APA/APA/AFP/TETIANA DZHAFAROVA

Selenskyj wegen neuem Korruptionsgesetz unter Druck

23. Juli 2025 · Lesedauer 5 min

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gerät wegen seines Vorgehens gegen die Korruptionsbekämpfung unter Druck im Inland und bei seinen EU-Verbündeten. Selenskyj hatte am Dienstagabend ein Gesetz unterzeichnet, das Befugnisse der beiden Antikorruptionsbehörden NABU und SAP beschneidet. In der Ukraine gingen tausende Menschen auf die Straße, die um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler fürchten. Demonstrationen fanden in Kiew, Lwiw, Odessa und Dnipro statt.

In der Hauptstadt wurde am Mittwochabend bereits den zweiten Tag in Folge demonstriert. Die Demonstranten, darunter viele junge Menschen, forderten ein Veto gegen das Gesetz, das auch nach Ansicht der Europäischen Union den Kampf gegen die Korruption im Beitrittskandidatenland schwächt. Es sind die größten Proteste seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022.

Der Abbau wichtiger Schutzmechanismen für die Unabhängigkeit der Behörden sei ein schwerwiegender Rückschritt, sagte EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos. Der Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, hatte zuvor gewarnt, das zuvor vom Parlament verabschiedete Gesetz gefährde den angestrebten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. Die Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption ist eine wichtige Voraussetzung für den von der Ukraine angestrebten Beitritt zur EU und die Sicherung milliardenschwerer westlicher Hilfsgelder. Laut der Nichtregierungsorganisation Transparency International zählt die Ukraine zu einem der korruptesten Länder Europas.

Kritiker werfen Selenskyj seit längerem zunehmend autoritäre Tendenzen vor. Selenskyj seinerseits sagte die Ausarbeitung eines Plans zur Korruptionsbekämpfung innerhalb von zwei Wochen zu. "Wir alle hören, was die Gesellschaft sagt. Wir sehen, was die Menschen von den staatlichen Institutionen erwarten - nämlich eine garantierte Gerechtigkeit und das effektive Funktionieren jeder Einrichtung", sagte Selenskyj am Mittwoch nach einem Treffen mit Vertretern von Anti-Korruptions- und Sicherheitsbehörden.

Selenskyj sagte in seiner Videobotschaft, "die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung wird funktionieren. Nur ohne russischen Einfluss, davon muss sie befreit werden". Seit Jahren lebten Beamte, die aus der Ukraine geflohen seien, aus irgendwelchen Gründen im Ausland - "in sehr schönen Ländern und ohne rechtliche Konsequenzen - und das ist nicht normal".

Opposition will Schande abwenden

Das Gesetz, das das Parlament in Kiew zuvor verabschiedet hatte, schränkt die Autonomie ukrainischer Anti-Korruptionsbehörden ein. Es ermöglicht dem vom Präsidenten ernannten Generalstaatsanwalt, mehr Kontrolle über das Nationale Antikorruptionsbüro und die auf Korruptionsbekämpfung spezialisierte Staatsanwaltschaft auszuüben. Die Gründe für das Gesetz blieben zunächst unklar.

In Kiew kündigte der Oppositionspolitiker Jaroslaw Schelesnjak an, er werde mit mehreren anderen Abgeordneten einen Gesetzesentwurf einbringen, "um diese große Schande, die beschlossen und unterzeichnet wurde, rückgängig zu machen". Zudem wolle man das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anfechten.

Frankreich und Deutschland reagieren

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul kritisierte die Entscheidung Selenskyjs. Das Gesetz "belastet den Weg der Ukraine in die EU", sagt der Minister zu "Bild". "Ich erwarte von der Ukraine die konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung. Deshalb habe ich mich bei meinem Besuch in Kiew auch mit den Leitern der Behörden NABU und SAPO getroffen." Beide Behörden sind von der Entscheidung betroffen.

Der französische Europaminister Benjamin Haddad erklärte am Mittwoch, es sei für die Ukraine noch nicht zu spät, ihre Entscheidung zur Einschränkung der Autonomie der beiden Anti-Korruptionsbehörden zurückzunehmen. Diese stehen im Zentrum der Reformbemühungen des Landes. "Es ist nicht zu spät, diesen Schritt zurückzunehmen", sagte Haddad dem Radiosender France Inter. "Wir werden bei diesem Thema äußerst wachsam sein."

Kritik auch von SPÖ, FPÖ und NEOS

Kritik am neuen Gesetz kam auch von den NEOS, SPÖ und der FPÖ. Der NEOS-Delegationsleiter und Vizevorsitzende der Ukraine-Delegation im EU-Parlament, Helmut Brandstätter, sagte, dass dieses Gesetz "ein schwerer Rückschlag auf dem Weg der Ukraine in die EU" sei. Die Ukraine müsse ein glaubwürdiges System zur Bekämpfung der Korruption installieren, forderte er in einer Stellungnahme gegenüber der APA.

Die Präsidentin der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, warnte Selenskyj in einem scharfen Brief, dass die jüngsten Änderungen am Anti-Korruptionsgesetz "den Start der EU-Beitrittsverhandlungen gefährden" und "die bisherigen Reformfortschritte zunichtemachen" können. Der Brief kam auf Initiative mehrerer Renew-Abgeordneter, unter anderem Brandstätter, zustande. "Die Unterstützung für die Ukraine bleibt, weil es ein Abwehrkrieg gegen einen Aggressor ist, der auch uns bedroht. Aber für die EU-Mitgliedschaft braucht es eine kompromisslose Bekämpfung der Korruption", erklärte Brandstätter.

SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder sah ebenfalls "einen besorgniserregenden Rückschritt" für die Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union. Die Ukraine kämpfe wortwörtlich an vorderster Front für gemeinsame europäische Werte, sagte Schieder in einer Aussendung. "Aber der Weg in die EU kennt keine Abkürzungen. Er verlangt konsequente Reformen und den festen Willen zur Rechtsstaatlichkeit."

Das Gesetz "bestätigt erneut, dass das Land nicht EU-reif ist", erklärte Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter, im Europäischen Parlament am Mittwoch in einer Aussendung. "Die Ukraine gilt nicht umsonst seit Jahren als eines der korruptesten Länder Europas und mit diesem Gesetz unterstreicht sie eindrucksvoll, warum das so ist", so Vilimsky weiter. Statt die Ermittlungsbehörden zu stärken, würden sie jetzt politisch kontrolliert und in ihrer Arbeit behindert. "Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die auf demokratische Reformen gehofft haben und ein klarer Beweis, dass von europäischen Standards dort keine Rede sein kann."

Zusammenfassung
  • Der ukrainische Präsident Selenskyj unterzeichnete ein Gesetz, das die Befugnisse der Antikorruptionsbehörden NABU und SAP einschränkt.
  • Tausende Menschen protestierten in Kiew, Lwiw, Odessa und Dnipro gegen das Gesetz, das als Rückschritt im Kampf gegen Korruption gilt.
  • EU-Vertreter und Politiker aus Deutschland und Frankreich warnten, dass das Gesetz den EU-Beitrittsprozess der Ukraine gefährdet.
  • Das Gesetz ermöglicht dem vom Präsidenten ernannten Generalstaatsanwalt mehr Kontrolle über die Antikorruptionsbehörden.
  • Selenskyj kündigte nach Kritik aus dem In- und Ausland die Ausarbeitung eines neuen Plans zur Korruptionsbekämpfung innerhalb von zwei Wochen an.