Verbesserungsbedarf bei Opferrechten für LGBTIQ+Betroffene
"Die bestehenden Opferrechte berücksichtigen die spezifischen Bedürfnisse queerer Personen bislang noch unzureichend", betont der auf juristische Prozessbegleitung und Familienrecht spezialisierte Wiener Rechtsanwalt Lian Kanzler. Besonders schutzbedürftige Opfer haben im Ermittlungsverfahren das Recht zu verlangen, nach Möglichkeit von einer Person des gleichen Geschlechts vernommen zu werden. Dasselbe gilt für Dolmetscherleistungen. "Hier wird deutlich, dass diese Rechte von einem heteronormativen Blick auf sexuelle und häusliche Gewalt geprägt und nicht dazu geeignet sind, auf die besonderen Bedürfnisse jener Personen einzugehen, die Opfer einer Gewalttat durch eine Person des gleichen Geschlechts wurden", so JurPB-Vorstandsmitglied Kanzler.
Aus seiner Sicht wäre es "wünschenswert, ein Recht zu verankern, das es betroffenen Personen eines Anti-LGBTQI+-Hate-Crimes ermöglicht, von einer speziell in LGBTQIA+-Themen geschulten Person einvernommen zu werden." Grundsätzlich sei es zielführender, Betroffenen aus der LGBTIQ+-Community ein Wahlrecht zukommen zu lassen, ob sie sich von einer weiblich oder männlich gelesenen Person vernehmen oder dolmetschen lassen möchten.
Erfahren Personen aus der LGBTIQ+Community Gewalt, stoßen sie bei der Polizei, bei Staatsanwaltschaften und Gerichten nach wie vor auf Vorurteile oder mangelnde Sensibilisierung. Unangemessene Fragen, abwertende Kommentare oder eine Bagatellisierung der erlebten Gewalt kommen vor. "Fehlende Vorgaben bei den involvierten Behörden zum respektvollen Umgang mit gewählten Pronomen und Anreden können betroffene Personen zusätzlich belasten", weiß Kanzler. Bei ungeouteten Personen kann eine Anzeige zu einem ungewollten Outing oder dem Öffentlichmachen sensibler Daten führen, weshalb eine Rechtsberatung durch ausgewiesene Expertinnen und Experten wesentlich sei.
Aus Sicht der JurPB wäre eine "Nachschärfung" der Opferrechte für LGBTIQ+Betroffene wünschenswert. Immerhin hat eine Erhebung der EU-Grundrechteagentur FRA mit 140.000 Teilnehmenden im Jahr 2023 ergeben, dass jede zehnte befragte LGBTIQ+-Person in der EU in den fünf Jahren vor der Umfrage körperlich oder sexuell angegriffen wurde. Bei Trans- und Inter-Personen waren es mit 17 bzw. 22 Prozent deutlich mehr. Nur 21 Prozent der körperlichen oder sexuellen Übergriffe auf die LGBTIQ+Community wurden einer Organisation oder der Polizei gemeldet.
Hohe Dunkelziffer bei Opfern in Hassverbrechen-Verfahren der StA Graz vermutet
Eine hohe Dunkelziffer an Betroffenen dürfte es auch bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (StA) Graz zu einer Serie an Hassverbrechen gegen schwule und bisexuelle Männer geben, die die beim steirischen Landeskriminalamt angesiedelte "AG Venator" im vergangenen Frühjahr aufgedeckt hatte. Die Opfer waren über eine Online-Dating-Plattform gezielt an abgelegene Örtlichkeiten gelockt, erniedrigt, malträtiert und teilweise schwer verletzt worden. Die Anklagebehörde geht derzeit "von knapp über 30 Beschuldigten aus", wie Behördensprecher Cristian Kroschl am Mittwoch auf APA-Anfrage sagte. Es würden aber laufend Berichte der Polizei nachkommen, ein Ende des Ermittlungsverfahrens sei nicht absehbar.
Vier Beschuldigte im Alter zwischen 20 und 24 Jahren befinden sich nach wie vor in U-Haft. Bei ihnen steht laut Kroschl als Tatverdacht versuchter Mord bzw. versuchte absichtlich schwere Körperverletzung im Raum. "Wie viele Opfer es gibt, ist schwer zu sagen. Bei derartigen Taten ist die Dunkelziffer hoch. Es melden sich sicher nicht alle", meinte Kroschl im Gespräch mit der APA. Etliche Betroffene würden sich "aus Scham" nicht an die Strafverfolgungsbehörden wenden. Auch ungeoutete schwule oder bisexuelle Männer seien möglicherweise unter "den Opfern die wir derzeit noch nicht kennen", vermutete Kroschl.
Unter Beschuldigten einige Rechtsextreme
Das gravierendste homophobe Gewaltdelikt, das die StA Graz beschäftigt, hat sich laut Kroschl in Salzburg ereignet. Unter den vier in diesem Zusammenhang Inhaftierten befinden sich auch Beschuldigte, bei denen aus Sicht der Anklagebehörde eine rechtsextreme Gesinnung vorliegen dürfte. Darauf deuten erste Auswertungen der sichergestellten Datenträger hin, das einschlägiges Bildmaterial zutage förderte.
"Dass zu Gänze von einer homophoben rechtsextremen Tätergruppe auszugehen ist, kann aber nicht bestätigt werden", meinte Kroschl. Unter den über 30 Beschuldigten, die eine kriminelle Vereinigung gebildet haben dürften, gebe es "einzelne mutmaßliche Rechtsextreme". Diese betreffenden Verdächtigen würden nicht nur von Datenträgern, sondern teilweise auch von Tattoos belastet. Sie hätten mit entsprechenden Tätowierungen ihre Gesinnung zur Schau gestellt. In diesen Fällen ist nicht nur mit einer Anklage wegen der Gewaltdelikte, sondern auch wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes zu rechnen.
Zusammenfassung
- Im Hate-Crime-Bericht 2024 des Innenministeriums werden über 300 Hassverbrechen aufgrund sexueller Orientierung verzeichnet, darunter 274 Fälle mit homophoben Motiven.
- 28 Prozent dieser Taten sind Körperverletzungen, wobei der Verein JurPB betont, dass bestehende Opferrechte die Bedürfnisse von LGBTIQ+-Betroffenen bislang unzureichend abdecken.
- JurPB-Vorstandsmitglied Lian Kanzler fordert, dass Opfer von Anti-LGBTQI+-Hate-Crimes das Recht erhalten, von speziell in LGBTQIA+-Themen geschulten Personen vernommen zu werden.
- Eine EU-weite FRA-Studie aus 2023 ergab, dass 10 Prozent der LGBTIQ+-Personen in den letzten fünf Jahren körperlich oder sexuell angegriffen wurden, bei Trans- und Inter-Personen waren die Zahlen mit 17 bzw. 22 Prozent noch höher.
- Im aktuellen Ermittlungsfall der StA Graz zu Hassverbrechen gegen schwule und bisexuelle Männer gibt es über 30 Beschuldigte, darunter einzelne mit rechtsextremer Gesinnung, und vier Verdächtige befinden sich weiterhin in U-Haft.