Van der Bellen und Steinmeier: "Europa neu erfinden!"
An sich grenze die Situation in Europa ja "an ein Wunder", zogen die beiden Bundespräsidenten in dem Text eine historisch zufriedenstellende Bilanz. "Nach zwei verheerenden Weltkriegen, millionenfachem Tod und beispielloser Zerstörung herrscht zwischen den Staaten, die sich am europäischen Projekt beteiligt haben, seit sieben Jahrzehnten durchgehend Frieden und Stabilität." Sei es anfänglich "um die gegenseitige Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens durch die gemeinsame Bewältigung des Wiederaufbaus" gegangen, hätten "überzeugte Europäerinnen und Europäer bald eine größere Vision" gehabt, nämlich jene "von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bis zur Europäischen Union."
Die europäische Einigung habe "Wachstum und Wohlstand, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für rund 450 Millionen Menschen" gebracht, wird konstatiert. Zuletzt habe Europa aber einen "doppelten Epochenbruch" erlebt: "Am 24. Februar 2022 ist mit dem russischen Überfall auf die Ukraine der Angriffskrieg auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Ein Angriff, der auch der europäischen Friedensordnung gilt. Und zeitgleich erleben wir, dass unsere Gewissheiten über die Tragfähigkeit der transatlantischen Sicherheitsarchitektur brüchig geworden sind."
Gemeinsames Fazit: "Wir Europäer können uns nicht mehr auf andere verlassen, müssen selbst für unseren Schutz sorgen, unsere eigene Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung glaubhaft stärken. Europa muss seine eigene Sicherheit garantieren, auch um nicht von anderen als schwach und steuerbar gesehen zu werden", lautet daher die Forderung.
"Europa muss sich neu erfinden"
"Europa" sei jedoch nicht auf die Staaten der EU beschränkt, "auch Großbritannien und Norwegen kommen zentrale Rollen zu." Für dieses Ziel "müssen und werden wir als Europa einen größeren Beitrag leisten". Dies könne gelingen, "wenn Europa zusammensteht und seine Kräfte bündelt". Wenn die Weltlage sich verändere, dann muss sich auch Europa verändern, so Van der Bellen und Steinmeier. "In der geopolitischen Zeitenwende, die wir erleben, muss Europa sich neu erfinden. Wir brauchen neue Zuversicht, neuen Mut und die feste Entschlossenheit, die Errungenschaften des europäischen Projekts auch für künftige Generationen zu erhalten. Vielleicht vergleichbar mit der Kraftanstrengung der Europäerinnen und Europäer der ersten Stunde."
"Jede Bombardierung ukrainischer Städte durch russische Raketen, jede Provokation durch Drohnen oder Cyberangriffe testet unseren europäischen Zusammenhalt" wird weiter betont. "Wenn wir nicht klar zu verstehen geben, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, dass wir solidarisch zueinanderstehen, ist unsere Art zu leben in ernsthafter Gefahr."
"Feuer der europäischen Idee droht im Sturm zu erlöschen"
"Wenn wir untätig zuschauen oder nur beim Blick zurück verharren", drohe das Feuer der europäischen Idee im Sturm zu erlöschen", warnen die Staatsoberhäupter Österreichs und Deutschlands. Aber: "Wir Europäer haben oft genug gezeigt, dass wir Krisen meistern können, wenn wir geschlossen handeln. Wir können und werden - davon sind wir beide überzeugt - auch die Herausforderungen unserer Zeit meistern, um dieses Feuer wieder auflodern zu lassen und es an die nächste Generation weiterreichen zu können."
Steinmeier absolviert von Dienstag bis Donnerstag einen Staatsbesuch in Österreich. Anlass ist die Eröffnung des Neubaus der deutschen Botschaft in Wien. Steinmeier wird in der Bundeshauptstadt neben Van der Bellen unter anderen auch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) treffen. In Tirol ist eine Besichtigung der Baustelle des Brenner-Basistunnels geplant.
Zusammenfassung
- Van der Bellen und Steinmeier fordern in einem gemeinsamen Appell eine grundlegende Neuausrichtung Europas, um angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und brüchiger transatlantischer Sicherheitsstrukturen handlungsfähiger zu werden.
- Sie betonen, dass die europäische Einigung rund 450 Millionen Menschen Wohlstand, Frieden und Demokratie gebracht hat, warnen jedoch, dass jede russische Bombardierung ukrainischer Städte und Cyberangriffe den Zusammenhalt Europas testen.
- Steinmeier besucht von Dienstag bis Donnerstag Österreich, unter anderem zur Eröffnung der neuen deutschen Botschaft in Wien und zur Besichtigung des Brenner-Basistunnels.