Israel offenbar mit neuem Vorschlag für Gaza-Waffenruhe
Israels Beharren auf dem Verbleib seiner Armee im Süden des Küstengebiets steht laut Berichten mit umstrittenen Plänen der Regierung im Zusammenhang, dort ein riesiges Lager für Hunderttausende Palästinenser errichten zu wollen. Kritiker sprechen von einem Internierungslager, das langfristig auf eine Zwangsdeportation hinauslaufen könnte. Israel spricht von einer "humanitären Stadt" als Ausgangsbasis für eine "freiwillige Ausreise" der Bewohner von Gaza. Die "New York Times" zitierte Husam Badran, ein ranghohes Mitglied der islamistischen Hamas, der die Errichtung eines solchen Lagers als "absichtlich behindernde Forderung" bezeichnete, die die ohnehin schon schwierigen Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gazakrieg weiter erschweren würde.
Der israelische Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete den Plan der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu laut der "Times of Israel" als "verrückt - selbst nach den Maßstäben dieser Regierung". Der von Verteidigungsminister Israel Katz kürzlich vorgestellte Plan sieht vor, dass auf den Trümmern der Stadt Rafah eine Zone errichtet wird, in der zunächst 600.000 Menschen aufgenommen werden sollen. Laut "Times of Israel" sollen später dann alle der mehr als zwei Millionen Bewohner Gazas dort hinein. Wer einmal eingelassen wird, darf die "humanitäre Stadt" nicht mehr verlassen.
"Wird es einen Zaun geben? Einen normalen Zaun? Einen Elektrozaun? Wie viele Soldaten werden ihn bewachen?", zitierte die Zeitung Lapid. "Was werden die Soldaten tun, wenn Kinder die Stadt verlassen wollen? Wer wird sie ernähren? Wer wird für Wasser und Strom verantwortlich sein? Was wird passieren, wenn es zu Epidemien und Krankheiten kommt? Wer wird sie behandeln?". Laut israelischen Medienberichten gibt es auch aus der Armee deutliche Kritik an dem Plan. Demnach gibt es allerdings selbst unter den an der Planung beteiligten Personen Zweifel daran, ob das Lager je errichtet wird.
Alles nur Verhandlungstaktik?
In Israel wird spekuliert, dass es sich bei dem Plan vielmehr um eine Verhandlungstaktik handeln könnte, um die Hamas zu Zugeständnissen zu bewegen oder die rechtsextremen Koalitionspartner von Regierungschef Netanyahu dazu zu bringen, einer Waffenruhe zuzustimmen. Letzteres sehe auch der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir so, berichtete die "New York Times". Ben-Gvir lehnt einen dauerhaften Waffenstillstand in Gaza strikt ab. Netanyahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft, ist für sein politisches Überleben auf die Hardliner in seiner Koalition wie Ben-Gvir angewiesen.
Die indirekten Verhandlungen Israels mit der Hamas kamen in Doha zuletzt nicht von der Stelle. Ein Hauptgrund sind unterschiedliche Auffassungen über das Ausmaß des israelischen Truppenabzugs vor allem aus dem Süden des Gazastreifens. Israel hatte bisher darauf bestanden, dass seine Streitkräfte in einem relativ großen Gebiet verbleiben. Dieses würde eine drei Kilometer breite Pufferzone entlang der Grenze zu Ägypten bei Rafah sowie den Morag-Korridor einschließen, der Rafah von der Stadt Khan Younis trennt.
Die Hamas verlangt den Rückzug der israelischen Streitkräfte auf die Positionen, die es vor dem Zusammenbruch der vorherigen Waffenruhe im März eingenommen hatte. Der neue Vorschlag Israels, über den die "Times of Israel" unter Berufung auf einen arabischen Diplomaten berichtete, sieht demnach vor, dass das israelische Militär nur mehr noch eine zwei Kilometer breite Pufferzone entlang der Südgrenze bei Rafah beanspruchen würde.
UNO-Chef: Gewalt in Gaza untergräbt Menschenwürde
Auslöser des Gazakrieges war der beispiellose Überfall der Hamas und anderer islamistischer Terrororganisationen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Seither wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 58.000 Palästinenser in Gaza getötet. Die kaum überprüfbare Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern.
UNO-Generalsekretär António Guterres bezeichnete die Zahl der getöteten Palästinenser als beispiellos in der jüngeren Geschichte. "Das untergräbt die grundlegendsten Voraussetzungen für die Menschenwürde der Bevölkerung Gazas, ungeachtet des enormen Leids, das sie erleiden", sagte Guterres in New York. Er betonte, dass er auch die "fürchterlichen Angriffe" der Hamas vom 7. Oktober immer wieder verurteilt habe.
Der UNO-Chef hält inzwischen an einer Zweistaatenlösung fest. Mit Blick auf eine Ende des Monats geplante Konferenz bei der UNO in New York sagte er: Eine Lösung könne es nur geben, wenn sowohl Palästinenser als auch Israelis einen Staat haben, in dem sie ihre Rechte ausüben können. Die Konferenz soll vom 28. bis 30. Juli auf Ministerebene stattfinden und wird von Frankreich und Saudi-Arabien organisiert. Mit einem Durchbruch wird jedoch nicht gerechnet.
UNO-Menschenrechtsbüro kritisiert Pläne
Das UNO-Menschenrechtsbüro kritisierte die Pläne. Israel spricht von einer "humanitären Stadt". Palästinenser dorthin zu beordern käme einer nach internationalem Recht verbotenen Zwangsumsiedlung gleich, sagte ein Sprecher des Menschenrechtsbüros in Genf.
Zudem liefen Menschen dort Gefahr, festgenommen zu werden. Auch könne keine Rede sein von einer freiwilligen Ausreise, die Israel aus dieser Zone in Drittländer vorschlägt. Wenn die Lebensgrundlagen vor Ort zerstört würden, hätten die Menschen keine Optionen, die sie frei wählen könnten.
Zusammenfassung
- Israel hat einen neuen Vorschlag für einen umfangreicheren Truppenrückzug aus dem Gazastreifen vorgelegt und will künftig nur noch eine zwei Kilometer breite Pufferzone an der Südgrenze bei Rafah beanspruchen.
- Die Regierung plant weiterhin die Errichtung einer 'humanitären Stadt' auf den Trümmern von Rafah, wo zunächst 600.000 Menschen und später alle über zwei Millionen Bewohner Gazas untergebracht werden sollen.
- Kritiker, darunter UNO und Menschenrechtsorganisationen, warnen vor einer nach internationalem Recht verbotenen Zwangsumsiedlung und bezeichnen das Lager als Internierungslager.
- Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas in Doha stocken weiterhin, da die Hamas einen vollständigen Truppenabzug fordert und Israel bislang auf einem Verbleib seiner Armee bestand.
- Seit Beginn des Krieges wurden laut Hamas über 58.000 Palästinenser in Gaza getötet, während beim Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 etwa 1.200 Menschen ums Leben kamen.