Weitere Zusammenstöße in syrischer Provinz Sweida
Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR sind die Krankenhäuser in der Provinz durch sehr viele Verletzte überfordert. Das UNHCR kann Vertriebene mit Hilfsmaterial wie Decken und Solarlampen wegen der Sicherheitslage nicht erreichen. Ein Lagerhaus des syrischen Roten Halbmonds mit Hilfsmaterial sei durch Beschuss beschädigt worden, hieß es.
Das UNO-Menschenrechtsbüro spricht von glaubhaften Berichten über Menschenrechtsverletzungen. "Dazu gehören Hinrichtungen im Schnellverfahren und willkürliche Tötungen, Entführungen, Zerstörung von Privateigentum und Plünderungen von Häusern" teilte das Büro mit. In den Berichten würden als Täter "Mitglieder der Sicherheitskräfte und Personen, die mit den Übergangsbehörden in Verbindung stehen, sowie andere bewaffnete Elemente aus dem Gebiet, einschließlich Drusen und Beduinen" genannt.
"Gesetzlose Kräfte" hätten durch "grausame Gewalttaten" gegen das Waffenruheabkommen verstoßen, hieß es in einer Erklärung der syrischen Präsidentschaft mit Bezug auf Milizen der in der Region stark vertretenen religiösen Minderheit der Drusen. Die "Verbrechen" der Kämpfer stünden in völligem Widerspruch zu den Vermittlungsbemühungen, gefährdeten den inneren Frieden und führten zu "Chaos und einem Zusammenbruch der Sicherheit", erklärte die Präsidentschaft. Weiter warnte sie vor "einer anhaltenden offensichtlichen Einmischung Israels in die inneren Angelegenheiten Syriens".
Syrische Regierungstruppen beziehen Stellung nahe Sweida
Sicherheitskräfte der syrischen Übergangsregierung bezogen am Freitag erneut Stellung an den Rändern der gleichnamigen Provinzhauptstadt, wie die Deutsche Presse-Agentur von Augenzeugen vor Ort und aus syrischen Sicherheitskreisen erfuhr. Demnach bereiteten sie sich darauf vor, erneut nach Sweida einzurücken. Nach Angaben aus Damaskus sollen die Regierungstruppen lokale Konfliktparteien auseinanderhalten.
Israel ist laut Medienberichten bereit, die Präsenz von Sicherheitskräften der syrischen Regierung in der Provinz für einen Zeitraum von 48 Stunden zu dulden. Nach den tagelangen Kämpfen habe man zugestimmt, dass Truppen des Innenministeriums in diesem Zeitraum in Sweida operieren, sagte ein namentlich nicht genannter israelischer Offizieller zu mehreren israelischen Medien.
Die unter internationaler Vermittlung zustande gekommene Waffenruhe hatte zuvor am Donnerstag nach tagelangen blutigen Kämpfen zu einem Abzug der Regierungstruppen aus der Stadt Sweida in der gleichnamigen Region geführt. Zuvor hatten sich dort verschiedene Volksgruppen und die Armee mehrere Tage lang bekämpft, Aktivisten zufolge wurden hunderte Menschen getötet. Am Donnerstag erklärte die syrische Regierung den Abzug der Armee dann für abgeschlossen.
In den Konflikt griff auch das Nachbarland Israel ein, das als Schutzmacht der Drusen auftritt. Die israelische Armee griff am Mittwoch ein "militärisches Ziel" in der Zone des Präsidentenpalastes in Damaskus sowie das Hauptquartier der syrischen Armee in der Region Damaskus an. Israel verlangt den Abzug der syrischen Regierungstruppen aus der Drusen-Region nahe der Grenze zu Israel.
Israel weist Berichte über neuerliche Angriffe zurück
Am Donnerstagabend berichtete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana von einem neuerlichen israelischen Luftangriff in der Nähe von Sweida. "Flugzeuge der israelischen Besatzungsmacht" hätten die Umgebung von Sweida angegriffen, hieß es demnach. Israel wies die Berichte zurück, dem Militär seien keine nächtlichen Angriffe in Syrien bekannt, sagte ein Armeesprecher der Nachrichtenagentur AFP.
Israel hatte Ziele der syrischen Armee in Sweida und Damaskus angegriffen, um die islamistisch geführte Regierung nach den tödlichen Kämpfen zwischen verschiedenen Volksgruppen zum Rückzug aus Sweida zu drängen.
