Serbien bereit zu "sehr harten Kompromissen" mit Kosovo
Diese Vereinbarung gebe nämlich serbischen Regierungspolitikern das Recht zu Besuchen im Kosovo. Lediglich eine Voranmeldung sei nötig. Der Vizechef des serbischen Regierungsamtes für den Kosovo sei festgenommen worden, als er an einer Gedenkveranstaltung für ein Massaker an kosovarischen Serben teilgenommen habe, und es drohten ihm nun bis zu acht Jahre Haft. Belgrad verlange "die sofortige und bedingungslose Freilassung" des Politikers, so der Minister.
Starović warf dem kosovarischen Regierungschef Albin Kurti vor, Innenpolitik auf dem Rücken der serbischen Volksgruppe zu machen. Nach dem Verlust der Mehrheit bei den jüngsten Wahlen sei er nur noch geschäftsführend im Amt und könne seine Wahlversprechen im Bereich Wirtschaft oder Kampf gegen Korruption nicht umsetzen. "Das einzige, was er seinen Wählern liefern kann, ist die Unterdrückung der serbischen Volksgruppe im Kosovo", kritisierte der serbische Minister.
Belgrad sei dennoch zu einem Dialog mit Pristina bereit, betonte Starović. "Es darf aber kein Nullsummenspiel sein, in dem eine Seite alles verliert, damit die andere alles bekommt. Es muss ein Kompromiss sein", sagte er in Richtung des Kosovo, der sich im Jahr 2008 einseitig von Serbien losgesagt hatte und von 22 der 27 EU-Staaten als unabhängig anerkannt wird. Belgrad betrachtet den Kosovo immer noch als Teil seines Staatsgebiets und engagiert sich insbesondere für den mehrheitlich serbischen Nordteil des Kosovo.
Auf die Frage, wie angesichts der ungelösten Statusfrage ein EU-Beitritt der beiden Länder möglich sein werde, sagte der Minister: "Es ist eine riesengroße Herausforderung, und wir sind uns dessen völlig bewusst. Aber wir sind uns auch bewusst, dass die Europäische Union immer praktische und kreative Lösungen angewandt hat." Starović verwies diesbezüglich auf Zypern, das im Jahr 2004 trotz des ungelösten Konflikts um den türkisch besetzten Nordteil des Landes EU-Mitglied geworden sei, oder auch die Ukraine.
Eröffnung von Verhandlungsclustern im September angestrebt
Starović bekräftigte zugleich das Interesse Serbiens an einem EU-Beitritt und pochte auf eine rasche Eröffnung weiterer Cluster in den Verhandlungen. Man wolle noch vor Monatsende wichtige Reformen im Bereich Wahlen und Medien beschließen und hoffe, dass Cluster 3 der Verhandlungen (Wettbewerbsfähigkeit) im September eröffnet werden könne. "Wenn es nicht im September ist, dann sollte es definitiv während der (dänischen) Präsidentschaft passieren", betonte der Minister unter Verweis darauf, dass die EU-Kommission die Eröffnung dieses Clusters schon vor dreieinhalb Jahren empfohlen habe.
Angesichts des mühsamen Verhandlungsprozesses sprach sich Starović dafür aus, das nationale Vetorecht in diesem Bereich zurückzudrängen. "In diesem Prozess gibt es etwa 100 Entscheidungen, die einstimmig getroffen werden müssen. Wenn man das mit 27 multipliziert, hat man 2.700 potenzielle politische Hürden", sagte er. Daher soll Einstimmigkeit künftig nur beim Abschluss von Verhandlungsabschnitten erforderlich sein, nicht auch bei der Eröffnung, schlug der Minister vor.
Die mäßigen Zustimmungswerte der Bevölkerung sehe er "nicht als wesentliches Hindernis oder Hürde auf unserem Weg in die Europäische Union", sagte der Minister. Auch in Kroatien seien ein Jahr vor dem EU-Beitritt nur Zustimmungswerte von 37 Prozent erzielt worden, während es in Serbien aktuell 46 Prozent seien.
"Lassen wir die Ukrainer für sich sprechen"
Starović versuchte auch Zweifel an der serbischen Haltung gegenüber der Ukraine zu zerstreuen. "Wenn wir kritisiert werden, dass wir nicht genug für die Ukraine tun, dann ist meine Antwort einfach: Lassen wir die Ukrainer für sich sprechen", verwies er auf die von Belgrad geleistete Hilfe für Kiew. Die EU-Sanktionen gegen Russland trage man nicht mit, weil dies "Russland überhaupt nicht treffen würde, die serbische Wirtschaft aber in einem gewaltigen Ausmaß" und man als Nicht-EU-Mitglied auch nicht über das Sicherheitsnetz der Unionsmitgliedschaft verfüge. Starović zog diesbezüglich einen Vergleich mit der Pandemie, nach der Kroatien 22 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds erhalten habe, Serbien hingegen "fast nichts", konkret 165 Millionen Euro. Gleichwohl sei Serbien bereit, die EU-Sanktionen zur Gänze mitzutragen, "wenn die EU-Mitgliedschaft in Sichtweite ist", also bereits wenige Monate vor dem Beitrittsdatum. Auch habe Belgrad die russische Invasion in der Ukraine "vom ersten Tag an klar und unmissverständlich verurteilt", betonte er.
