Wieder Tote in Gaza - Helfer: "Lebensbedingungen verheerend"
Hungrige Kinder suchten in Abfallbergen nach Essensresten und Brennmaterial, berichtete die Sprecherin des UN-Nothilfebüros in Gaza-Stadt, Olga Cherevko. Durch das Verbrennen von Plastik entstehe überall gefährlicher Rauch. Sie sehe in den Straßen unterernährte Kinder. In ihrer Verzweiflung griffen Menschen inzwischen immer öfter die wenigen Lastwagen an, in denen Wasser oder Nahrungsmittel vermutet werden.
"Die internationale Gemeinschaft hat die Wahl: Entweder sie schaut sich weiterhin die grausamen Bilder des erstickten und ausgehungerten Gazastreifens an oder sie bringt den Mut und die Moral auf, Entscheidungen zu treffen, die diese gnadenlose Blockade durchbrechen", sagte Cherevko. "Die Menschen in Gaza haben keine solche Wahl. Ihr Schicksal hängt von unserer gemeinsamen Verantwortung zum Handeln ab."
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) warnte vor einem "vollständigen Zusammenbruch" der humanitären Hilfe. Die Menschen könnten kaum noch überleben . Am IKRK-Feldkrankenhaus gingen Nahrungsmittel und medizinische Produkte zur Neige. Wasserleitungen seien kaputt und Lastwagen zur Abwasserentsorgung zerstört worden. Ohne sofortige Lieferungen von medizinischen Hilfsgütern und Lebensmitteln könne das IKRK einen Großteil seiner Arbeit nicht länger aufrechterhalten, erklärte die Hilfsorganisation.
"Für die Zivilisten in Gaza ist jeder Tag ein harter Überlebenskampf", sagte der stellvertretende IKRK-Leiter für die Einsätze des Roten Kreuzes, Pascal Hundt. "Wir können nicht zulassen, dass sich diese bereits kritische Situation noch weiter verschlechtert." Die in Genf ansässige Hilfsorganisation warnte vor konkreten Konsequenzen, sollte die Blockade nicht bald gelüftet werden, etwa die Einstellung von Gemeinschaftsküchen zur Ausgabe von Essen: "Es muss dringend gehandelt werden, sonst wird Gaza noch tiefer ins Chaos stürzen, aus dem keine humanitären Bemühungen mehr heraushelfen können."
Israel sei als Besatzungsmacht verpflichtet, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu decken, so das IKRK. Es wacht über die Genfer Konventionen, die den Umgang mit Zivilisten in bewaffneten Konflikten regeln. Das IKRK verlangte auch die Freilassung der aus Israel entführten Geiseln.
Berichte über israelischen Angriff auf Schiffs mit Hilfslieferungen
Am Freitag berichteten zudem internationale Aktivisten der pro-palästinensischen Hilfsorganisation Freedom Flottilla Coalition (Freiheitsflotte) von einem Drohnenangriff auf ein Schiff mit Hilfslieferungen, das die israelische Blockade umgehen sollte. In internationalen Gewässern vor Malta sei das Schiff "Conscience" um 0.23 Uhr (MESZ) zweimal von "bewaffneten Drohnen" angegriffen worden, erklärte die Organisation und schrieb die Angriffe Israel zu. Israel äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen.
Die Aktivisten waren nach eigenen Angaben auf dem Weg in den Gazastreifen, um "dringend benötigte, lebensrettende Hilfe zu liefern". Die Regierung Maltas erklärte am Freitag, sie habe auf einen Notruf des Schiffes reagiert. Alle Besatzungsmitglieder seien unversehrt. Informationen über einen Angriff erwähnte die maltesische Regierung jedoch nicht.
Seit zwei Monaten keine Hilfslieferungen
Israel hat seit zwei Monaten keine Nahrungsmittel, Medikamente oder andere lebenswichtigen Güter mehr in den Gazastreifen gelassen. Es will nach eigenen Angaben die dort herrschende Hamas unter Druck setzen, damit sie die verbliebenen israelischen Geiseln freilässt.
Unter den Opfern bei Angriffen auch Minderjährige
Unter den Opfern der israelischen Angriffe vom Freitag sollen auch Minderjährige sein. Die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA hatte zunächst sieben Todesopfer gemeldet. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee sagte auf Anfrage, dem Bericht nachzugehen. In sozialen und palästinensischen Medien verbreitete Aufnahmen sollen zeigen, wie Helfer nach dem Angriff in der Nacht unter Trümmern nach Verschütteten suchen und die Leiche eines jungen Mannes in eine Decke hüllen. Die Echtheit der Aufnahmen konnte zunächst nicht verifiziert werden.
Laut WAFA gab es zudem weitere, teils tödliche Angriffe Israels in dem Gebiet. Die palästinensische Nachrichtenagentur berichtete, bei einem Drohnenangriff seien am Vormittag mindestens sieben Menschen in der Stadt Beit Lahia im Norden des Küstenstreifens getötet worden. Zudem habe es Verletzte gegeben, als ein Zelt getroffen worden sei. Darin waren palästinensischen Angaben zufolge Menschen versammelt, die um getötete Angehörige trauerten. Auch diese Angaben ließen sich allesamt zunächst nicht unabhängig verifizieren. Das israelische Militär teilte auf Anfrage mit, den Bericht zu prüfen.
Israel überlegt Verschärfung der Einsätze im Gazastreifen
Israels Führung will laut Medienberichten im Laufe des Tages über eine mögliche Verschärfung der Einsätze im Gazastreifen entscheiden. Israel will mit den Angriffen den Druck auf die Hamas erhöhen, damit diese einer Freilassung weiterer Geiseln zustimmt.
Die Hamas und mit ihr verbündete Islamisten hatten am 7. Oktober 2023 einen Großangriff auf Israel ausgeführt, etwa 1200 Menschen getötet und damit den Gaza-Krieg ausgelöst. Israel geht seitdem massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden bisher nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 52.000 Menschen getötet. Nach dem Ende einer zweimonatigen Waffenruhe im März hat Israel seine intensiven Militäroperationen in dem Gebiet wieder aufgenommen und alle Hilfslieferungen in den Gazastreifen seither blockiert.
Wiederholt haben die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen vor einer drohenden Hungerkatastrophe und Gesundheitskrise im Gazastreifen gewarnt. Vor wenigen Tagen gab das Welternährungsprogramm bekannt, dass alle seine Lebensmittelvorräte im Gazastreifen aufgebraucht seien.
Zusammenfassung
- Bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen wurden am Freitag mindestens zehn Menschen getötet, darunter auch Minderjährige.
- Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal, mit verheerenden Lebensbedingungen und einer drohenden Hungerkatastrophe, warnt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.
- Ein Schiff mit Hilfslieferungen wurde angeblich von israelischen Drohnen angegriffen, während es versuchte, die Blockade zu durchbrechen.
- Seit zwei Monaten blockiert Israel alle Hilfslieferungen in den Gazastreifen, um Druck auf die Hamas auszuüben.
- Die Vereinten Nationen haben wiederholt vor einer drohenden Gesundheitskrise im Gazastreifen gewarnt, da die Lebensmittelvorräte aufgebraucht sind.