Die Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Jordaniens, Bahrains, der Türkei, Saudi-Arabiens, des Irak, des Oman, Katars, Kuwaits, des Libanon und Ägyptens verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung die "wiederholten" israelischen Angriffe, welche "eine Verletzung des Völkerrechts und einen Angriff auf die Souveränität Syriens" darstellten.
UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk forderte am Freitag ein Ende des Blutvergießens. Der Schutz sämtlicher Bewohner müsse oberste Priorität haben, erklärte Türk. Er appellierte an die Führung in Damaskus, Tötungen in Sweida nachzugehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zeigte sich besorgt. Derzeit sei es für das UNHCR sehr schwierig, in Sweida Hilfe zu leisten, sagte ein Sprecher vor der Presse in Genf.
Israel will humanitäre Hilfe schicken
Israel will humanitäre Hilfe an die Drusen schicken. Die Sendung im Wert von etwa 500.000 Euro umfasse unter anderem Nahrungsmittel, medizinische Ausrüstungen, Erste-Hilfe-Koffer und Medikamente, teilte das israelische Außenministerium auf X mit. Das israelische Außenministerium führte nicht weiter aus, wie die Hilfsgüter zu ihren Adressaten gebracht werden sollen. Die Hilfe werde gezielt jenen drusischen Gebieten in der Provinz zukommen, die von den jüngsten blutigen Angriffenbetroffen waren, hieß es in der Ministeriumsmitteilung.
USA distanzieren sich
Die USA distanzierten sich indes von den Angriffen. "Ich kann Ihnen sagen, dass die USA die jüngsten israelischen Angriffe nicht unterstützt haben", sagte Außenamtssprecherin Tammy Bruce am Donnerstag vor Journalisten.
Österreich zeigte sich über die anhaltende Gewalt im Süden Syriens "zutiefst" beunruhigt. "Wir verurteilen die Angriffe auf die drusische Gemeinschaft aufs Schärfste und rufen alle internen und externen Akteure zur Deeskalation auf", erklärte das Außenministerium am Freitag auf Onlineplattformen. Die Souveränität Syriens müsse respektiert werden; die Stabilität und der Schutz für alle seine Bürger müssten gewährleistet werden.
Beinahe 600 Todesopfer
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gab indes bekannt, dass die Zahl der Todesopfer auf beinahe 600 angestiegen sei. Unter ihnen seien 300 Drusen, 154 davon Zivilisten. Die Organisation wirft dem syrischen Verteidigungs- und Innenministerium die "Hinrichtung" von 83 drusischen Zivilisten vor.
Den Angaben zufolge wurden zudem 257 Regierungsangehörige und 18 sunnitische Beduinenkämpfer seit dem Wochenende bei den Kämpfen getötet. Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten vor Ort. Ihre Angaben können oft nicht unabhängig überprüft werden.
Die von Übergangspräsident Ahmed al-Shaara angeführte islamistische HTS-Miliz und mit ihr verbündete Gruppierungen hatten im Dezember den langjährigen syrischen Machthaber Bashar al-Assad gestürzt. Die HTS ist ein früherer Zweig von Al-Kaida, hatte sich jedoch vor Jahren von dem Terrornetzwerk losgesagt. Der frühere Dschihadist al-Shaara bemüht sich seit seinem Amtsantritt um ein moderateres Image. Die neue syrische Führung hat wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen.
Zusammenfassung
- In der syrischen Provinz Sweida ist es erneut zu schweren Zusammenstößen zwischen lokalen Gruppen gekommen, wobei gezielt Falschinformationen zur Anstiftung weiterer Gewalt genutzt wurden.
- Das UNO-Menschenrechtsbüro berichtet von glaubhaften Menschenrechtsverletzungen wie Hinrichtungen, Entführungen und Plünderungen, an denen verschiedene bewaffnete Gruppen, darunter Drusen und Beduinen, beteiligt sein sollen.
- Die Zahl der Todesopfer ist laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte auf fast 600 gestiegen, darunter 300 Drusen und 154 Zivilisten, während Krankenhäuser und Hilfsorganisationen überfordert sind.
- Israel griff militärische Ziele in Syrien an, bietet nun humanitäre Hilfe im Wert von etwa 500.000 Euro für die Drusen an und weist Berichte über weitere Angriffe zurück.
- UNO, Österreich und mehrere arabische Staaten fordern ein Ende der Gewalt, Deeskalation sowie den Schutz der Zivilbevölkerung und kritisieren die Angriffe auf syrisches Territorium.