gelungen zu sein, beinahe alle angreifenden Systeme abzuschießen.

Dies stellt aus mehreren Gründen einen gewaltigen Rückschlag für die russischen Ambitionen dar: Abgesehen vom unmittelbaren Scheitern in der Ausführung der Aufträge zeigt sich an der Zahl der eingesetzten Waffensysteme, dass sie nicht in unbegrenzter Anzahl in den Arsenalen vorhanden sind. Ihr Verlust ohne zählbares Ergebnis wiegt damit umso schwerer. Die Kosten einer einzigen Angriffswelle werden immerhin auf etwa 125 Mio. US-Dollar geschätzt, auch keine Kleinigkeit für das sanktionsgeschwächte Land.

Vor allem aber wurde damit nicht nur der russischen Führung, sondern auch der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt, dass moderne westliche Waffensysteme - in der Ukraine durch ukrainische Kräfte im Einsatz – in der Lage sind, die modernsten russischen Angriffswaffen erfolgreich auszuschalten. Dies zerstört den Mythos von der Unmöglichkeit einer Verteidigung gegen diese Systeme und stellt letztlich einen Prestigeverlust für die russische Führung dar.

Ohne voreilig die längerfristigen Auswirkungen dieser Ereignisse überschätzen zu wollen, für den Ruf russischer Waffensysteme am Weltmarkt der Zukunft stellen sie sicher (erneut) keine Förderung dar. Der Vollständigkeit halber sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass die bei diesen Angriffen eingesetzten Lenkwaffen zum Teil auch als Trägersysteme für nukleare Gefechtsköpfe dienen können. Demgegenüber nimmt sich die Bedeutung des Abschusses zweier Abfangjäger und zweier Hubschrauber im eigenen, russischen Luftraum – mutmaßlich durch eigene Fliegerabwehrlenkwaffen - durchaus bescheiden aus.

"Ukraine darf nicht verlieren" wird "Ukraine soll gewinnen"

Doch mit schlechten Nachrichten für die russische Führung war es damit in der vergangenen Woche nicht genug, ganz im Gegenteil: Im Zuge einer Westeuropa-Reise von Präsident Wolodymyr Selenskyj, die ihn in die Hauptstädte der größten europäischen Nationen führte, zeigte sich eine neue Qualität der Unterstützung der Ukraine durch Europa. Entschlossenheit und der quantitative und qualitative Umfang der nunmehr zugesagten Hilfsleistungen deuten darauf hin, dass aus dem die Handlungen der Europäer bisher leitenden Grundsatz, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren, nunmehr einer geworden ist, dass die Ukraine den Sieg davonzutragen hätte.

Vor allem für Deutschland stellt dies eine Art Paradigmenwechsel dar. Das Land und seine europäischen Alliierten demonstrieren damit sehr konkret auch gegenüber den transatlantischen Partnern ihre Entschlossenheit, die Ukraine bis zu einem Erfolg zu unterstützen. Selbst wenn bis zum Beginn einer ukrainischen Bodenoffensive noch nicht alle nunmehr zugesagten Waffensysteme zur Verfügung stehen sollten, stellen diese die weitere Verteidigungsfähigkeit der Ukraine auch nach einem Ende dieses Konfliktes sicher, wie immer dann das strategische Umfeld des Landes aussehen wird.

"Tarnkappen"-Marschflugkörper

Besonders sichtbares Ergebnis der westlichen Unterstützungsleistungen bilden britische Marschflugkörper vom Typ "Storm Shadow" und ihr französisches Pendant. Diese weisen in der an die Ukraine gelieferten Variante eine Reichweite von bis zu 300 km auf und sind aufgrund ihrer "Tarnkappeneigenschaften" für die russische Luftabwehr sehr schwer zu bekämpfen. Damit kann die gesamte Tiefe des von Russland besetzten Raumes erreicht werden, was Russland dazu zwingt, wichtige logistische Einrichtungen sowie Führungszentralen noch weiter von den eingesetzten Truppen entfernt einzurichten. Man erinnert sich jener Phase des Krieges, in der vor allem durch den Einsatz der US-amerikanischen HIMARS-Systeme mit etwa der halben Reichweite der Storm Shadow die ukrainischen Angriffserfolge in den Räumen Charkiw und Cherson möglich wurden.

Eine potenziell mindestens so wichtige Entwicklung könnte die britisch-niederländische Initiative bedeuten, mit der Abfangjäger vom Typ F-16 aus europäischen Ländern, in denen diese laufend durch modernere Flugzeuge des Typs F-35 ersetzt werden, an die Ukraine geliefert werden sollen. Da Experten davon ausgehen, dass ukrainische Piloten bereits an F-16 ausgebildet werden, könnten diese Flugzeuge verhältnismäßig rasch eine erhebliche Verstärkung der ukrainischen Luftverteidigung bilden.

Betrachtet man diese Ereignisse in ihrer Gesamtheit, so ist nicht auszuschließen, dass in späterer Rückschau die vergangene Woche durchaus als Phase einer Wende gesehen wird, als Beginn des Endes der russischen Versuche, die Ukraine mit militärischer Gewalt zu unterwerfen.

ribbon Zusammenfassung
  • Die gefeierten Hyperschall-Raketen Russlands performen bescheiden, neue Waffen für die Ukraine sind im Anmarsch.
  • Im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine könnte die vergangene Woche eine entscheidende Wende gebracht haben, meint Kolumnist Gerald Karner.

Mehr aus Meinung