Serbien unterstütze die EU-Mitgliedschaft der Ukraine, betonte Starović. Er zeigte sich auch erfreut, dass die Ukraine dem Erweiterungsprozess an sich einen Impuls gegeben habe. "Es liegt nun an uns am Westbalkan, Teil dieses Momentums zu werden", betonte er. Als Beispiel nannte Starović die kürzlich beschlossene Erweiterung der EU-Roamingverordnung auf die Ukraine, nachdem sich die Staaten des Westbalkan mehrere Jahre lang erfolglos darum bemüht hatten. "Als der Ukraine das gewährt wurde, gab es kein Argument mehr, uns das zu verweigern." Die Anfang 2026 in Kraft tretende Regelung sei nun "die größte Errungenschaft seit der Visaliberalisierung (Serbiens) mit dem Schengen-Raum", so Starović. "Das war im Jahr 2009, also vor 16 Jahren."
Einreiseverbot für Dodik kontraproduktiv
Im Konflikt um Bosnien-Herzegowina bekräftigte Starović das Bekenntnis Belgrads zur territorialen Integrität des Staates, forderte den Internationalen Beauftragten Christian Schmidt aber zu Zurückhaltung auf. Als kontraproduktiv wertete er auch das von Deutschland und Österreich verhängte Einreiseverbot für den Präsidenten der bosnischen Serbenrepublik, Milorad Dodik. "Das ist nichts, womit man greifbare Ergebnisse erzielen kann", sagte Starović. Lobend äußerte er sich für die Rolle der EU-Truppe in Bosnien, die zur Hälfte aus österreichischen Soldaten besteht. EUFOR Althea "sichert die Stabilität und Sicherheit" im Land und spiele daher eine wichtige Rolle.
Innenpolitische Lage in Serbien "größtenteils beruhigt"
Befragt zu den seit acht Monaten andauernden innenpolitischen Protesten sagte Starović, "dass sich die Situation glücklicherweise größtenteils beruhigt". Die Kundgebungen hätten ihren Zenit im März erreicht, würden nun aber gewaltsamer. So würden bei Verkehrsblockaden nun auch große Gegenstände wie Müllcontainer eingesetzt, und man belästige Spitzenpolitiker in ihren privaten Wohnungen. "Erst vor zwei Tagen besuchten sie mein Wohnhaus und machten Lärm, verschreckten meine minderjährigen Kinder. So etwas ist völlig inakzeptabel. Das ist etwas, was wir nur bei den Nazis der SA im Deutschland der 1930er Jahre gesehen haben", zog der 43-jährige Politiker einen drastischen Vergleich.
Die nunmehrige Ablehnung vorgezogener Neuwahlen durch seine Regierung begründete Starović mit den vermeintlich nicht hehren Absichten der Opposition. Diese wolle Wahlen nämlich nur, um sie boykottieren und für nicht legitim erklären zu können. Den Vorwurf unfairer Bedingungen, etwa wegen der vermeintlichen Dominanz regierungsfreundlicher Medien, wies Starović zurück. Einerseits gebe es nirgends in Europa "perfekte Bedingungen", andererseits beschließe man gerade Reformen im Medienbereich.
Letztlich handle es sich bei den Vorwürfen aber nur um eine Ausrede für die "schwache Performance" der Opposition. "Niemand kann mir sagen, dass wir in der Ära von Slobodan Milošević eine bessere Medienlandschaft oder Wahlverfahren gehabt haben, und trotzdem hat die Opposition im Jahr 2000 einen Erdrutschsieg errungen", sagte Starović. "Wenn man sagt, dass ein paar kleine Unvollkommenheiten der Grund dafür sind, dass man jedes Mal die Wahl verliert, dann ist das nichts weiter als eine Ausrede."
(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)
Zusammenfassung
- Serbien ist laut Europaminister Starović bereit, im Konflikt mit dem Kosovo "sehr harte Kompromisse" einzugehen und strebt eine vollständige Normalisierung der Beziehungen an.
- Belgrad fordert nach der Verhaftung des serbischen Vizeministers Igor Popović im Kosovo, dem bis zu acht Jahre Haft drohen, dessen sofortige und bedingungslose Freilassung.
- Serbien will den EU-Beitritt vorantreiben und plant, noch im September Cluster 3 (Wettbewerbsfähigkeit) der Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, nachdem die EU-Kommission dies bereits vor dreieinhalb Jahren empfohlen hatte.
- Die Zustimmung zum EU-Beitritt liegt in Serbien derzeit bei 46 Prozent, während Kroatien ein Jahr vor seinem Beitritt nur 37 Prozent erreichte.
- Starović betont, dass Serbien bereit ist, EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen, sobald die EU-Mitgliedschaft in greifbare Nähe rückt, und verweist auf die bisher geleistete Hilfe für die Ukraine.